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Ausgabe:

Januar/2012

Spalte:

117–119

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Mortensen, Viggo, and Andreas Østerlund Nielsen [Eds.]

Titel/Untertitel:

Walk Humbly with the Lord. Church and Mission Engaging Plu­-ral­ity.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2010. VIII, 314 S. gr.8°. Kart. US$ 45,00. ISBN 978-0-8028-6630-1.

Rezensent:

Wilhelm Richebächer

Der lehrreiche Band enthält die Beiträge einer theologischen Konsultation in Aarhus anlässlich des Edinburgh-Jubiläums 2010. Dass sich Kirche und Mission im Kontext pluralistischer Gesellschaften neu verstehen und präsentieren müssen, ist bekannt. Hier erfahren wir, wie viel Schubkraft für diesen Wandel in einer überzeugten Christusnachfolge, im internen Pluralismus des Christentums selbst und in der Offenheit für Andere liegt.
Die Geschichts- und Gegenwartsanalyse (Stanley, Ross, Ustorf, Nygaard) des ersten Kapitels beginnt mit historischen Klärungen zu Edinburgh 1910: Dort trafen sich nur Delegierte evangelischer Missionsgesellschaften zu Strategieabsprachen im Sinne eines kolonial-expansionistischen Missionsverständnisses. So bleibe erstaunlich, wie von dieser bewusst nicht als »ökumenisch« etikettierten Konferenz eine solche Signalwirkung für die Ökumene-Bewegung des 20. Jh.s ausgegangen sei, beginnend mit den Church-Union Bewegungen in jungen asiatischen Kirchen. Die danach formulierte Maxime, dass Mission heute nicht mehr aus kirchlicher Außenpolitik oder Kirchenpflanzungsstrategien bestehen könne, sondern eher von der kontextuell sprachfähigen lokalen Präsenz des christlichen Glaubens und dessen tatkräftiger Herausforderung ungerechter Lebensverhältnisse handle, genießt zu Recht breiten Fachkonsens. Noch hilfreicher aber wäre es, aus Aarhus zu hören, ob und inwiefern dieser Konsens gerade auch in Edinburgh 1910 vorbereitet wurde und nicht nur damaligem Denken entgegensteht.
Wer und wie beschaffen sind nun die Träger der Evangeliumsbezeugung in heutigen pluralistischen Gesellschaften? Das scheinen die beiden Hauptvorträge im 2. Kapitel (Hauerwas, Graf) entgegengesetzt zu beantworten, wenn einer die Kirche und der andere den religiös mündigen Einzelnen herausstellt. Besteht aber wirklich der Zwang, sich zwischen einer vermeintlich christozentrischen Mission, die sich über Sein und Auftrag der Kirche allein vollziehen würde, und einer schöpfungstheologisch ausgerichteten, die vor allem auf das autonome religiöse Individuum abheben würde, zu entscheiden? Und wird diese polarisierende Inanspruchnahme den beiden Hauptvortragenden gerecht? Die anderen Vorträge ( Henriksen, Gregersen, Rasmusson) helfen sehr, die Polarität zu relativieren: Gerade eine Kirche, die mutig ihren Glauben bekennt und auf außerkirchliche Zeugen Gottes hört, kann eine friedliche Gesellschaft fördern. In ihr wird aber auch der liberale Einzelpro­testant, der seine Konfession verstehen will, auf die kirchliche Gemeinschaft vor Ort angewiesen sein.
Die beiden umfangreichsten Kapitel präsentieren kontextuelle und systematische Aspekte zu einer »missionalen« Kirche (III) und einer zukunftsfähigen Missionswissenschaft (IV).
Dass flexible PR-Strategien oder ein machtorientierter Lobbyismus noch keine einladende Kirche ausmachen, sondern eigentlich ihr Leben als erneuerte und zur Erneuerung reizende Gemeinschaften, zeigen die Beiträge von Stone, Fensham, Shults, Drane, Reppenhagen, Egnell, Iversen und Rumalshal aus differenten Kontexten, in denen Kirche schon länger als Minderheit lebt oder trotz scheinbarer soziographischer Mehrheit inzwischen wie eine solche wirkt (wie Kanada, Großbritannien, Ostdeutschland, Pakistan). Eine »missionale Kirche« (oder »emerging church«?) gewinnt ihre Gestalt und Bezeugungskraft als Go-Between zwischen Gott und Menschen, in ihrer Pro-Existenz für die Schwachen und im Dienst