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Ausgabe:

Januar/2012

Spalte:

98–100

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Rose, Matthew

Titel/Untertitel:

Ethics with Barth: God, Metaphysics and Morals.

Verlag:

Farnham/Burlington: Ashgate 2010. VIII, 226 S. 23,4 x 15,6 cm = Barth Studies Series. Lw. £ 50,00. ISBN 978-1-4094-0623-5.

Rezensent:

Hans G. Ulrich

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Migliore, Daniel L. [Ed.]: Commanding Grace. Studies in Karl Barth’s Ethics. Proceedings of a conference held June 22–25, 2008 at Princeton Theological Seminary. Grand Rapids/Cambridge: Eerdmans 2010. X, 255 S. gr.8°. Kart. US$ 30,00. ISBN 978-0-8028-6570-0.


Während traditionsbildende Grundlegungen theologischer Ethik wie die von Karl Barth oder Dietrich Bonhoeffer als Konzeptionen oder Richtungen verhandelt werden können, zu denen im Sinne von Frontlinien Stellung bezogen wird, zeigt der von Daniel Mig­liore herausgegebene Sammelband, auf welche Weise Karl Barths Ethik einen dichten Kontext für gegenwärtige theologische Ethikdiskurse bietet – unabhängig von generellen Positionen gegen oder für »Barth«. Die Beiträge sind von Autoren geschrieben, die die interpretatorische Arbeit an Karl Barths Ethik zum Teil durch eigene umfassende Darstellungen (z. B. Nigel Biggar; David Haddorff) getragen haben.
Der Band vermittelt ein differenziertes Bild theologischer Ethik­diskurse im englischen Sprachraum, die sich im Dialog mit Karl Barth befinden und sich innerhalb seiner Ethik entfaltet haben. Die Beiträge sind so gehalten, dass sie jeweils die Grundlinien Barths nachzeichnen, um dann spezifische Punkte der Kritik oder der Weiterführung zu markieren, außerdem folgt auf jeden Beitrag eine korrespondierende Antwort, die sowohl markierte Linien aufnimmt als auch eigene, manchmal gegenläufige Akzente setzt. So bietet der Band die Dokumentation einer gemeinsamen konstruktiven und kritischen Arbeit an ethischen Themen im Kontext der Ethik Barths.
Die Einführung von Daniel L. Migliore zeichnet dieses Vorhaben eines reading in communion entsprechend vor und markiert die Angelpunkte der spannungsvollen Interpretation mit weiterführenden Hinweisen auf deren Diskussion im englischsprachigen Kontext: den »Bundes«-Kontext der Ethik, die Bedeutung von »Gabe und Gebot«, Barths Ethik als Freiheitsethik und »Barths Ethik und der öffentliche Raum«. Nigel Biggar stellt in seinem Beitrag die Grundlinien der Ethik Barths so dar, dass schon damit deutlich wird, inwiefern Barths Ethik als Ganze in der ihr eigenen Systematik als Entdeckungszusammenhang für theologische Ethik verstanden werden soll – wie es in dem weiteren Diskurs dann auch der Fall ist. Dies ist theologisch darin begründet, wie Biggar in seinem grundlegenden Beitrag hervorhebt, dass die theo­logische Ethik Gott in seiner ganzen trinitarischen Erscheinung, das heißt der äußeren Trinität zu folgen hat. Sie stellt den Zu­sammenhang dar, in dem sich die Ethik bewegt. Biggar benennt zugleich einige kritische Punkte zu Barths Ethik, wie nicht zuletzt die Frage, inwiefern Barths Ethik die »nicht-theologische« Welt einbezieht oder eine entsprechende Unterscheidung setzt. Biggar sieht vor allem die Notwendigkeit einer Entfaltung »des Guten« für den Menschen. Eric Gregory setzt hier mit seiner Replik an, um zu zeigen, in welcher Weise Biggars Interpretation in den Trend eines »protestantischen Thomismus« gehört, wie er sich in der englischsprachigen Ethik abzeichnet. Verbunden damit ist die Thematisierung einer Ethik für das »öffentliche Forum«, sofern dafür ein allgemeines Gemeinsames thematisiert werden muss, das vom theologischen Entdeckungszusammenhang her in den Blick kommt, in diesem aber noch nicht erschlossen ist. Für die Weiterführung der Ethik Barths heißt dies, dass zu diskutieren ist, wie Barth zusammen mit dem »protestantischen Thomismus« in eine neu wahrzunehmende Geschichte des »modernen« Geistes gehört, nicht be­grenzt auf die Epochenschwelle der Moderne, sondern bezogen auf eine weiter gefasste Geschichte der Moderne. Auch dieses Kapitel – Barth und welche Moderne? – wird damit noch einmal angestoßen.
