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Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

34–37

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Charlesworth, James H. u.a. [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Dead Sea Scrolls. Hebrew, Aramaic, and Greek Texts with English Translations. 1: Rule of the Community and Related Documents.

Verlag:

Tübingen: Mohr; Louisville: Westminster John Knox Press 1994. XXIII, 185 S. 4o. Lw. DM 168,­. ISBN 3-16-146199-1.

Rezensent:

Alexander Maurer

Mit dem vorliegenden Band beginnt eine neue Edition aller nichtbiblischer Qumrantexte in 10 Bänden. Der Eröffnungsband bietet die kritische, vollständige und kommentierte Publikation des hebräischen Textes aller in der Schriftrolle 1QS (Serekh ha-jachad) samt 1QSa und 1QSb enthaltener Werke gemäß den Kolumnen und Zeilen des Originals, dazu die Paralleltexte aus Höhle 4Q (4QS a-j) und weiteres korrespondierendes Material, nämlich 5Q11, 5Q13 und 4QOrdinances a-c. Anmerkungen zum linksseitig abgedruckten hebräischen Text notieren Entsprechungen in Parallelhandschriften und paläographische Probleme. Rechtsseitig ist eine englischsprachige Übersetzung beigegeben mit Anmerkungen zu inhaltlichen Fragen. Jedem Einzelwerk ist eine knappe, forschungsgeschichtlich orientierte Einführung vorangestellt. Ein Vorwort (XI f.) erläutert den Plan der Gesamtausgabe sowie die verwendeten Signa und Sigla. Standardisierte Übersetzungen wichtiger Begriffe liefert eine "Consistency Chart" (XIII). Der historisch orientierten allgemeinen Einleitung zu den Qumranfunden (XXI ff.) geht noch ein umfangreiches Abkürzungsverzeichnis voraus (XV-XIX). Neben dem Herausgeber J. H. Charlesworth zeichnen partiell E. Qimron, F. M. Cross, L. T. Stuckenbruck, L. H. Schiffmann und J. Milgrom für Einleitungen, Transkriptionen und Übersetzungen einzelner Texte verantwortlich. Beabsichtigt ist die Wiedergabe aller Texte nach neuestem Forschungsstand in gediegener Aufmachung und handlichem Format.

Allerdings wird dieser hohe formale Anspruch nur unzureichend eingelöst. Die Auflistung der Signa und Sigla im Vorwort (XI f.) ist unvollständig. Manche Signa werden nirgends erläutert, z.B. die Unterstreichung der Ziffern einzelner Anmerkungen zum Text von 1QS: Verweisen diese auf textliche Unterschiede in Parallelhandschriften (ohne Abweichung z.B. Anm. 34; 238; 348; ohne Unterstreichung Anm. 400; fragwürdige Fälle Anm. 231; 321; 373)? Die Querstriche über hebräischen Buchstaben in den Beiträgen E. Qimrons (cf. The Hebrew of the Dead Sea Scrolls [HSS 29], Atlanta 1986, aber auch S. 178 zu 4Q514 1,I,3) kennzeichnen offenbar Buchstaben, die in der groben Handschrift des Schreibers von 1QS/Sa/Sb paläographisch nicht eindeutig identifizierbar sind: Diese Querstriche hätten einer Erläuterung bedurft. Erst auf S. 54 wird erklärt, daß doppelte eckige Klammern in den Transkriptionen der 4QS-Texte Verbindungen zwischen separat aufgefundenen Fragmenten anzeigen sollen.

Auch das Abkürzungsverzeichnis (XV-XIX) ist revisionsbedürftig. So sind z.B. ASOR und BASORSS vorhanden, aber BASOR fehlt ebenso wie SSOT, SOAR. Philos Werke sind fast vollständig verzeichnet; nur fehlen ausgerechnet jene zwei, in denen er die Essener behandelt: Quod omnis probus liber sit und seine Apologie der Juden. Die Abkürzungen für die Qumrantexte sind erst am Ende des Bandes (S. 180-183) gesondert aufgeführt.

Die allgemeine Einleitung (XXI ff.) distanziert sich zu Recht von der Kennzeichnung der Essener als "Sekte"; dennoch wird sie im gesamten Band weiterverwendet. Selbstverständlich brannten 68 n. Chr. die Römer nicht "the Qumran Community" nieder (XXI), sondern bloß deren Siedlung am Toten Meer. Und die meisten Forscher sehen entgegen der Behauptung auf S. XXII in den Qumrantexten das Repertoire im wesentlichen nur einer Gruppe des antiken Judentums, nämlich der Essener, nicht Schrifttum "from many of the Jewish groups".

S. 1-51 bieten eine Fassung des hebräischen Textes von 1QS, die weitgehend identisch ist mit der von E. Qimron 1979 für eine luxuriöse japanische Ausgabe angefertigten (XVII als "Sekine, DSS" registriert); seither in der Literatur vorgeschlagene Verbesserungen sind nur sporadisch berücksichtigt. Ergänzend zum Textbestand sind auch die Markierungshaken verzeichnet, die in der Handschrift rechts unterhalb von Zeilen stehen, in denen Sinnabschnitte enden. Unerwähnt bleiben hingegen die großen Markierungszeichen am Beginn der Zeilen 1QS V,1; VII,25 und IX,3, in denen jeweils ein neuer Abschnitt beginnt; die Mißachtung dieser Zeichen hat dazu geführt, mit VIII,1 einen neuen Abschnitt zu beginnen statt mit dem Zeilenende von VII,25.

