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Ausgabe:

Januar/2012

Spalte:

69–71

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Siecienski, A. Edward

Titel/Untertitel:

The Filioque. History of a Doctrinal Controversy.

Verlag:

Oxford/New York: Oxford University Press 2010. XI, 355 S. 23,5 x 15,6 cm = Oxford Studies in Historical Theology. Lw. £ 30,00. ISBN 978-0-19-537204-5.

Rezensent:

Peter Gemeinhardt

Die Verlagsankündigung im Internet legt die Latte hoch: Das Buch von A. Edward Siecienski sei »the first comprehensive study of the history of the Filioque clause controversy, the defining issue in the split between Eastern and Western churches«; etwas vorsichtiger kündigt der Text auf dem Schutzumschlag »the first complete English-language history of the filioque written in over a century« an. Beim Stichwort »Filioque« geht es um die trinitätstheologische Frage, ob der Heilige Geist »aus dem Vater hervorgeht« (ἐκ τοῦ πατρὸς ἐκπορευόμενον), so der griechische Text des Nizäno-Konstantinopolitanums (NC) von 381, oder »aus dem Vater und dem Sohn« (ex Patre Filioque), so der lateinische Normtext dieses Be­kenntnisses. Es geht aber auch um die kanonistische Frage, wer den Bekenntnistext definieren und modifizieren darf. Erst mit dem 9. Jh. hebt die eigentliche Kontroverse an. S. spannt den Bogen aber weiter und bezieht auch die biblischen und patristischen Pneumatologien ein, auf die in der Jahrhunderte langen Debatte rekurriert wurde. Insofern auch ökumenische und systematisch-theologische Diskussionen der Gegenwart (knapp) zur Sprache kommen, deckt der Band tatsächlich den gesamten Zeitraum der Filioque-Kontroverse ab.
Auf eine knappe »Introduction« (5–15) folgen ein Kapitel über »The Procession of the Holy Spirit in the New Testament« (17–31) sowie zwei weitere Kapitel über die griechische und die lateinische Patristik (33–50.51–71). Ein eigenes Kapitel ist Maximus Confessor gewidmet (73–86). Kapitel 5 bis 7 eilen durch das Mittelalter – in den Periodisierungen 7.–11. Jh. (87–109), 11.–13. Jh. (111–131), 1274–1438 (133–150) –, während das Unionskonzil von Ferrara-Florenz 1438/39 ausführlich behandelt wird (151–172). Kapitel 9 geht wieder in großen Schritten »From Florence to the Modern Era«, d. h. bis zu den ökumenischen Anfängen im 19. Jh. (173–191), während das ab­schließende Kapitel die Gespräche im 20. und 21. Jh. behandelt (193–213). Ein knapper Epilog (215) schließt das Werk ab. Dem umfang­reichen Anmerkungsteil (217–307) folgen ein – allerdings lücken haftes – Quellen- und Literaturverzeichnis (309–341) sowie ein In­dex (343–355), der entsprechend angelsächsischen Gepflogenheiten nicht weiter gegliedert und daher recht unübersichtlich ist.
Die Stationen der Filioque-Kontroverse kommen also recht vollständig vor, allerdings je nach Schrittgeschwindigkeit oft nur sehr kursorisch. Schwerpunkte liegen erkennbar bei Maximus Confessor (dem mehr als dreimal soviel Raum gewidmet ist wie Augustin) und dem Konzil von Ferrara-Florenz. Das ist kein Zufall, denn hier traten Ost und West erstmals in ein echtes Gespräch über die patristische (Nicht-)Bezeugung des Filioque ein. Dafür spielte nun Maximus’ Epistula ad Marinum eine zentrale Rolle (154.163–170), in der S. die Basis einer heutigen Verständigung über das Filioque erblickt (11 f.201 f.215). Bereits Maximus habe ja klargestellt, dass eine trinitarische Ursprungsbeziehung zwischen Sohn und Geist (δι᾿ υἱοῦ) nicht negiert werden dürfe, solange sie die Alleinursächlichkeit (μοναρχία) des Vaters nicht beeinträchtige (78) – was die lateinische Lehre, recht verstanden, auch gar nicht intendiere (81), wie Augustins Hinweis auf die principaliter aus dem Vater erfolgende processio des Geistes belege (84). S. folgert daraus: »The filioque was an orthodox (albeit clumsy) way of articulating an important theological truth« (86), nämlich der trinitätsimmanenten (nicht nur heilsökonomischen) Beziehung von Sohn und Geist (προϊέναι), aber ohne Seinskonstitution (ἐκπόρευσις). Er schließt jedoch eine Kautele an: »While willing to accept the filioque as an orthodox expression of this reality, one must be careful not to read into Maximus’s position an endorsement of the later Latin teach­ing, especially as it was explicated by the Carolingians and Scholastics« (85). Dies lässt ein bekanntes Interpretationsmuster erkennen: Während die griechische Patristik das Filioque konsequent negierte und die lateinischen Väter nur aufgrund eines Mangels an sprachlicher Differenzierungsmöglichkeit in gefährliche Gewässer