Die folgenden Beiträge befassen sich mit inhaltlichen Problemstellungen theologischer Ethik: mit der Frage nach dem »gerechten Krieg«, dem theologischen Zugang zur »Demokratie«, der Bedeutung von »Strafe« in der Rechtsethik und zum theologischen Verständnis von »Ökonomie«. Dabei werden zentrale Unterscheidungen verhandelt, die sich auf dem Hintergrund von Barths Ethik abzeichnen und so das theologische Spannungsfeld sichtbar werden lassen, in dem diese Themen zu verhandeln sind. Beim Thema »gerechter Krieg« ist es vor allem die Frage, ob »Krieg« analog zum polizeilichen Rechtsschutz verstanden werden soll und insofern abgegrenzt werden kann gegen jede andere Form von kriegerischer Gewalt und vor allem auch gegen destruktive Folgen, die auch für einen Krieg um des Rechtsschutzes willen nicht in Kauf zu nehmen sind. Es zeigt sich verständlicherweise, dass damit nur Ausschnitte aus dem Gesamtdiskurs verhandelt werden können. Darin sind aber Alternativen markiert, die in der theologischen Ethik zur Dis­kussion stehen und keineswegs schon gelöst oder aufgelöst sind. Das betrifft auch die Frage nach der Bedeutung von »Strafe« in der Rechtsethik. Es wird deutlich, inwiefern »Strafe« in der theologischen Logik von Gerechtigkeit nicht fehlen kann, dass aber dafür ein Begriff von »restaurativer Gerechtigkeit« gewonnen werden muss. In Bezug auf die theologische Fassung der Ökonomie markiert Kathrin Tanner als Kritik des kapitalistischen Wirtschaftssys­tems die Unterscheidung zwischen einer konkurrenzorientierten und einer kooperativen Wirtschaft, ebenso deren Ausrichtung auf öffentliche Güter. Korrespondierend argumentiert Christopher Holmes, dass im Blick auf eine Veränderung der ökonomischen Verhältnisse und Prozesse durch menschliches Tun – innerhalb der von Tanner dargestellten Ökonomie Gottes – das Zeugnis der christlichen Kirche in seiner kritischen Kraft hervorgehoben werden muss.
Diese Beiträge zu Barths Ethik zeigen, dass die Frage akut bleibt, wie eine Ethik, die in einer Theologie der Lebenswirklichkeit (einer Ontologie) gründet und die als solche heuristische und kritische Kraft ausübt, die menschliche Praxis und das menschliche Tun nicht nur als darin begründet und darin bestimmt darzustellen vermag, sondern zu einer Ethik ebendieses menschlichen Tuns führt, in der Gottes Wirklichkeit und menschliches Tun in ihrer spannungsvollen Koexistenz erscheinen. Auch mit den beiden Beiträgen am Ende des Bandes ( Paul T. Nimmo, Jesse Couenhoven), in denen das Verständnis von Gottes Freiheit und menschlicher Freiheit innerhalb der Alternative von »compatibilistischen« und nicht-kompatibilistischen Konzeptionen verhandelt wird, ist eines der damit zusammenhängenden Probleme in der Grundlegung der Ethik angezeigt. Nicht zuletzt in Bezug auf diesen Beitrag hätte es nahegelegen, Barths Grundlegung im Blick auf Affinitäten oder Differenzen zu Subjekt-konstitutiven und ontologischen Fassungen der Ethik oder der Moraltheologie quer zu lesen. Dieses Buch bietet dafür zugleich einen hilfreichen Kontext.
Mit dem Trend zu einem »protestantischen Thomismus« ist zum Teil auch die Barthlektüre verbunden, was freilich fragen lässt, was »protestantischer Thomismus« inhaltlich besagt. Einen generellen Punkt spricht Matthew Rose mit dem Hinweis an (2), dass in der Ethik zunehmend ein Interesse an einer verlässlichen Rechenschaft über »das Gute« besteht, verbunden mit einem schwindenden Vertrauen in »moderne Theorien menschlichen Handelns«. Hier platziert R. seine eigene Barthlektüre. Für die Ethik Barths wird als leitende Frage herausgestellt, wie der Mensch die seiner »Natur« entsprechende Erfüllung findet. R. gibt daraufhin eine differenzierte Nachzeichnung der Ethik Barths als Theorie der guten Lebenswirklichkeit, in der die menschliche Natur als erfüllte erscheint. Dies lebt von der Abgrenzung gegen eine Barth-Interpretation, die Barth als Gegenpol zu einer theologischen Naturlehre liest, die die »Natur« oder die Wirklichkeit des Guten in eine solche einholt und nicht in der Differenz – oder Dialektik – zu Gott verbleibt. R. folgt einer Barth-Lektüre, die Theologie als die christologisch gegebene Inversion der Wirklichkeit im Ganzen be­greift. Innerhalb deren gebe es keine fundamentale Differenz, die in einer anderen (als der Hegelschen) Dialektik präsent bliebe. Doch solche querlaufenden Fragestellungen werden hier nicht dis­kutiert um des Hauptanliegens willen, Barths Theologie als eine integrale, jede »Natur« umfassende, »ethische Theologie« zu präsentieren. Damit bleibt diese Barth-Interpretation an einer Grenzlinie stehen, die in dem Gesamtdiskurs zur theologischen Ethik, auch in Bezug auf Barth, zu durchbrechen versucht worden ist – im Blick auf eine Ethik, in der »Ethik« primär als Antwort auf Gottes Wirken erscheint, das heißt von Gottes Wirklichkeit getragen und in dieser aufgehoben, aber nicht als deren nur zu entfaltende Implikation. So regt der Band erneut an, hier den Diskurs fortzuführen.