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Ausgabe:

Januar/2012

Spalte:

47–49

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Denaux, Adelbert

Titel/Untertitel:

Studies in the Gospel of Luke. Structure, Language and Theology.

Verlag:

Berlin/Münster: LIT 2010. XII, 386 S. 23,5 x 16,2 cm = Tilburg Theological Studies, 4. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-643-90060-9.

Rezensent:

Hans Klein

Adelbert Denaux, der langjährige Professor für Neues Testament an der katholischen Fakultät der Universität Leuven, hat sich seit seiner Dissertation im Jahr 1967 unter der Leitung von Frans Neirynck über das Thema »De sectie Lc. XIII,22–35 en haar plaats in het lucanse reisbericht« immer wieder mit Themen beschäftigt, die in unmittelbarer Nähe oder im weiteren Umfeld dieser Arbeit standen. In der zu besprechenden Sammlung von 13 Aufsätzen legt er seine minutiösen Studien, größtenteils aus den letzten 20 Jahren, einem größeren Leserkreis vor. In ihnen zeichnet sich D. durch genaue Analysen, umsichtige Kenntnis und Verarbeitung der vorhandenen Literatur und gute Beobachtungen an den Texten aus. Die Leserinnen und Leser werden in das Ringen um ein adäquates Verständnis der jeweiligen Texte hineingenommen, wobei die Zugänge zu den Texten mit Hilfe einer Kombination von verschiedenen Methoden erschlossen werden. D. ist ein Meister in der Verbindung von synchroner und diachroner Betrachtung, ein akribisch genauer Arbeiter, ein verständnisvoller Leser der bereits erfolgten Untersuchungen seit dem 19. Jh. und ein sorgfältiger Beurteiler von unterschiedlichen Meinungen, die er in ihrer Vielfalt zu Worte kommen lässt, bevor er sich von ihnen absetzt und seine eigene Sicht der Dinge beschreibt und mit Argumenten begründet. So werden Leser und Leserinnen immer auch mit der Problematik der Auslegung vertraut gemacht und können auf diese Weise zu einem vertieften Verständnis der biblischen Aussagen finden.
Das Buch ist in drei Hauptteile gegliedert: I. vier allgemeine Studien zu Lukas (Luke in General, 3–110), die ersten beiden zum Reisebericht (Travel Narrative), die beiden folgenden zum Thema himmlischen Besuches; II. sechs Studien zu Einzeltexten (Individual Passages in Luke, 113–306), fünf davon zu solchen des Reiseberichtes und eine zur Ostergeschichte; III. drei Untersuchungen zur Sprache und zum Stil des Lukas (Language and Style of Luke, 309–370), wobei die erste eine Wendung der Emmausgeschichte untersucht, die beiden weiteren sich zu Sprach- und Stilfragen insgesamt äußern. Die Studien sind aufeinander abgestimmt und ergeben ein sinnvolles Ganzes, in dem die Texte des Reiseberichtes eine überragende Stellung einnehmen:
Zwei Untersuchungen zu den Einzeltexten: »The Parable of the Talents/Pounds (Q 19,12–27). A Reconstruction of the Q-text« (223–251) und »The Parable of the King-Judge (Lk 19,12–28) and its Relation to the Entry Story« (253–273) widmen sich dem Gleichnis von den »anvertrauten Pfunden« (Lk 19,12–27) und somit der Frage nach dem Ende des Reiseberichtes, das er in der ersten Studie (»The Delineation of the Lukan Travel Narrative within the Overall Structure of the Gospel of Luke«; 3–37) auf 19,44 festgelegt wissen will, auch darum, weil er die Perikope vom Einzug in Jerusalem eng mit dem Gleichnis von den Pfunden verbunden sieht. Die Rekonstruktion des Gleichnisses von den Pfunden in Q deckt sich weitgehend mit jener des International Q Project (IQP), was anzeigt, dass D. sich in den Bahnen der internationalen Forschung bewegt. Der Frage nach der Gattung des Reiseberichtes geht D. in einem eigenen Beitrag »Old Testament Models for the Lukan Travel Narrative. A Critical Survey« (39–70) nach, wo er sich als herausragender Kenner der diesbezüglichen vor allem angelsächsischen Literatur erweist, in der das Deuteronomium, das Exodus-Motiv und die Wüstenwanderung zur Interpretation des Reiseberichtes herangezogen wurden. D. versteht den Reisebericht, wie das Evangelium insgesamt, von verschiedenen alttestamentlichen Motiven beeinflusst (63). Er wehrt sich aber gegen die Ableitung des Reiseberichtes von einer bestimmten alttestamentlichen Vorstellung, etwa des Exodus (64).
