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Ausgabe:

Januar/2012

Spalte:

65–67

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Treusch, Ulrike

Titel/Untertitel:

Bernhard von Waging († 1472), ein Theologe der Melker Reformbewegung. Monastische Theologie im 15. Jahrhundert?

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. XIX, 356 S. 23,2 x 15,5 cm = Beiträge zur historischen Theologie, 158. Lw. EUR 94,00. ISBN 978-3-16-150842-4.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Bei der vorgelegten Untersuchung handelt es sich um eine von Ulrich Köpf betreute und von der Evangelisch-theologischen Fakultät Tübingen 2009/10 angenommene Dissertation. Bernhard von Waging ist bisher fast nur im Kontext der Cusanus-Forschung bekannt geworden. Ulrike Treusch will nun Bernhard im Kontext der benediktinischen Reformbestrebungen darstellen – und das im Zusammenhang mit der Frage, ob es im 15. Jh. eine (wie Köpf vermutet) »Monastische Theologie« gegeben habe.
Bernhard ist einer der bedeutendsten Vertreter der von Nikolaus von Dinkelsbühl initiierten Melker Reform, die neben der von Bursfelde und Kastl steht. Das Kloster Tegernsee wurde ihr süddeutsches Zentrum. Vor allem auf dem Basler Konzil ging es um die Reform des Ordens. Der Augustinerchorherr und (Wiener) Bakkalaureus Bernhard trat zwischen 1430 und 1435 in Tegernsee als Mönch ein, weil er mehr Zeit für Studium und Kontemplation suchte. Diesen Übertritt hat er als Lebenswende erfahren. In Tegernsee wurde er zum Autor zahlreicher Schriften, die vor allem drei Themen gewidmet sind, der vita contemplativa, der theologia mystica und der Askese.
In seinen beiden der vita contemplativa gewidmeten Schriften (Speculum seu monitorium pastorum und Defensorium speculi pastorum) vertritt er den Vorzug des kontemplativen Lebens und lädt in ihnen zu dieser Lebensform ein, denn hier könne man »ruhiger und freier Gott dienen«, in ihm sei die Voraussetzung für mystische Erfahrungen gegeben (73 f.). So empfiehlt er Nikolaus von Kues diese Lebensform, als dieser daran denkt, sein Bischofsamt aufzugeben. Ausdrücklich hatte Nikolaus als päpstlicher Legat die Klosterreform unterstützt.
In einem umfangreichen Briefwechsel Bernhards mit dem Eichstätter Bischof Johann von Eych, aus dem die beiden genannten Schriften Bernhards hervorgingen, beharrt Bernhard darauf, dass das kontemplative Leben besser und nützlicher sei als jedes geistliche Amt. Ein solches solle nur der annehmen, der dazu genötigt würde. Es war ja gerade Bernhards Absicht bei seinem Übertritt nach Tegernsee, frei zu werden von den Aufgaben des geistlichen Amtes, das er als Kanoniker ausgeübt hatte: »Im Speculum lehnte Bernhard das kirchliche Amt und die Seelsorgetätigkeit wegen der damit verbundenen Gefahren für das eigene Seelenheil ab«, während Johann es für nötig erachtet, es zu übernehmen, ja Johann macht den Rückzug in die Klöster verantwortlich für den gegenwärtigen Zustand der Kirche (109 f.). Bernhard ist davon nicht zu überzeugen. Er meint geradezu, das kontemplative Leben nütze dem Nächsten, »da der Mönch als gutes Beispiel das Gott wohlgefällige Leben in der Tat … vorlebe, Fürbitte tue und durch das ständige Gebet und Lob Gottes für die Kirche wirke« (96). Beide legen die Maria-Martha-Erzählung gegensätzlich aus. Insgesamt wird man urteilen müssen (was T. so nicht ausspricht), dass es Bernhard um einen ausgesprochenen Heilsegoismus geht und ihn die übrige Menschheit kaum interessiert. Johann aber sieht im kontemplativen Leben nicht den einzigen Weg zum Heil, es bedürfe der tätigen Liebe als Ergänzung. Bernhard dagegen meint, die vita activa ende »in futura patria«, die vita contemplativa dagegen in der ewigen Gottesschau. Dem hält Johann entgegen, er erfahre die verhüllte Gottesschau täglich in der Eucharistie (117.131).
