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Ausgabe:

Januar/2012

Spalte:

115–117

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Huppenbauer, Hanns Walter

Titel/Untertitel:

Menschenliebe und Wiedergutmachung. Missionsmotive und Theologie in den Anfängen der Evangelischen Missionsgesellschaft in Basel.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt (Frankfurt a. M.: Lembeck ) 2010. 210 S. 8° = Beiheft Interkulturelle Theologie, 13. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-374-02968-6.

Rezensent:

Jobst Reller

Hanns Walter Huppenbauer, langjähriger Schriftleiter der Zeitschrift für Mission und Zentralsekretär der Kooperation Evangelische Kirche und Mission, widmet sich in seiner systematisch-missionstheologischen Studie der Frage nach den Motiven der Gründer der ersten größeren kontinentalen Missionsgesellschaft in Basel 1815. Im Titel deutet er seine Antwort an: »Menschenliebe und Wiedergutmachung«. Mission unter außereuropäischen Nicht­christen war hier nicht kolonial, ökonomisch oder imperial begründet, sondern entsprang einer philanthropischen Gesinnung, die die Fehler von 300 Jahren europäischer Handels- und Welteroberungsgeschichte wiedergutmachen wollte. Wie der Vf. selbst andeutet, hat diese Fragestellung ihren Grund in der Diskussion um Sinn und Zweck der Mission in den vergangenen Jahrzehnten. Der besondere Wert der Studie liegt darin, dass sie für die Frühphase der Mission (1816–1838) unter ihrem ersten Inspektor Christian Gottlieb Blumhardt (1779–1838) Quellen aus dem Baseler Missionsarchiv wie Komiteeprotokolle, Personen-Faszikel, also z. B. Lebensläufe von Bewerbern, aber auch die frühe Missionspubli­zistik ausgewertet hat, wenn auch nach Meinung des Vf.s nicht erschöpfend.
Im abschließenden Kapitel (192–205) fügt der Vf. den Titelstichworten noch weitere hinzu: »Dankbarkeit«, Gegnerschaft zum »Sklavenhandel«, das aus dem ordo salutis stammende Motiv der »Erleuchtung«, den eschatologischen Kontext in »Verheißung« und »Erfüllung« und »Methode« und »Ziel« der Mission.
Der geistesgeschichtliche Anmarschweg bis zum eigentlichen Studienziel (Kapitel III–V, 63–191) ist recht lang. Auf 62 Seiten werden die Hauptmomente protestantischer Missionsinitiativen seit der Reformation bis auf die Gründung der Baseler Mission be­nannt– ein instruktiver farbenreicher, wenn auch nicht wirklich erschöpfender Überblick, z. B. über den Augenarzt Johann Heinrich Jung Stilling (43–45) oder die »deutsche Christentumsgesellschaft« (47–53). Das Gegenüber römisch-katholischer Missionsinitiativen fehlt allerdings. Interessant ist, dass der Vf. einerseits dem Pietismus das Verdienst zuerkennt, die Mission als Christen- und Kirchenpflicht erkannt zu haben, andererseits aber auch Einflüsse der Aufklärung (60) vermutet. Kapitel II verengt den Blick nun auf die Stadt Basel selbst (63–78). Durch den Tod des konservativen Bürgermeisters Rhyiner kommen zwei vom Geist der französischen Revolution bewegte Männer in die Verantwortung, Peter Burchhardt und der neue Stadtschreiber Peter Ochs (1751–1821). Im Dezember 1790 wird die ›unchristliche‹ und ›unrepublikanische‹ Leibeigenschaft seitens der Stadt Basel aufgehoben. 1798 kommt es zu einer neuen Verfassung für Stadt und Land Basel auf der Grundlage von Freiheit, Gleichheit und Menschenrechten. Diese wird 1814 allerdings wieder zurückgenommen (66 f.). Ebendie von Ochs mitgeschaffene freiheitliche Lage in der Stadt Basel ermöglicht die pietistische Christentumsgesellschaft, aber auch die Gründung eines Missionsinstitutes. Ochs stimmt dieser 1815 als gefürchteter liberaler Erziehungsdirektor unmittelbar zu (81). Ochs hatte 1789 nach der Erklärung der Menschenrechte ein politisches Glaubensbekenntnis drucken lassen, in dem er die Bergpredigt als Gesetz eines allen Menschen zukommenden Glücks aus Demut und Güte beschrieb und hier den eigentlichen Geist der Revolution in Frankreich sah. Noch als Beerdigungsspruch wählte er sich den Spruch »Christus ist mein Leben, Sterben ist mein Gewinn« (74). Der Vf. schließt: »Missionsarbeit konnte ein Akt des Protestes gegen die Unmenschlichkeit der Sklavenhalter sein« (78). Etliche Baseler Kaufmannsfamilien waren jedenfalls auch 1815 noch am internationalen Sklavenhandel beteiligt.