Zwei weitere Studien sind Texten des Reiseberichtes gewidmet: »Das Jesuswort der zwei Wege im Epilog der Bergpredigt (Mt 7,13–14 par Lk 13,23–24). Tradition und Redaktion« (149–179) und »L’ipocrisie des Pharisiens et le dessein de Dieu. Analyse de Lc 13,31–33« (181–222). Für Mt 7,13 f./Lk 13,23 f. rekonstruiert er aufgrund minutiöser Kleinarbeit eine Q-Vorlage, die, wiewohl bereits 1981 fertiggestellt, nahe an IQP heranreicht, und hält die Möglichkeit offen, dass in dem Doppelspruch die ipsissima vox Jesu vernehmbar ist (172 f.). Im Zusammenhang der Analyse von Lk 13,31–33 glaubt er nachweisen zu können, dass dieser Text eine lukanische Bildung als Einleitung zu Lk 13,34 f. ist, in der Motive aus Mk 6,6–15 verwertet wurden (197–203). Dazu bemüht er vor allem die häufigen Lukanismen in diesem Text und stellt eine Lukas gemäße theologische Ausrichtung fest. Dass Lukas einen Text in eigene Sprache gegossen haben kann, der dennoch ihm (mündlich?) vorgegeben war, be­streitet D. Wie Lukas aber dazu gekommen sein soll, Herodes einen »Fuchs« zu nennen, der nicht wie im griechischen Verständnis üblich »schlau« ist, sondern eher in alttestamentlicher Tradition »niederträchtig«, weil er töten will, wird durch D. nicht erklärt. Er merkt nur an, dass »dieser« Fuchs ein lukanisches Stilmittel ist (196). Hier merkt man eine Tendenz, Texte des Sondergutes möglichst Lukas zuzuschreiben. Seiner eigenen Forderung in seinem letzten Beitrag, »Characteristic Language Use in Luke. The Search Criteria« (349–370), einer umfassenden Darstellung der Wort- und Stileigentümlichkeiten des Lukas: »the word must occur in at least three different contexts to be relevant for eventual characteristic language use« (363), wird er an dieser Stelle nicht gerecht.
Dieselbe Tendenz wird auch in der Auslegung der Ostergeschichte, »Luke’s Story of Resurrection (Lk 23,54–24,53)« (275–306) wiederum sichtbar, wenn er, freilich mit Hinweis auf die Forschungen von Frans Neirynck, Lk 24,12 und dann besonders 24,36 ff. dem Evange­listen zusprechen will, unter der Voraussetzung, dass Johannes von Lukas abhängig ist. Da wird Lukas zu viel Eigenständigkeit zugeschrieben. Das hängt daran, dass D. wohl dem Vokabular und dem Stil des Lukas nachgeht, nicht aber der Frage, wie sehr er Texte seiner Quellen selbständig umformulierte und umgestaltete, was man an der Bearbeitung des Markus-Textes durch Lukas beobachten kann. Lukanische Stilelemente allein sagen zu wenig darüber aus, ob ein Text von Lk geschaffen oder bloß verändert wurde. Umso dankbarer werden die Leserinnen und Leser für die Auslegung dieser Geschichte sein, die er als ein kompaktes Ganzes in den Blick nimmt und jedem wichtigen Motiv einzeln nachgeht.
Der Emmausgeschichte hat er in drei weiteren Aufsätzen besondere Aufmerksamkeit gewidmet. In seiner Studie »The Meaning of the Double Expression of Time in Luke 24,29« (309–328) bringt er zusammen mit Inge van Wiele bisher in solchem Zusammenhang nicht bedachte Belege für ihre Sicht bei, dass Jesus den Emmausjüngern zu Mittag nahe gekommen sei. Der Spruch: »… es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt«, beziehe sich auf die neunte Stunde, nachmittags um drei Uhr. Nach solchem Verständnis geht die Tageseinteilung von Lk 24 auf (besonders 327).
In »The Theme of Divine Visits and Human (In)Hospitality in Luke-Acts. Its Old Testament and Greco-Roman Antecedents« (71–92) zeigt D. zunächst, wie oft bei Lk Besuche von Gästen erzählt werden, und zieht die verschiedenen antiken Berichte von der Erscheinung einer Gottheit als Gast auf Erden heran. Neben Aussagen von Homer geht er sorgfältig auf den Götterbesuch bei Philemon und Baucis aus Ovids Metamorphosen, aber auch auf den Besuch bei Abraham in Gen 18 ein. Damit beleuchtet er die Texte, in denen Jesus als Gast erscheint und die von Gottes Kommen zu den Menschen im Evangelium und in der Apostelgeschichte sprechen. Dieses Thema wird in »A Stranger in the City. A Contribution to the Study of the Narrative Christology in Luke’s Gospel« (93–110) besonders im Hinblick auf die Aussage der Emmausjünger, der sie begleitende Jesus sei ein Fremder in der Stadt, entfaltet. Eine Sonderstellung innerhalb dieser Studien nimmt die Untersuchung »The Q-logion Mt 11,27/Lk 11,22 and the Gospel of John« ein – ein Text, der zu den übrigen Beiträgen des Buches kaum in Beziehung steht. Darin untersucht D. den Q-Text bei Mt und Lk in ihrem jeweiligen Umfeld und stellt fest, dass der Spruch aus der weisheitlichen Tradition stammt (124) und gegenüber den verschiedenen vergleichbaren Aussagen des Johannesevangeliums älter ist, deren Texte er allesamt anführt (135).
Die Appendizes bei vielen Beiträgen bereichern die Ausführungen mit konkreten Hinweisen auf Texte und Literatur.
Das sehr anregende und die Forschung weiterführende Buch wird seine interessierten Leser finden und zu weiterem Arbeiten anregen.