In die Kontroverse um eine theologia mystica greift Bernhard ein mit seinem Briefwechsel mit Nikolaus von Kues und mit seinen Schriften Laudatorium doctae ignorantiae und De cognoscendo Deum. De docta ignorantia des Nikolaus war für ihn Anlass, sich mit der Thematik zu befassen. Franziskaner verstanden unter Mystik ein Erlebnis, ein Ergriffensein des Menschen von der Gegenwart Gottes, letztlich eine anti-intellektualistische Haltung, die Dominikaner lehrten dagegen eine notwendige Beteiligung des Intellekts. Nikolaus lehrte nun, es gehe darum, das Unbegreifliche in nicht begreifender Weise zu erfassen, der Glaubende müsse ein »Wissen von Gott haben, um ihn zu finden« (153). Im 1454 begonnenen Briefwechsel mit ihm stimmt Bernhard dem zu, meint aber, »im eigentlichen mystischen Erleben (wirkt) der Affekt ohne aktuale Erkenntnis« (159). Auf Bernhards Bitte hin verfasst Nikolaus seine beiden Schriften De visione Dei und De beryllo. Bernhard betont in seinen beiden Schriften nun den Glauben als Voraussetzung der Gotteserkenntnis bzw. des mystischen Erlebens. »Die belehrte Unwissenheit ist für ihn Synonym für die mystische Theologie, und diese führt zur Schau Gottes« (168), sie ist ihm Heilsweg. Er bekräftigt das in De cognoscendo Deum und »führt exemplarisch den Weg der Gotteserkenntnis von der Suche zum Finden im mystischen Erleben vor. Jesus ist aber der Mittler der Gotteserfahrung« (175). Er schildert das mystische Erleben als Ekstase. Als Weg dazu empfiehlt er die Askese und die Kontemplation des Gekreuzigten. Gotteserkenntnis ist für ihn Gotteserfahrung im mystischen Erleben (186 f.), worauf die tägliche Eucharistiefeier vorbereite.
Bei Bernhards Schriften zur Askese geht es vor allem um die Betonung der Abstinenz vom Fleischessen. Der völlige Verzicht auf Fleisch wird für ihn und das Tegernseer Kloster identitätsstiftend (203). Die Benediktinerregel wird streng ausgelegt, Kapitel 39 verbietet gesunden Mönchen das Fleischessen vierfüßiger Tiere. Um­stritten ist, ob damit auch der Genuss von Geflügelfleisch gemeint sei. Dieser Überzeugung ist Bernhard und hält insgesamt den Fleischverzehr für eine schwere Sünde; würde er Fleisch essen, verachte er die Regel und verzichte auf den sicheren Heilsweg (239 f.). Der Mönch esse täglich das Fleisch Christi in der Eucharistie. Auch in diesen Schriften geht es ihm »um die Sicherung des Heils des Einzelnen« (257).
T. resümmiert: »Das monastische Leben in der Kontemplation ist für ihn die via perfectionis und Garant des Seelenheils.« Dem soll die Klosterreform insgesamt dienen; sie ist eine Reform aus der Tradition heraus (276 f.). Seine Theologie ist »eine Abkehr von der sachlich-wissenschaftlichen, scholastischen Theologie« (278) und insofern eine monastische Theologie, eine Theologie von Mönchen für Mönche, eine Theologie für einen elitären Kreis. Bernhards Theologie kennzeichnet ein soteriologisches Interesse, aber es geht um das Heil des Einzelnen. Die Kirche als Ganze ist kaum im Blick. Insofern ist Bernhards Theologie eine für eine Klosterreform, aber nicht für eine Kirchenreform. Es ist letztlich bedrückend, dass die so nötige Reform der Kirche Bernhard offensichtlich wenig am Herzen lag. Ja, die Arbeit zeigt vielmehr, wie notwendig die Reformation war, konnte es doch nicht nur um das Heil einiger Menschen gehen, sondern um das Heil aller. Das hätte T. am Schluss ihrer weithin deskriptiven Untersuchung deutlicher hervorheben sollen.
Mit ihrer Arbeit ist T. eine beeindruckende Leistung gelungen. Sie stellt uns die Melker Reformbewegung klar vor Augen. Beeindruckend ist die umfassende Verarbeitung der Quellen, die nur teilweise gedruckt vorliegen. Leider sind keine Register beigegeben, das sehr umfangreiche Inhaltsverzeichnis (9 Seiten!) ersetzt solche doch nicht.