Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2012

Spalte:

81–83

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Spitzer, Robert J.

Titel/Untertitel:

New Proofs for the Existence of God. Contributions of Contemporary Physics and Philosophy.

Verlag:

Grand Rapids/Cambridge: Eerdmans 2010. XIII, 319 S. m. Abb. 22,9 x 15,2 cm. Kart. US$ 28,00. ISBN 978-0-8028-6383-6.

Rezensent:

Dirk Evers

Das Buch des katholischen Theologen Robert J. Spitzer, S. J., ehemaliger Präsident der jesuitischen Gonzaga University und Gründer und Präsident des Magis Institute for Faith and Reason, ist als Antwort auf den sog. »Neuen Atheismus« gedacht und möchte neue Beweise für eine theistische Gottesvorstellung darbieten, die durch Erkenntnisse in Physik, Philosophie und Mathematik in den letzten Jahrzehnten möglich geworden seien. S. fasst das Argumentationsziel wie folgt zusammen: Die darzustellenden Beweisgründe sollen in der Lage sein, »reasonable and responsible belief in a super-intelligent, transcendent, creative power« zu begründen, »that stands at the origin of our universe or any hypothetically postulated multiverse« (1). Er ist überzeugt, dass mit der jüngsten kosmologischen Theoriebildung »the strongest rational foundation for faith« begründet werden kann, »that has come to light in human history« (1).
Insgesamt führt S. fünf Beweisgänge vor, von denen allerdings die ersten beiden, die zusammen den Eingangsteil des Buches bilden, nur den Status von Wahrscheinlichkeitsbeweisen (indications) haben. Der zweite Teil besteht dann aus drei philosophischen Be­weisen für die Existenz Gottes, an die ein Kapitel über die Unmöglichkeit der Widerlegung der Existenz Gottes angeschlossen ist. Der dritte Teil des Buches entfaltet fünf Transzendentalien, die als mysteria divinitatis verstanden werden, und ordnet ihnen das menschliche Streben nach dem Unbedingten zu.
Wir können im Rahmen dieser Rezension die einzelnen, in mannigfache Zwischenschritte unterteilten Beweisgänge nicht im Detail nachvollziehen. Aber wenigstens ein Überblick sei gegeben. Der erste Argumentationsgang stützt sich auf Ergebnisse, die sich aus den jüngsten kosmologischen Urknallszenarien ergeben (falsch ist es allerdings, wenn S. auf S. 4 behauptet, der »Urknall« sei von einem »Zentrum« ausgegangen, denn der »Urknall« ist keine Explosion in Raum und Zeit, sondern von Raum und Zeit, so dass die Identifizierung eines Zentrums des »Urknalls« sinnlos ist). Nach dem Borde-Vilenkin-Guth-Theorem aus dem Jahre 2003 haben offensichtlich alle Universen, die überhaupt als Raumzeit-Modell für unseren Kosmos in Frage kommen, einen absoluten Anfang in der Zeit, und zwar unabhängig von den konkreten physikalischen Gesetzen, die in ihnen gelten. S. verbindet dies mit einer Variante des Satzes vom zureichenden Grund und folgert: Wenn vermutlich (d. h. nach dem derzeitigen Stand der Theorie) jedes Universum einen Anfang haben muss, vor dem es keine physikalische Wirklichkeit gegeben haben kann, und wenn aus Nichts nichts werden kann, dann ist auch unser Universum vermutlich aus etwas hervorgegangen, das keine physikalische Wirklichkeit darstellt (45).
Das zweite Kapitel des ersten Teils wendet sich dann der Frage zu, ob über diese erste transzendente Wirklichkeit noch mehr gesagt werden kann. Dazu zieht S. das bekannte Anthropische Prinzip heran, also die Beobachtung, dass die Naturkonstanten, die kosmologisch von Bedeutung sind, in überaus sensibler Weise gegeneinander abgestimmt sein müssen, damit überhaupt so etwas wie komplexere und möglicherweise belebte Strukturen möglich werden. S. verweist darauf, dass bei der Feinheit dieser Abstimmung eine Zufälligkeit ausgeschlossen werden kann, weil die Wahrscheinlichkeit eines zufälligen Zusammentreffens vernachlässigbar gering ist. Es bleibe deshalb nur die Alternative eines übernatürlichen, intelligenten Designers, der den Kosmos mit ebendieser Physik ins Dasein gerufen habe. Diesen ersten Teil beschließt ein Postskript von Bruce Gordon, einem der Intelligent-Design-Be­wegung nahestehenden Wissenschaftsphilosophen, das die vorgeführten kosmologischen Theorien noch einmal vertieft.
