Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2012

Spalte:

104–106

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Becker, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Wilhelm Busch als evangelistischer Verkündiger.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2010. XII, 563 S. m. 1 Abb. u. 1 CD. 22,0 x 14,5 cm = Beiträge zu Evangelisation und Gemeindeentwicklung, 14. Kart. EUR 44,90. ISBN 978-3-7887-2444-3.

Rezensent:

Volker A. Lehnert

Die Greifswalder Dissertation von Wolfgang Becker hat sich zum Ziel gesetzt, am Beispiel des Essener Jugendpfarrers Wilhelm Busch einen Beitrag zum – aus B.s Sicht vernachlässigten – Thema Evangelisation zu leisten. B. möchte mittels Biographieforschung die »Verbindung von Verkündigung und Verkündiger« darstellen. Dies entspreche auch »dem Grundanliegen Wilhelm Buschs« (15).
Die Fülle des Materials, das B. heranzieht und sichtet, ist beeindruckend. Unzählige Schriften, Predigten, Traktate, Briefe und Ähnliches werden ausgewertet und zu einem plastischen Bild Wilhelm Buschs zusammengesetzt. Die Lesenden sehen Buschs Leben gleichsam im Schnelldurchlauf vor ihrem geistigen Auge ablaufen und werden von dessen virtuell präsenter Gestalt eindrücklich be­rührt. B. beschreibt zunächst Buschs Kindheit in Elberfeld und Frankfurt 1897–1914 und stellt die besondere Bedeutung seines Elternhauses heraus. Sein Vater war Pfarrer in Elberfeld, seine Mutter war vom schwäbischen Pietismus geprägt. Es folgt ein Blick in die Kriegsjahre bis zu seiner Bekehrung (1914–1919). Während er Kameraden fallen sieht, wird ihm bewusst, »daß es auch ihn selbst hätte treffen können und daß er dann vor Gott stünde, wo seine militärischen Auszeichnungen keinen Wert haben« (54).
Während seiner theologischen Ausbildung (1919–1922) wird Busch vor allem von der Jugendbewegung und der Tübinger Fakultät geprägt. Adolf Schlatter schärft seinen Blick für die »vorurteilslose Begegnung mit den biblischen Texten« unter gleichzeitiger Relativierung der »griechischen, abstrakt-begrifflichen Denktradition« (83), den »Vorrang der Bibel als Wort Gottes« (84), ein aus der Christusgemeinschaft resultierendes effektives Rechtfertigungsverständnis (85) sowie die Deutung der Glaubensentscheidung als eines »geschenkten Willens« (86). An Karl Heim fasziniert Busch dessen apologetische Kunst sowie die »Anschaulichkeit und Bildkraft« seiner Predigten (96). Entscheidende Impulse für seine Predigttätigkeit empfängt Busch von Paul Wurster: die Reduktion des Bibeltextes auf einen Hauptgedanken, die Verbindung von Text- und Themapredigt, die Integration der applicatio in die Gesamtpredigt sowie die starke Bildhaftigkeit der Rede.
Die Jahre 1922 bis 1924 sind gekennzeichnet von Vikariat, Hilfsdienst und Familiengründung. In dieser Zeit nähert sich Busch dem CVJM und wird auf Wilhelm Weigle in Essen aufmerksam. Er entwickelt sein Verständnis von der »Heilsmittlerschaft der Schrift«, durch die »Gott sich in dieser Welt zu Wort meldet« (115), und geht unbefangen Menschen nach, die sich der Kirche und dem Glauben entfremdet haben. Er bemüht sich um eine einfache Sprache und eine lebensbezogene Auslegung. – Von 1924 bis 1930 bekleidet Busch ein Pfarramt in Essen-Altstadt. In dieser Zeit wird er auch in den rheinischen Pietismus eingeführt.
In die Jahre 1930 bis 1933 fällt der Beginn seines Jugendpfarramtes. Als Nachfolger von Wilhelm Weigle entwickelt er ein schier unermüdliches Engagement für die Jugend. 1932 notiert er: Wir »sammeln … augenblicklich über 2500 Jugendliche in unserem Jugendhaus, 850 werktätige Jugendliche werden im Evangelischen Ju­gendverein gesammelt, 400 Erwerbslose … in Kursen betreut, 1000 Schuljungens … besuchen unsere Jungscharen und 400 Ju­gendliche werden in unserem Bibelkreis … gesammelt« (155). Dabei ist es Busch von Anfang an wichtig, das Evangelium nicht in einem »social gospel« aufgehen zu lassen, sondern seine evangelistische und seelsorgerliche Dimension zur Geltung zu bringen.