Jedenfalls wird im Gründungsprotokoll der Evangelischen Missionsgesellschaft zu Basel eine eschatologische Einordnung der napoleonischen Kriege als »Gerichte Gottes« deutlich, »dass sowohl die züchtigende als die begnadigende Hand Gottes durch die neuesten Begebenheiten auf viele Gemüter heilsam gewirkt und sie zu frommen Entschließungen vorbereitet habe, (diese Überzeugung) bewog einige Freunde der Missionssache, diese höchst wichtige Angelegenheit der Menschheit von Neuem kräftig zur Sprache zu bringen« (79). Im Gründungsdokument wirkt die Revolution insofern nach, als das Komitee nicht auf Zeremonien oder Rang sehen, sondern einfach und brüderlich miteinander umgehen will (83).
Blumhardt hat schon in der frühen Phase seines Wirkens in Basel (bis 1807) für die »Christentumsgesellschaft« in deren Zeitschrift »Basler Sammlungen für Liebhaber christlicher Wahrheit« dem Thema Mission unter den Rubriken »Nachrichten aus dem Reiche Gottes« bzw. »Missionsnachrichten« mehr Raum und Tiefe gegeben (86 f.). Für Blumhardts Missionstheologie ist von Anfang an kennzeichnend, dass das Evangelium von Jesus Christus als lebensfördernde, alles Lebenshemmende ausschließende Botschaft für die gesamte Menschheit gesehen wird. Im Jahr 1813 kann Blumhardt auf der Grundlage eschatologischer Überlegungen vom 19. Jh. als goldenem Zeitalter der Missionen sprechen. 1813 erscheint das von Blumhardt aus dem Englischen übersetzte Buch Claudius Buchanans »Untersuchungen über den gegenwärtigen Zustand des Christentums … in Asien« (engl. 1811). Buchanan will bei den syrischen Christen in Indien alte, von der Unionssynode in Dinampore 1599 (sic!) nicht erfasste Bibelhandschriften gefunden haben. In drei ebenfalls enthaltenen Predigten Buchanans an der Universität Oxford bzw. für die 10. Jahresversammlung der CMS findet sich der Gedanke, dass »unter den Heiden die untergeordnetsten Lehrer und Katechisten die nützlichsten« Arbeiter sein dürften, man Geld, eigene Missionsschiffe (!) wie bei den Herrnhutern, enge Briefkontakte mit den Missionaren, Vorräte für diese vor Ort, Buchdruckereien und Visitationsreisen brauche (98). Noch vor Antritt seines Amtes als Inspektor entwirft Blumhardt einen zum Teil auch von Buchanan inspirierten Lehrplan für die Ausbildung in sechs Semestern, der interessanterweise auf alte Sprachen verzichtet, Englisch und Holländisch hingegen umfasst. Blumhardt formuliert vor allem drei Gründe für die Mission, a) die Ehre Gottes, b) die Liebe zu den Menschen und c) die Glaubwürdigkeit der christlichen Kirche, wobei die eschatologische Zeitdiagnose auch weiterhin nicht fehlt (104 f.). Nachgetragen sei, dass erste Kritik am »schändlichen Menschenhandel« angesichts der Aussendung von Missionaren nach Sierra Leone 1818 geäußert wird (162).
Der Rezensent bricht hier ab, obwohl etwa das Referat von Blumhardts fünfbändiger Missionsgeschichte (1828–1837) hochinteressant wäre (178–184). Dem Vf. gebührt das Verdienst, auf humanitäre und philanthropische Dimensionen früher Missionsbestrebungen in der Basler Mission aufmerksam gemacht zu haben. In den Texten selbst tritt die eschatologische Zeitdiagnose allerdings fast mehr hervor. Das genannte Thema wie auch Blumhardt selbst verdienen trotz der leider nicht gedruckten Arbeiten von Terhi Paananen (1983) und Chr. Adam-Scholer (1992) in jedem Fall eingehendere Studien.