einer neuen Schöpfung. Sie ist weniger Raum, in dem Seelen ge­sammelt werden, als gemeinschaftlich katalysierter Prozess der existentiellen Selbstentwicklung wie auch Weltveränderung. Sie geht einher mit einem bedürfnisorientierten, qualitativen Ge­meindeaufbau (192, »churching«, Kirche als Verb nach P. Ward), das aber ohne sicht- und zählbare Kontakte zum Kirchenleben auch nicht existiert (180 ff.). Sie darf klein sein, wächst aber bisweilen schnell, sieht sich nicht primär konfessionshistorisch verpflichtet und oft im befreiten Gegenüber zur politischen Herrschaft. Theologisch kann sie sich auf (neue?) »große Erzählungen« wie die vom kenotisch sich selbst beschränkenden Gott stützen, der seiner Geschöpfe als Gegenüber bedarf (125 ff.). Spannend ist ihr Beitrag zur Modifikation der traditionellen notae ecclesiae: »Einheit« zeigt sich in der Bereitschaft mit andern Kirchen in multiplen Kontexten zu handeln (140 f.), »Heiligkeit« in ihrer Verwurzelung in der Welt um deren Rettung willen (141 ff.), »Katholizität« als Ausdruck ihrer Vollgestalt gerade im Partikularen (144 f.) und »Apostolizität« spezifisch in der Beherbergung Aller zur heilvollen Begegnung (146 f.). Ihre eschatologische Existenz wird an verfolgten Minderheiten, die sich als gelebte Botschaft Gottes zur Versöhnung für ihre Umgebung verstehen, besonders deutlich.
Pluralismus kennzeichnet auch künftige Missionswissenschaft. Das »Ob« und das »Wie« der Mission werden außerhalb wie innerhalb von Kirche (wenn auch auf unterschiedliche Weise) sehr different beurteilt. Angesichts der vielfältigen Neubezeichnungen für die Disziplin (»Interkulturelle Theologie«, »Weltchristenheitsstudien«, »Innenpolitik der Weltreligionen« u. a.) ist es nicht verwunderlich, wenn sich die Beiträge (Vähäkangas, Walls, Dehn, Matthey, Mortensen, Jackson, Taylor Ellison, Keifert, Guder) hier auf den be­scheidenen Nenner des Brückenbaus als Hauptaufgabe des Faches beschränken. Es geht um Brückenbau zwischen empirischen Religionswissenschaften und christlicher Theologie. Ebenso aber kann Missionswissenschaft als religionsgeschichtlich, kulturhistorisch und anthropologisch angereichertes Disziplin-Cluster im Dialog mit den traditionellen theologischen Disziplinen aufgefasst werden. Dabei wäre eine ihrer Aufgaben die Wiederentde­ckung der Vielfalt zueinander übersetzbarer Sprachformen des Christlichen (»Juden und Griechen«) angesichts eines schon immer kulturell polyzentrischen Christentums. Dass in der Christus-Nachfolge sehr unterschiedliche Herkünfte und Kulturen unter einer Hoffnung zusammenfinden und gerade so einladend für ganz verschiedene Menschen sind, könnte besonders für Europa mit seinem neuen Reichtum christlicher Kulturvielfalt angesichts der Migranten-Kirchen eine Verheißung sein. Darüber hinaus muss freilich der Brückenbau der Mission als Verständigungsgemeinschaft verschiedener Religionen im Fokus des missionstheologischen Interesses liegen. Dialogtheologie könnte nach diesem Kapitel mit der Entwicklung einer weisheitlichen (Gemeinschaftliches statt Grenzüberschreitung betonenden) Hermeneutik und Spiritualität vom Fremden befasst sein. Sie sollte nicht nur auf der akademischen Ebene stattfinden, sondern auch in lokalen Gemeinschaften und Kirchen. Hier kommen die authentischen Geschichten des Glaubens miteinander ins Gespräch, nicht zuletzt in Studien- und Lerngemeinschaften, die sich als Hochschulgemeinden oder zu­mindest als Denkgemeinschaften religiös Überzeugter erleben.
Die diskussionsfördernde Komposition und die didaktisch ge­schick­te Einführung des Bandes nötigen einem höchsten Respekt gegenüber den Herausgebern und Organisatoren der Konsultation Viggo Mortensen und Andreas Ø. Nielsen ab. Theologisch richtungweisend und bemerkenswert oft auf John Howard Yoder Bezug nehmend werden die Themen der Kirchenerneuerung und der Mission konsequent zusammen bearbeitet.