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Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

32–34

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Brooke, Georg J., and Florentino García Martínez [Ed.]

Titel/Untertitel:

New Qumran Texts and Studies. Proceedings of the First Meeting of the International Organization for Qumran Studies, Paris 1992.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1994. IX, 328 S., 9 Taf. gr.8o = Studies on the Texts of the Desert of Judah, 15. ISBN 90-04-10093-8.

Rezensent:

Otto Betz

Der in Zusammenarbeit mit F. G. Martínez sehr sorgfältig edierte 15. Band in der bewährten Reihe "Studies on the Texts of the Desert of Judah" bietet Referate, die auf dem ersten Treffen der Internationalen Organisation für Qumran-Studien 1992 in Paris gehalten wurden. Die insgesamt 18 Beiträge sind in zwei Teilen zusammengeordnet: Der erste (3-116) bietet neue Textfragmente aus Höhle 4, die vorgestellt bzw. vorläufig ediert sind (mit hebräischem Text, einer Übersetzung ins Englische und ausführlichem Kommentar). Dazu gehören gute Photos der Originale auf den Tafeln 1-8; die letzteren verraten, wie mühevoll die Edition solcher oft recht kleiner fragmentarischer Stücke aus 4 Q ist. Im zweiten Teil (10 Beiträge, 117-304) findet man Studien zu Qumranproblemen methodologischer, philologischer und auch theologischer Art. Den Abschluß (305-328) bilden zwei hilfreiche Register (Bibelstellen; Qumran-Belege). Diese Art von Aufbau und Ausstattung für einen Kongreßband ist durchaus sinnvoll. Man könnte sich lediglich fragen, ob die übliche Reihenfolge der Beiträge nach der alphabetischen Ordnung der Verfassernamen auch dann eingehalten werden muß, wenn zwei Autoren das gleiche Thema behandeln. Denn so sind nun die Untersuchungen von A. Rofé (73-80) und E. Ulrich (89-104) über die Fragmente 4Q Jos (u.a) durch ein Referat E. Tovs, des leitenden Herausgebers für alle noch nicht publizierten Qumrantexte, getrennt (81-88). Den Beitrag von Tov hätte man wegen der aufschlußreichen Auskünfte aus der Werkstatt des Herausgebers gut und gern an den Anfang von Teil I stellen können.

Nach E. Tov ist zu unterscheiden zwischen a) einer vorläufigen Veröffentlichung solcher Textfragmente in Zeitschriften wie Revue de Qumran, Revue Biblique, Kirjath Sepher (oder auch in solch einem Kongreßband!), und b) der offiziellen Publikation in der Serie DJD (Discoveries in the Judaean Desert) der Oxford University Press. Beides wird wohl auch 1996 noch nicht abgeschlossen sein. Das ist insofern kein großes Unglück, als seit 1992 alle noch unveröffentlichten Qumrantexte durch gute Photos und Microfiches jedem Interessenten zugänglich sind, wobei diese dank moderner elektronischer Verfahren ("scanning") manchmal besser lesbar sind als die im Palestine (Rockefeller-) Museum aufbewahrten Originale und erst recht als die Positive des Mikrofilms der Huntington Library, die R. Eisenman und James Robinson edierten. Eine große Hilfe sind auch die neuen Verzeichnisse der Texte aus der Wüste Juda (zu denen auch die aus Masada, Seelim und Hever gehören), die durch detaillierte Angaben charakterisiert sind.

Wie man solche Textfragmente besser lesbar machen kann (Kontrast, Helligkeit, Vergrößerung, Zusammensetzung) beschreibt A. Lange in seinem Beitrag über das von ihm entwickelte Verfahren CATT (= Computer Aided Text-Reconstruction and Transcription; 223-232). Als Beispiel führt er die wichtige Stelle 4Q 174 I,7 (= 4 Q Florilegium) vor (s. Taf. 9), wo nicht etwa ma’ase torah = "Werke des Gesetzes", sondern ma’ase todah = "Werke des Dankes" zu lesen sei ­ für mich eine wirkliche lectio difficilior, was den Inhalt angeht.

Die hier behandelten neuen biblischen Texte werfen auf das viel diskutierte Problem der Herausbildung des Kanons neues Licht. Nach dem von A. Rofé und E. Ulrich vorgestellten Fragment 4 Q Jos ist die (wohl redaktionell eingefügte) Erzählung vom Bau eines Altars und der Notierung des Gesetzes auf den Steinen (vgl. Deut 27,2-8), die im Masoretischen Text Jos 8,30-35 steht und in LXX Jos 9,2 beginnt, in 4Q Jos mit Jos 5,27 verbunden: Dieser Akt hätte demnach wesentlich früher, aber auch sinnvoller, unmittelbar nach dem Überschreiten des Jordan und vor der Beschneidung in Gilgal stattgefunden. Auch Josephus (Ant 5,20), sowie Mischna und Tosefta folgen offensichtlich dieser in 4Q Jos gebotenen Überlieferung. Nach einem Beitrag von Peter W. Flint (31-52) war der in Qumran besonders beliebte Psalter ­ es sind dort 36 verschiedene Handschriften des biblischen Psalmbuchs bezeugt ­ nur in seinem ersten Teil (Ps 1-89) stabil und mit MT identisch, während der zweite Teil in stark voneinander abweichenden Sammlungen vorlag, was die Reihenfolge der Psalmen betrifft (vgl. auch die Psalmenrolle aus der Höhle 11).