Der zweite Teil stellt drei weitere Argumente vor, die nicht von empirischen Evidenzen ausgehen, sondern als philosophische Be­weise bezeichnet werden und wesentlich drei Argumentationsfiguren in Anschlag bringen: 1. Es werden vollständige Disjunktionen entwickelt, bei denen genau eine der beiden Alternativen wahr sein muss. 2. Es werden Unendlichkeitsbegriffe verwendet, die Überschritte ins Transzendente erlauben. 3. Es wird eine allgemeine Definition von Verursachung (causation) als gültig vorausgesetzt. Es handelt sich eigentlich um den Satz vom zureichenden Grunde, der aber als solcher nicht erwähnt wird. S. scheint Leibniz ohnehin nur als Vater der Infinitesimalrechnung zu kennen, und er differenziert auch nicht zwischen (ontologischem) Grund und (physikalischer) Ursache. Jedenfalls wird aus dem vorausgesetzten allgemeinen Begriff von Verursachung die Definition von Schöpfung abgeleitet als »the ultimate fulfillment of a conditioned re­al­-ity’s conditions« (140).
Der erste dieser Beweisgänge erinnert an klassische kosmologische Argumente. Beweisziel ist die Existenz eines schlechthin einfachen, unbedingten und wiederum alles andere bedingenden We­sens, das allgemein als Gott bezeichnet wird (die Parallele zu den thomistischen quinque viae ist offensichtlich). Interessanterweise wird für die Einfachheit der aller bedingten Wirklichkeit zugrunde liegenden unbedingten Realität mit Hilfe physikalischer Überlegungen argumentiert. Da für viele Ebenen der physikalischen Realität eine tiefer liegende Ebene angegeben werden kann, auf der die Differenzierungen der höheren Ebene in eine fundamentalere Einheit aufgelöst werden, ist eine fundamentalste Ebene der Wirklichkeit (einschließlich aller nicht verwirklichten Möglichkeiten) anzunehmen, die als »the highest level of simplicity (the top of the tree of being)« (131) zu identifizieren ist. Der zweite Beweis rekapituliert einen auf Bernard Lonergan zurückgehenden Gedankengang, der nachweisen soll, dass die unbedingte Realität zugleich absolute Intelligibilität besitzen und sich selbst absolut durchsichtig sein muss ( complete self-transparency, 174), so dass alles andere als seine Idee nur bedingte Realität hat. Das impliziert auch, dass menschliche und also bedingte Erkenntnis dieses Wesens immer nur unvollständig sein kann. Der dritte Beweis ist vielleicht der originellste in diesem Teil. Er folgert aus ontologischen Überlegungen zur Raumzeit und aus Differenzierungen im Unendlichkeitsbegriff, dass die Vergangenheit des Universums eine endliche mit einem Anfangszeitpunkt sein muss, die eine Realität mit transfiniter Unendlichkeit voraussetzt.
Der dritte Teil des Buches will die Einheit und Einfachheit des höchsten Wesens mit seiner Intelligibilität zu verbinden und daraus dann (in Anlehnung an neuplatonische Konzepte) fünf Transzendentalien abzuleiten, nämlich Liebe, Güte, Schönheit, Sein und Wahrheit. Ihnen werden im achten und letzten Kapitel entsprechende Bedürfnisse und Strebungen des Menschen gegenübergestellt, die das Geheimnis menschlicher Existenz ausmachen und nur durch diese transzendenten Güter befriedigt werden können.
Es sollte deutlich geworden sein, dass trotz aller Unterfütterung einzelner Argumentionsstränge durch neueste kosmologische Theorieentwürfe (deren Halbwertszeit erfahrungsgemäß von kurzer Dauer ist) die vorgeführten New Proofs eher bekannten Schemata folgen. Eine Reflexion über den Sinn und die methodischen Möglichkeiten und Grenzen von Gottesbeweisen überhaupt (etwa die Frage nach dem Verhältnis von faith, belief, evidence und proof) findet nicht statt. Auch die viel bedachte Frage, wie denn die behauptete schlechthinnige Einfachheit des höchsten Wesens mit anderen Eigenschaften wie der vollkommenen intelligiblen Selbsterkenntnis vereinbar sein kann, wird nicht erörtert. So mag der Band manche Anregung im Detail enthalten für das auch in der deutschsprachigen Theologie wieder auflebende Interesse an metaphysisch-theistischer Beweisführung, doch wer einem solchen Unternehmen skeptisch gegenübersteht, wird dem Band wenig substantiell Neues entnehmen können.