Oft wird auf Ergänzungsvorschläge für Textlücken verzichtet, wobei aber die eckigen Klammern den Umfang der Lücken meist erheblich zu knapp bemessen (z.B. I,1; II,26; III,26; IV,26). Vielfach mißlungen ist der Versuch, supralineare Korrekturen der Handschrift originalgetreu zu reproduzieren: Sie sitzen oft an der falschen Stelle (z.B. II,13; III,2; VII,8 am Ende). Erhaltene Buchstabenreste bleiben gelegentlich unbe-rücksichtigt (z.B. in I,25 f.; V,25 f.; am Beginn von III,20 fehlt ein Waw). Die Übersetzung ist in vielfacher Hinsicht problematisch. Syndetische Anschlüsse werden oft ignoriert, mitunter andere Textfassungen vorausgesetzt als links abgedruckt (z.B. IV,19 "spring" [= mcyn] für mcwn [= "dwelling"] im hebräischen Text). Die Anmerkungen zur Übersetzung wiederholen oft Diskussionen des hebräischen Textes (meist in Transliteration!) oder geben weitere Hinweise zum paläographischen Befund, die auf die linke Seite gehörten.

Die Präsentation der Fragmente von 10 Handschriften aus Höhle 4Q mit Paralleltexten zu 1QS I-XI (4Q255-264=4QSa-j) ist faktisch deren editio princeps (53-103). Verantwortlich zeichnen E. Qimron und J. H. Charlesworth. F. M. Cross steuert einen Appendix zur Datierung dieser Handschriften bei (57), der angesichts schwerwiegender Entscheidungen viel zu knapp ist. Vor allem verweist er die bislang in die letzten Jahrzehnte des 2. Jh.s v. Chr. datierte Handschrift 4QSe nunmehr in den Zeitraum 50-25 v. Chr., hingegen die bislang später datierte Handschrift 4QSa in den Ausgang des 2. Jh.s v. Chr.

Die Einleitung (53-56) verzichtet fast vollständig auf die Angabe der oft besseren älteren Photographien der 40er und 41er Photoserien (lies als erste Angabe zu 4QSe S. 56 [auch in Anm. 9]: 43.264 [statt: 42.264]). Die Bemerkung auf S. 55 "a few consonants on preceding col. visible" zeigt an, daß die Kolumnenzählung von 4QSc falsch bei Kol. II (als: I) beginnt, obwohl schon J. T. Milik in seiner Rezension zu Wernberg-Møllers Kommentar zu 1QS (RB 67, 1960, 410-416, hier: 415) zu Recht notiert hatte, daß die vorhandenen Buchstabenreste der tatsächlichen Kol. I 1QS I,2 korrespondieren. Ähnlich willkürlich wird leider mit vielen Fragmenten verfahren. Mehrere Fragmente von 4QS a-j ohne erkennbare Parallele in 1QS sind überhaupt nicht aufgeführt (z.B. 4QSa Frg. 3 f.), obwohl im Lauf der Textgeschichte von 1QS I-XI durchaus Material hinzugekommen oder weggefallen sein könnte.

Schließlich findet sich im gesamten Band keinerlei Hinweis darauf, daß in 4QSe Frg. 2 auf den Text von 1QS IX unmittelbar ein kalendarischer Text (4Q319 Otot) folgte; nicht einmal der vollständige vorhandene Paralleltext zu 1QS IX,21-24 wird hier geboten. Man findet ihn auf dem üblicherweise zu 4Q319 genannten Photo PAM 43.283.

Erst nach Wiedergabe einer weiteren Parallelhandschrift zu 1QS I-XI (5Q11, 105 ff.) bieten die Hgg. die Texte 1QSa und 1QSb (108-117 und 119-131), die in der Schriftrolle ursprünglich unmittelbar auf 1QS folgten. In der Bibliographie zu 1QSa fehlt der wichtige Kommentar von J. Licht; er ist nur zu 1QSb genannt. Dem besonderen Problem von 1QSa II,11 f., ob Gott hier den Messias zeugt oder nicht, ist eine eigene "Textual Note" (109) gewidmet; aber ohne auf die Vielfalt bisheriger Lesungsvorschläge hinreichend einzugehen, bleibt es bei wenigen althergebrachten Auskünften.

Angesichts von PAM 42.926 hätte zumindest Y. Yadins Lesungsvorschlag ywcdw (cf. 117, Anm. 64) nicht ignoriert werden dürfen. Aufgrund neuer Photographien hat É. Puech (Préséance sacerdotale et Messie-Roi dans la Règle de la Congrégation [1QSa ii 11-22], Revue de Qumran 16, 1993/94, 351-365, hier 358 f.) inzwischen vorgeschlagen, stattdessen ytglh zu lesen. Die im vorliegenden Band reproduzierte Lesung ywlyd/ywlykh stand mit Sicherheit nicht da!