gerieten, blieb ein consensus septemsaecularis bestehen, den die theologisch ebenso ambitionierten wie unbedarften Karolinger aufgekündigt und letztlich auch dem Papsttum aufgezwungen hätten. Maximus dient (wie auch bei Jean-Claude Larchet, Maxime le Confesseur: médiateur entre l’Orient et l’Occident, Paris 1998) dabei als Gewährsmann für die Orthodoxie der lateinischen Patristik – die er freilich, wie S. einräumt, wohl nicht aus eigener Lektüre und Sprachkenntnis kannte (80). Dennoch hält S. fest, dass die später heftig umstrittene Kausalität des Sohnes hinsichtlich des Ur­sprungs des Geistes mit Maximus als »post-patristic phenomenon« (und daher als durch Rekurs auf die authentische Tradition der Väter heilbar) gelten müsse (81). Und wo ein solcher Rekurs auf Maximus erfolgt sei, habe dies die ökumenischen Gespräche der Neuzeit über das Filioque entscheidend befruchtet (201 f.208.210 f.).
Diese Position und diese Hermeneutik kann man diskutieren. Wozu bedarf es aber darüber hinaus einer Geschichte der gesamten Kontroverse, die bereits Bernd Oberdorfer (Filioque. Geschichte und Theologie eines ökumenischen Problems, Göttingen 2001) aufgearbeitet hat? S. gibt folgende Begründung dafür, warum Oberdorfers Darstellung nicht ausreiche: »The work was in German and its claim that the Protestant Reformation changed the dynamics of the debate was (to my thinking) highly suspect« (VII). Tatsächlich finden die Reformatoren (174–177) nur wenig und moderne Positionen von Oberdorfer und anderen Zeitgenossen gar keine Erwähnung, obwohl die trinitätstheologische Debatte ja gerade im angloamerikanischen Raum längst über Rahner, Moltmann und Barth (200–206) hinausgeschritten ist. Hier liegt ein Defizit, das sich aber konsequent aus dem skizzierten Rekurs auf die Patristik ergibt.
Ebenso ambivalent ist der oben genannte Verweis auf die Sprache: Das Buch basiert weitestgehend auf englischsprachiger Sekundärliteratur und nimmt die deutsche oder französische Forschung überwiegend nur zur Kenntnis, wenn die betreffenden Werke ins Englische übersetzt sind. Die einleitend genannten »excellent studies« von Maria-Helene Gamillscheg, Oberdorfer und mir (VII) werden so gut wie überhaupt nicht ausgewertet; man findet noch eine ganze Reihe erstaunlicher Lücken in der Bibliographie. Zwar wäre es unbillig, bei einem so weit gefassten Thema eine erschöpfende Aufarbeitung der Literatur zu verlangen. Nur ist es misslich, wenn wichtige Studien z. B. zur Pneumatologie des Paulus (F. W. Horn, 1992), zum trinitarischen Streit des 4. Jh.s (L. Ayres, 2004), zu Augustins Trinitätslehre (R. Kany, 2007), zu Anselm von Canterbury (G. Gasper, 2004), zu Luther (Chr. Heller, 1999) und Melanchthon (P. Gemeinhardt, 2004), schließlich sogar zur neueren Filioque-Debatte (Pro-Oriente-Tagung in Wien, 1998; »Common Statement« des lutherisch-orthodoxen Dialogs in den USA, 1998; Studie des ÖStA der VELKD, 2007) fehlen.
S. beabsichtigt, wo möglich, auf kritische Textausgaben zurück­zugreifen (VIII); oft passiert das aber nicht, z. B. bei den Briefeditionen des 9. Jh.s (in MGH) oder den Traktaten des Nikephoros Blemmydes über das Filioque (in SC), um nur zwei Beispiele zu nennen. An manchen Stellen geht dies auf Kosten der Klarheit: Nach der kritischen Ausgabe in MHS.C V lehrte das III. Konzil von Toledo (589) das Filioque noch nicht; spätestens hier wird deutlich, dass S.s Verzicht darauf, die lateinische Textgeschichte des NC zu berücksichtigen (vgl. P. Gemeinhardt, Die Filioque-Kontroverse zwischen Ost- und Westkirche im Frühmittelalter, Berlin 2002, 41–74), einen entscheidenden Aspekt in der Entstehung der Debatte vernachlässigt.
Fazit: S. löst den Anspruch, eine »vollständige« und »umfas­sende« Darstellung der Filioque-Kontroverse zu bieten, allenfalls quantitativ ein, während die systematische Durchdringung eher konventionell, ja streckenweise unterkomplex bleibt. Wo S.s Herz schlägt – bei Maximus Confessor und der spätbyzantinischen Theo­logie –, wird aus den Quellen ein plastisches Bild der Debatten gezeichnet (differenzierter als zuletzt bei Th. Alexopoulos, Der Ausgang des thearchischen Geistes, Göttingen 2009). Die anderen Kapitel bringen freilich nicht viel Neues und vermitteln weder ein Verständnis für die patristische Begründung des Filioque noch für seine Verteidigung und Entfaltung in der mittelalterlichen la­tei­nischen Theologie. Gewiss ist das gewählte Thema »one of the most interesting stories in all of Christendom« (V). Aber bis auf Weiteres ist es noch nicht zwischen zwei Buchdeckeln erschöpfend behandelt.