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Ausgabe:

Januar/2012

Spalte:

59–61

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Biller, Peter, Bruschi, Caterina, and Shelagh Sneddon [Eds.]

Titel/Untertitel:

Inquisitors and Heretics in Thirteenth-Century Languedoc. Edition and Translation of Toulouse Inquisition Depositions, 1273–1282.

Verlag:

Leiden/Boston: Brill 2011. XV, 1088 S. 24,0 x 15,8 cm = Studies in the History of Christian Traditions, 147. Geb. EUR 149,00. ISBN 978-90-04-18810-5.

Rezensent:

Jörg Ulrich

Die komplizierte und teilweise sehr dunkle Geschichte des Katharismus im mittelalterlichen Südfrankreich und Oberitalien hat seit jeher hohe publizistische Aufmerksamkeit erfahren, wobei die seriöse wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema naturgemäß eine eher untergeordnete Rolle gespielt hat. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Quellen wurde zudem durch deren Disparatheit und komplizierte Überlieferung erschwert, was sich darin niederschlug, dass kaum befriedigende Editionen vorlagen. Diesem Missstand hilft der vorliegende Band nun ab. Vorgelegt wird eine Edition und englische Übersetzung mit historisch-philologischer Einleitung eines der wichtigsten einschlägigen Texte, nämlich der Inquisitionsakten von Toulouse zwischen 1273 und 1282.
Die Akten finden sich als Bände 25 und 26 der insgesamt über 250 Bände umfassenden, heute in der französischen Nationalbibliothek in Paris befindlichen Sammlung Doat, die benannt ist nach Jean de Doat, dem Leiter einer Arbeitsgruppe, die im 17. Jh. in den Archiven und Bibliotheken Südwestfrankreichs Manuskripte ab­geschrieben und sie uns so mittelbar erhalten hat. Der Text von Doat 25–26 war bisher in einer im Internet einsehbaren Ausgabe von J. Duvernoy greifbar (Registre de l’inquisition de Toulouse), die aufgrund ihrer zahlreichen Fehler aber höchst unbefriedigend war (30). Der Hauptherausgeber der nun vorliegenden neuen Edition, Peter Biller, Professor für Mittelalterliche Geschichte an der University of York, u. a. hervorgetreten durch eine viel beachtete Monographie zu den Waldensern, blickt auf nicht weniger als auf eine 35 Jahre währende Beschäftigung mit Doat 21–26 in Lehre und Forschung zurück (VII f.) und legt nun das Ergebnis seiner Bemühungen um diesen Text vor; die Vollendung wurde freilich erst ermöglicht durch die historische und philologische Kooperation der beiden Mitherausgeberinnen: die editionserprobte Historikerin Caterina Bruschi, Senior Lecturer für mittelalterliche Geschichte an der University of Birmingham, und die Mittellatinistin Shelagh Sneddon, die am Projekt des Dictionary of Medieval Latin from British Sources in Oxford mitarbeitet.
Die Einleitung besteht aus vier knappen und konzisen Kapiteln. Das erste (3–33) klärt die Geschichte des Textes von den verlorenen mittelalterlichen Akten selbst (einige interessante Erwägungen über das Original finden sich 10–14) über die frühneuzeitlichen Kopien der Doat-Gruppe (einige gute Hinweise zu deren Interessen und Intentionen finden sich 20–26) bis hin zu modernen Transkriptionen und kritischen Editionen kleinerer Abschnitte in wissenschaftlichen Arbeiten neuesten Datums. Es schließt mit kurzen Hinweisen auf Interpretationstendenzen in der modernen Forschung (28–33), wobei auch deren etwas problematischere Beiträge mit wohlwollender britischer Zuvorkommenheit freundlich ge­würdigt werden.
Das zweite Kapitel der Einleitung (35–63) bietet einen histo­-rischen Abriss über die Inquisition von 1273 bis 1282, der sich auf ihre Vorgeschichte, auf den politischen Hintergrund ihres (Neu-) Entstehens und auf prosopographische Notizen über die Inquisitoren konzentriert. Da die historischen Umstände wohl bekannt und schon des Öfteren dargestellt worden sind, konnte Peter Biller sich hier auf das Nötigste beschränken; durchaus wei­terführend sind die Ausführungen über typische Karrieremuster von Inquisitoren (48–53).