1QSb wird mit Licht gegliedert, der bessere Vorschlag von Milik in der editio princeps (DJD I, 1955, 120) dagegen in Anm. 3, 119 verbannt. Tatsächlich gibt es ein materielles Indiz für die Richtigkeit der Einteilung Miliks, nämlich einen Absatzmarkierungshaken nach Z. 18 der Kol. I (erhalten am linken Rand von 1QSa Kol. II, cf. DJD I, Pl. XXIV), der einfach unberücksichtigt geblieben ist. Einleitung und Anmerkungen sind zum Teil unpräzise oder entstellend: 1QS, 1QSa und 1QSb sind zwar vom gleichen Kopisten geschrieben ("written"), müssen aber deshalb noch längst nicht vom gleichen Autor verfaßt worden sein (so aber 119); 1QSb ist keine eigenständige Rolle ("scroll"); die Kennzeichnung des Maskil als eines "major leader" (120), der die Essener auf die Endzeit vorbereite (123, Anm. 1), ist äußerst problematisch. In 1QSb V,21 wurde die Lesung bryt hyhd beibehalten (128), obgleich bryt dwyd hier paläographisch und sachlich wesentlich näherliegend wäre.

Auf den in mancher Hinsicht 1QS und CD vergleichbaren Text 5Q13 als "Sectarian Rule" (132-143) folgen 4Q159 Ordinancesa und 4Q513 Ordinancesb (145-175). L. H. Schiffmann rechnet mit zwei verschiedenen Werken (148). Obwohl Frg. 5 sicher nicht zur Handschrift 4Q159 gehört (cf. 145), wird es dennoch wieder mit abgedruckt, und Frg. 9 erscheint S. 156 noch einmal separat, obwohl es S. 150 schon richtig in Frg. 1,II,4 eingeordnet wurde. 4Q513 wird wiedergegeben mit J. M. Baumgartens Korrekturen der Ausgabe M. Baillets und seinen Erläuterungen (Halakhic Polemics in New Fragments from Qumran Cave 4, in: J. Amitai [Hg.]: Biblical Archaeology Today, Jerusalem 1985, 390-399). Die Übersetzung setzt allerdings in der hebräischen Textwiedergabe nicht verzeichnete Ergänzungen voraus (z.B. "sa[crifices...]" Frg. 2,II,3, 158 f., oder "with them" Frg. 10,II,3, S. 164 f.), und schließlich tritt Frg. 37,1, 173, sogar "Leah (?)" auf.

Abschließend (177 ff.) stellt J. Milgrom die "Purification Rule" (4Q514 Ordinancesc) vor. Abgesehen davon, daß die Übersetzung manches Rätsel aufgibt ("Let him not eat..." Frg. 1,I,2; "pu[ri]ty" Frg. 1,I,4; auch Frg. 2,2) und die Transkription ohne oft sachlich naheliegende Ergänzungen bleibt, wird nicht erwähnt, daß in Frg. 1,I,8 f. eine Dittographie zu Z. 4-6 vorliegen könnte (cf. aber 148 und J. M. Baumgarten: The Purification Rituals in DJD 7, in: D. Dimant/U. Rappaport [Hg.], The Dead Sea Scrolls. Forty Years of Research [STDJ 10], Leiden, New York, Köln, Jerusalem 1992, 199-209; hier 204 f.). Stattdessen heißt es S. 177: "Repetition is for emphasis, and emphasis implies a polemic." Wäre das nur immer so einfach!

Wer sich für die mit diesem Text verbundenen Themen interessiert, sei auf die einschlägige Literatur verwiesen: Der S. 177, Anm. 9, genannte Artikel von J. Milgrom ist inzwischen erschienen (STDJ 16) Leiden, New York, Köln 1995, 59-68; ferner ebd. 1-8 J. M. Baumgarten: The Laws about Fluxes in 4QTohoraa (4Q274), und L. H. Schiffmann: Pharisaic and Sadducean Halakhah in Light of the Dead Sea Scrolls. The Case of Tevul Yom, Dead Sea Discoveries 1, 1994, 285-299.

Es ist zu hoffen, daß die genannten charakteristischen Mängel des vorliegenden Bandes in den Folgebänden drastisch reduziert werden. Im Prinzip ist es ein guter Gedanke, die verstreut edierten Qumrantexte zu einem bestimmten Genre ­ hier: "rule books" oder "Gemeinderegeln" ­ in eigenen Sammelbänden zusammenzuführen. Doch auch dieser Gedanke soll offenbar nicht durchgehalten werden. Das Gesamtkonzept (cf. II) plant für Band 2 die Wiedergabe der "Damaskusschrift" CD (daneben die Kriegsregel und Verwandtes), für Band 3 die Wiedergabe der Paralleltexte zu CD aus Höhle 4Q (4QD a-h) nebst anderem. Warum müssen die "rule books" letztlich auf drei Bände verteilt erscheinen?