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Ausgabe:

Januar/2012

Spalte:

67–69

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Kummer, Joachim

Titel/Untertitel:

Politische Ethik im 20. Jahrhundert. Das Beispiel Walter Künneths.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2011. 288 S. 23,6 x 16,2 cm. Geb. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-02864-1.

Rezensent:

Harald Seubert

Joachim Kummer kommt das Verdienst zu, die erste umfassende Monographie über den Erlanger Theologen Walter Künneth (1901–1997) vorgelegt zu haben: langjähriger Ordinarius für Systema­tische Theologie an der Erlanger theologischen Fakultät und in der Nachkriegszeit eine maßgebliche Persönlichkeit des konservativen Luthertums. Die von Reinhard Slenczka (Erlangen) betreute Dissertation besticht durch ihre theologische Urteilsschärfe und die genaue Kenntnis reformatorischer Theologie und ihrer Wirkungsgeschichte, in deren Kontext Künneth gewürdigt wird. Dabei ist K. keineswegs unkritisch gegenüber Künneth. Er sieht alle Zeitbedingtheiten scharf und beurteilt sie aus genauer Rekonstruktion, wobei in präziser methodischer Strenge zwischen quaestio facti und quaestio iuris unterschieden wird. – Dieses Buch setzt methodisch und sachlich neue Maßstäbe für die theologische Zeitgeschichte des 20. Jh.s.
Der Notwendigkeit zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus konnte Künneth weder als junger Privatdozent in Berlin noch als Leiter der Apologetischen Centrale entfliehen. So ging er in die Zeitgeschichte als Autor einer fundamentalen Antwort auf Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunderts (1935) ein. Künneths Kritik setzt damit ein, dass der Rassemythos bei Rosenberg zu einem primum principium erhoben werde, also selbst dogmatische Bindekraft erhalte. An diesem Punkt konnte es keine Konzessionen geben.
Künneth entfaltete seine Position über das Verhältnis von Theo­logie und Politik dann in seiner politischen Ethik Politik zwischen Dämon und Gott (1954), die die Folgerungen aus dem totalitären Zeitalter zu ziehen sucht. Wie K. in seiner eingehenden Analyse dieses Hauptwerks belegt, erteilt Künneth einer historischen Kontextualisierung der Zwei-Reiche-Lehre eine klare Absage. Künneth erkennt insbesondere dem Staat und der Transformation von Macht in Rechtsverhältnisse hohe Bedeutung zu. Dabei legt er, in prägnanter Summierung der Erfahrungen mit dem NS-Reich, dar, dass jederzeit die Grundformen staatlichen Handelns, Ehre, Eid, Kriegsführung ins Dämonische abgleiten können. Künneth insistiert darauf, dass Staatspolitik im göttlichen Gebot Anspruch und Grenze findet – so wie sich dies in der Formel von der Verantwortung vor Gott und den Menschen (Barmer Bekenntnis) und in der praeambula fidei ausdrückt. Die Theonomie ist aber immer nur im Zeichen des Sündenfalls zu verstehen. Deshalb ist weltliche Ordnung Abbild und zugleich Perversion göttlicher Ordnung.
Von fundamentaltheologischer Begabung wie von fundierter Kenntnis zeugt K.s umsichtige Rekonstruktion der diesem Ansatz zugrundeliegenden Hermeneutik. Sie geht von dem Grundsatz aus, dass die Heilige Schrift »sui ipsius interpres« ist, was den Aufweis der Mitte der Schrift erforderlich macht, deren Fundierung Künneth im Auferstehungsglauben sah. Hinsichtlich Schriftprinzip und Schriftgebrauch macht K. aber Einwände gegenüber Künneth geltend: Bei ihm zeige sich immer wieder ein Schwanken zwischen reformatorischem Schriftprinzip und der Deutung der Schrift als geschichtliches Zeugnis. Die Untersuchung der Genese der ethischen Grundbegriffe Künneths erweitert und vertieft die gewonnenen Ergebnisse. Sie zeigt eine frühe Bindung an neureformatorischen Systemzwang, von dem sich Künneth nach und nach lösen konnte.