Das folgende Kapitel beschreibt den schwierigen Weg Buschs in der Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945). Der Leser erhält einen beeindruckenden Einblick in Buschs Kampf um die evangelische Jugend. Mutig verkündigt er 1933 »Das Regierungsprogramm unseres Herrn Jesu Christi« oder schreibt 1935 ein Traktat mit dem Titel »Jesus, der Heiland der Deutschen«. Immer wieder wird Busch mit Haft bedroht und verhört. Den Essener Jugendverein rettet er vor der Eingliederung in die HJ durch Auflösung, entwickelt aber alsbald ein neues Konzept für die Jugendarbeit und eröffnet 1934 das Jugendhaus wieder, jetzt unter dem Namen »Weigle-Haus«. Neben der Arbeit in Essen ist Busch in hohem Maße sowohl literarisch als auch als Reiseevangelist tätig. B. zeichnet die Fülle der Aktivitäten minutiös nach. 1936 gewinnt Busch Gustav Heinemann für den Vorstand des Vereins »Jugendhaus«. 1937 wird er von der Essener Gestapo verhaftet. Nach seiner Freilassung setzt er seine evangelistische Verkündigung ungebrochen fort.
In der Nachkriegszeit (1945–1962) erlebt Busch überfüllte Gottesdienste in Essen und erhält viele Einladungen zur überregionalen Evangelisationen, Vorträgen und Predigten. In dieser Zeit kommt es auch zu Spannungen mit den volkskirchlichen Restaurationsbestrebungen. Immer waren ihm die Jesusverkündigung und das pietistische Ideal der »Gemeindekirche« wichtiger als die neuen Kirchenordnungsprobleme. Busch entwickelt das Weigle-Haus im Laufe der Zeit zu einer Personalgemeinde mit Gottesdiens­ten, Bibelarbeiten und Freizeiten, in denen er selbst primär für Verkündigung und Seelsorge bereitsteht, alles andere aber durch ehrenamtlich Mitarbeitende erledigen lässt. Seine Verkündigung bezieht sich immer wieder auf elementare Glaubensfragen, nicht auf die Lösung »tagesaktueller Fragestellungen« (339). Er möchte Menschen »für Christus gewinnen«. Das Ziel der Evangelisation sieht er in der »Errettung verlorener Menschen durch den lebendigen Glauben an Jesus Christus« (342). Es folgt eine längere Darstellung seiner überregionalen evangelistischen Tätigkeit in diversen europäischen Ländern sowie in der DDR, die er während seines Ruhestandes bis zu seinem Tod (1962–1966) fortsetzt.
Im nächsten Kapitel stellt B. die post mortem veröffentlichten Schriften und Tonträger B.s zusammen. Hilfreich ist der Hinweis auf www.sermon-online.de, wo sämtliche verfügbaren Tondokumente veröffentlicht sind.
Es folgt ein Kapitel über die evangelistische Homiletik Buschs: Sie geht nicht von dem aus, was der Mensch fragt, sondern von dem, was »Gott ihm zu sagen hat« (420). Das Wort Gottes entfaltet eine Eigenwirksamkeit (421). Evangelistische Predigt zielt auf das Gewissen, das »vor dem Zorn Gottes erschrickt« (426). Sie malt im Sinne von Gal 3,1 »das Bild Jesu vor Augen«, denn wenn »einer Jesus sieht, dann kommt er zum Glauben« (428). Verkündigung ist daher nicht nur anknüpfend, sondern auch konfrontierend (431). Sie ist »Angriff« (478). Formal ist sie gegliedert, textgemäß, bildreich, anschaulich, schlicht, aber auch humorvoll. Erlösung resultiert nicht aus Einsichten natürlicher Vernunft, sondern aus dem Ergriffensein vom Wort vom Kreuz. Gleichwohl ist Bekehrung nicht allein ein Akt der Entscheidung, sondern Frucht des Wirkens Gottes in der Verkündigung. Busch hat daher Umkehrliturgien oder öffentliche Aufrufe immer abgelehnt. Man kann den ›geschenkten Willen‹ nicht methodisieren. Der Verkündiger ist immer nur ein Zeuge Jesu Christi. Vollmacht ereignet sich, wenn der Angefochtene merkt: »Jetzt spricht nicht mehr ein Pfarrer, sondern ER selber.« (456)
Wie die genannten Aspekte in der aktuellen homiletischen Diskussion zu verorten wären und welchen Beitrag sie zur gegenwärtigen Predigtpraxis leisten können, reflektiert diese sehr eindrückliche und hoch informative Arbeit leider nicht. Aber sie setzt dieses Thema neu auf die Tagesordnung. Das ist ihr Verdienst. Denn der Frage, wie es auch in postmoderner Zeit zur Weckung von Glauben durch Verkündigung kommen kann, werden sich Praktische Theologie und kirchliche Praxis zunehmend stellen müssen.