Das dritte Kapitel der Einleitung (65–116) stellt in gründlicher Manier alles zusammen, was aus den Akten über den Ablauf des Verfahrens, über die Notare und über die Zeugen er­sichtlich wird.
Das vierte Kapitel (117–128) schließlich gibt Auskunft über die (zahlreichen) offenbar großer Eile der Kommissionsmitglieder ge­schuldeten Abschreibfehler sowie über die Editionsprinzipien und Übersetzungskriterien.
Bei den Editionsprinzipien fiel die Entscheidung richtigerweise zugunsten einer möglichst »konserva­tiven«, also so nah wie möglich am Manuskript orientierten Wie­dergabe (121 f.). Die von den Mitgliedern der Doat-Kommission in frühneuzeitlichem Französisch abgefassten Kurzeinleitungen zu jeder Befragung sind typographisch (kursiv) von den lateinischen Verhörprotokollen (recte) abgehoben. Okzitanische Phrasen innerhalb des lateinischen Textes sind in diesem nicht eigens abgehoben gedruckt. Die Orthographie ist bei wenigen behutsamen Angleichungen wie im Manu-skript belassen. Da, wo eine Diskussion über die Textkonstruktion nötig war, erfolgt diese im Fußnotenapparat, der auch zahlreiche sachliche Hinweise und hilfreiche Kurzkommentierungen enthält. Ein eigener Referenzstellenapparat war an­gesichts des Inhalts des Textes entbehrlich. Die moderne englische Übersetzung legt den Schwerpunkt, anders als die Edition der Quelle, auf eine gute Lesbarkeit, ohne dabei unzulässig weit vom Originaltext abzuweichen (122). Mit großer Behutsamkeit wurde das schwierige Problem der Orts- und Personennamen einer vorbildlichen Lösung zugeführt (122–127).
Den Inhalt des nun zuverlässig vorliegenden und durchweg gut übersetzten Textes wiederzugeben oder zu interpretieren, kann nicht Aufgabe einer Besprechung sein, die sich nur zu Anlage und Qualität der vorgelegten Edition zu äußern hat. Es sei daher hier nur darauf hingewiesen, dass sich vielschichtige Bilder einer katharischen Hierarchie im italienischen Exil, eines Wiederauflebens des Katharismus im Languedoc und schließlich seiner weitgehenden Überwindung durch die neu einsetzende Inquisition ergeben; die Verhöre spiegeln eine außerordentliche religiöse, aber auch soziale und kulturelle Buntheit und Vielfältigkeit. Mit den Toulouser Akten harrt also nunmehr sehr komplexes und viel versprechendes Quellenmaterial der weitergehenden Analyse, das von seinem Wert her an die viel beachteten Inquisitionsregister des Jacques Fournier aus dem frühen 14. Jh. heranreicht und diese historisch gesehen in gewisser Weise antizipiert.
Die Bibliographie (981–989) beschränkt sich zumindest hinsichtlich der Sekundärliteratur auf das Wichtigste und Notwendigste und hätte gern etwas ausführlicher gestaltet werden können; dem Benutzer der Edition hätte man so einige Mühen eigener Bibliotheksrecherche erspart. Eine Fundgrube ist indes der von Caterina Bruschi erarbeitete Index der mittelalterlichen Personennamen, der auf über 70 Seiten (992–1066) nicht weniger als eine kleine Prosopographie des Katharismus, soweit die sich aus der edierten Quelle ergibt, bietet. Das Register der mittelalterlichen Ortsnamen (1069–1088) stammt von Peter Biller und illustriert eindrucksvoll die regionale Verteilungsdichte des Katharismus, wenngleich Lokalisierungsversuche hin und wieder schlicht an die Grenzen unseres Wissens stoßen (122–124).
Entstanden ist ein Meilenstein der Forschung nicht nur zum Katharismus und zur Geschichte der Inquisition, sondern zum 13. Jh. insgesamt. Die Edition stellt, da wir für Doat 25–26 nun einen zuverlässigen Text haben, neuen Arbeiten, die sie gewiss evozieren wird, eine sichere philologische Grundlage zur Verfügung und die englische Übersetzung ermutigt dazu, die Quelle auch im (nicht nur angelsächsischen) Seminarbetrieb zum Thema »Ketzer im Mittelalter« einzusetzen.