Ein Proprium des theologischen Denkens von Walter Künneth ist die heilsgeschichtliche, biblisch fundierte Deutung von Welt und Geschichte. Diesen Zug arbeitet K. mit besonderer Sorgfalt und Darstellungskraft heraus. Dies führt zurück zu den Konstellationen der 30er Jahre: der zweideutig bleibenden Positionierung dieser Theologie in der Nähe zur Bekennenden Kirche, aber in bleibender Ambivalenz ihr gegenüber und in Abgrenzung von den Deutschen Christen bei einer starken nationalen Orientierung.
Ein eigenes gründliches Kapitel widmet die Arbeit Künneths Begriff der ›Erhaltungsordnung‹ und ihrer Entfaltung seit den 30er Jahren. K. zeigt, dass Künneth von Schöpfungsordnung deshalb nicht mehr in einem ungebrochenen Sinn sprechen konnte, weil er darin eine Verharmlosung des Sündenfalls sah. K. zeigt nun in Behandlung von Künneths Schriften der 30er Jahre, dass es dem Theologen selbst keineswegs immer gelungen sei, »in der akuten Situation quaestio iuris und quaestio facti« hinreichend zu unterscheiden. Nicht das moralische Urteil des Nachgeborenen, sondern diese entscheidende Differenz wird daher für den Interpreten zum kriteriologischen Instrument. Künneth überschritt die Grenze und blieb hinter seinen eigenen Normen zurück, wenn er zu Anfang der 30er Jahre vom »Gebot der Stunde« und von »Volk« und »Rasse« als Verleiblichung des Wortes Gottes sprach. Künneth ist hier frei lich sehr ambivalent. Denn den Prinzipien einer zeitgenössischen Volksnomostheologie und ihrer Aufwertung zu einer zweiten Offenbarung hat er stets mit Entschiedenheit widersprochen. Doch ließ er es an hinreichend eindeutiger Begründung des Widerstandes gegenüber den Nürnberger Rassegesetzen fehlen. So formulierte er Thesen, vor denen die Nachgeborenen mit Irritation und teilweise mit Erschrecken stehen. K. minimiert diese Züge nicht. Er rekonstruiert vielmehr die Unterscheidungen, die Künneth traf, und befragt sie auf ihre Berechtigung. Er zeigt aber ebenso deutlich, wo Künneth einer neuheidnischen »Rassereligion« entschiedenen und eindeutigen Widerstand entgegensetzte. Deutlich wird auch, dass das Amt Rosenberg mit großen, teilweise per­- sönlichen Invektiven gegen Künneth zielte und dass er diesen An­griffen unerschrocken standhielt. K. gelingt gerade in den intrikates­ten Feldern seiner Untersuchung, was sehr selten ist: genaue Dif­ferenzierung, ohne daraus eine Apologie von Positionen her­zu­leiten, die sich der Apologie versagen.
Kritisch weiterführend scheinen K. die Auseinandersetzungen Künneths mit dem Problem des Krieges: Kriege werden ihre Form nicht verändern, sie sind gebunden an Böses, Irrtum und Versagen, weshalb der Erwartung an einen Krieg zur Verhinderung aller Kriege, aber auch des Kriegs als Instrument zur Höherentwicklung der Menschheit nur widersprochen werden kann. In diesem Punkt hatte Künneth sich in der Nachkriegszeit nicht zu revidieren. Auch an der Forderung einer grundsätzlich konservativen Haltung des Christen hielt Künneth zeitlebens fest. Er verband sie aber stets mit der eindeutigen Grenzziehung der Zwei Reiche. Unverrückbar bleibt für ihn die Maxime, dass Gott mehr zu gehorchen sei als den Menschen.
K. ist es gelungen, einen in die Strittigkeiten der Zeit gezogenen Theologen zu vergegenwärtigen und dabei Bedeutung und Strittigkeit seines Erbes gleichermaßen anzuzeigen. Wo seine Kritik einsetzt, geschieht dies aus wohlbegründetem theologischem und zeithistorischem Urteil, nicht aus dem Besserwissen des Nachgeborenen. Künneth auf diese Weise wieder in die theologische De­batte eingebracht zu haben, es sich dabei nach keiner Seite leicht gemacht zu haben, zeugt von der herausragenden Qualität dieser Dissertation. Es wären mehr Arbeiten in ähnlichem Geist zu wünschen und es wäre von einer vielerorts noch an der Bewältigung der Väter haftenden kirchlichen Zeitgeschichte zu fordern, dass sie das Niveau dieser Arbeit nicht mehr unterschreitet.