B. Nitzan (53-72), die sich als Spezialistin für Gebete und Segenssprüche einen Namen gemacht hat, bietet die Fragmente 4 Q Berakhoth 286-290, einen Lobpreis der Eigenschaften und Heilstaten Gottes in einer Fülle prädizierender Nomina, die man geradezu für ein neues kabbalistisches Sephiroth-System verwenden könnte.

Auch apokryphe und pseudepigraphe Schriften waren in Qumran wohlbekannt. Ein Jeremia-Apokryphon 4Q 385B, vorgestellt von D. Dimant (11-36), zeigt den Propheten bei den Exulanten am Euphrat und in Ägypten; es ist vor allem mit 2Makk 2,1-6 verwandt. Im Fragment 4Q 265 (J. Baumgarten 3-10) werden die strikten Reinheitsgebote der Damaskusschrift auf Adam und Eva angewendet (vgl. Jub Kap 3; 8,19); 4 Q 222 (J. C. VanderKam; J. T. Milik 105-114) bietet das Versprechen Jakobs, keine Kanaanäerin heiraten zu wollen, wie es Jub 25,9-12 enthalten ist (vgl. Gen 27,46-28,6).

Was das Alter dieser Fragmente und deren Autoren betrifft, so gehören sie in die vorchristliche Zeit und das bekannte Qumranmilieu. Auch da, wo eine spezielle Qumran-Terminologie fehlt (vgl. D. Dimant, 11. 30), sollte man in Anbetracht der Kürze und Bibelnähe dieser Textfragmente keine anderweitige Herkunft vermuten.

Der zweite Teil beginnt mit einer Studie von G. J. Brooke (114-132) über die Bedeutung von Jes 40,3 für die "Wüstengemeinde"; die Stellen 1QS 8,12-16; 9,19-21 werden methodisch hervorragend ausgelegt. Die Ansicht N. Golbs, nicht nur die dort geforderte Wegbereitung = Torastudium, sondern auch die Ortsbestimmung "in der Wüste" sei geistlich zu deuten, wird als irrig erwiesen. Scharfsinning und kenntnisreich erörtert L. H. Schiffman das Milluim-Fest der Tempelrolle (11 Q 15,3-16,14), d.h. die jährlich in der ersten Woche des Nisan durchzuführende Weihe für die Priester und den Hohenpriester (255-272). Nach E. M. Laperrousaz gehören die beiden Kupferrollen aus Höhle 3, welche das Versteck der Schätze des Tempels und des jüdischen Staates beschreiben, in die Zeit des Bar-Kochba-Aufstands (233-240). Johann Cook (133-147) gibt anhand der grossen Jesajarolle (1 Q Isaa) wichtige Aufschlüsse über die variierende Orthographie der Schreiber in Qumran. Beachtenswert sind auch die Beobachtungen von L. V. Montaner zur syntaktischen Struktur der Loblieder (Wortstellung, Gebrauch der Tempora, 287-304). G. W. Nebe vergleicht die sehr verschieden datierte Weisheitsschrift aus der Kairoer Geniza (von K. Berger zeitlich und inhaltlich in die Nähe von Qumran gerückt, nach H. P. Rüger erst mittelalterlich), mit dem Essenerbild des Philo und Josephus; trotz mancher Gemeinsamkeiten ist eine zeitliche Nähe wenig wahrscheinlich (241-254). Zu hypothesenfreudig ist D. D. Swanson bei seiner Untersuchung des endzeitlichen Gottesbundes "wie dem mit Jakob (geschlossenen)" (11 Q T 29,10; 273-286); allzuviel Alt-Bekanntes trägt H. W. Kuhn in seinem recht ausführlich geratenen Vergleich der Qumrantexte mit dem Galaterbrief vor (169-231). Demgegenüber hat die von J. Kampen gebotene Auslegung von Jesu Wort zur Ehescheidung Mt 5,31 f. den Vorzug, daß er dazu auch neues, von Wacholder-Abbegg eruiertes Material zur Damaskusschrift verwerten kann (149-167). Aber meint porneia in Mt 5,32; 19,9 das Gleiche wie zenut in Qumran? (vgl. Mt 5,27-30; 15,9).

Alles in allem ist dies ein wichtiger, wohlgelungener Band.