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Ausgabe:

Januar/2012

Spalte:

40–42

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Green, Douglas J.

Titel/Untertitel:

»I Undertook Great Works«. The Ideology of Domestic Achievements in West Semitic Royal Inscriptions.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. XV, 358 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 41. Kart. EUR 74,00. ISBN 978-3-16-150168-5.

Rezensent:

Michael Pietsch

Das Werk stellt die geringfügig überarbeitete Dissertation von Douglas J. Green aus dem Jahr 2003 dar, die unter der Ägide von M. S. Smith an der Yale University erarbeitet wurde. Später erschienene Literatur ist in der Druckfassung leider nicht mehr berücksichtigt worden.
G. beschäftigt sich mit einem weithin vernachlässigten Aspekt der westsemitischen Königsinschriften, nämlich den innenpolitischen Errungenschaften, derer sich die jeweiligen Herrscher rühmen, vor allem ihren architektonischen und ökonomischen Leis­tungen. Dabei interessieren G. weniger die historischen Verhältnisse, auf die die Inschriften rekurrieren, als deren literarische Stilisierung und das Selbstverständnis der Könige, das darin zum Ausdruck kommt. »I will seek to outline, describe and understand the ideology, and in particular the royal ideology – the belief sys­tems concerning the role of the kings – that gave these inscriptions their literary shape.« (7)
Nach einer kurzen Einführung in die Fragestellung erörtert G. im zweiten Kapitel die methodischen Grundlagen seiner Untersuchung (»From Text to Ideology«, 10–32). Er schließt sich hier eng an die Arbeiten der sog. »Italian School« an (M. Liverani, F. M. Fales, C. Zaccagnini), die vor allem neuassyrische Annalen und Königsinschriften mittels einer detaillierten literarischen Analyse auf die ih­nen zugrunde liegenden ideologischen Konzepte hin befragt hat. G. identifiziert drei bzw. vier Bausteine, die das narratologische Gerüst der »erzählten Welt« bestimmen und deren Bearbeitung einen Einblick in die ideologische Färbung der Texte gewährt: die Handlungsträger und ihre Charakterisierung, die Auswahl und Anordnung der berichteten Ereignisse (Plotbildung) und die Raum- und Zeitkonzeption der Erzählung. Anhand dieser Strukturelemente werden die untersuchten Inschriften im Hauptteil des Buches analysiert und ihre ideologischen Voraussetzungen rekonstruiert.
Bevor G. sich jedoch der Analyse der neun von ihm ausgewählten westsemitischen Königsinschriften zuwendet, schickt er ein umfangreiches Kapitel voran, in dem er summarisch die ideologische Funktion der Erwähnung innenpolitischer Maßnahmen in den neuassyrischen Königsinschriften untersucht, um auf diese Weise einen Referenzrahmen für die Beschreibung und Interpretation des gleichen Phänomens in den westsemitischen Texten zu gewinnen (»The Contours of Assyrian Royal Ideology«, 33–86). Dabei treten vor allem zwei Konzepte hervor, die das Bild des Herrschers in den neuassyrischen Texten prägen: der »König als Bauherr« und der »König als Gärtner«. Beide Motive kehren in den westsemitischen Inschriften wieder.
Die literarische Analyse der neun westsemitischen Königsinschriften aus der ersten Hälfte des 1. Jt.s v. Chr., die den materialen Hauptteil des Werkes bildet, setzt jeweils mit knappen Erwägungen zur Abfassungszeit und zur literarischen Gattung ein, an die sich die Präsentation der Texte in Umschrift mit Übersetzung und ausführlichen philologischen Anmerkungen anschließt. Im Einzelnen werden die folgenden Inschriften (in chronologischer Abfolge) untersucht: die Jehimilk-Inschrift (89–94), die Me ša-Stele (95–135), die Kilamuwa-Inschrift (136–156), die Zakkur-Inschrift (157–174), Panamuwa I (175–193), Panamuwa II (194–219), die Bar-Rakkab Inschrift (220–231), die Karatepe-Inschrift (232–265) und die In­schrift auf einer Bronzeflasche vom Tell Siran (266–281).
G. merkt zu Recht an, dass die innenpolitischen Taten der Könige nicht isoliert von ihren militärischen Erfolgen betrachtet werden können, die ihnen in der Erzählkomposition stets vorangehen. Der Triumph über die Feinde ist in den Inschriften der vorrangige Ausweis der königlichen Macht und Ehre. »Great kings always de­feat their enemies.« (289) Der »Feind« als literarische Figur bildet die dunkle Folie, vor der die Könige in ihrem Glanz erstrahlen. Selbst wenn die militärischen Erfolge der westsemitischen Herrscher mit der expansionistischen Politik der neuassyrischen Großkönige nicht vergleichbar sind und sich in der Hauptsache auf die Kontrolle oder Rückgewinnung ihres Herrschaftsgebietes beschränken, teilen ihre Inschriften das königsideologische Programm, das den Herrscher zum Sieg über seine Feinde verpflichtet. »In other words … ›the enemy‹ is granted narrative existence in order to glorify the inscriptional king by being defeated by him.« (290) Damit ist ein wichtiger Topos benannt, der bei einer historischen Interpretation der Texte berücksichtigt werden muss. – Die binäre Op­position »König« vs. »Feind« kehrt in den innenpolitischen Ab­schnitten einiger Inschriften wieder, etwa wenn der moabitische König Me ša ausdrücklich erwähnt, dass er israelitische Kriegsgefangene für seine Bauprojekte herangezogen hat (Z. 25 f.). Hier wird bereits erkennbar, dass die innenpolitischen Leistungen des Königs in einem engen konzeptionellen Zusammenhang mit dem Bericht über seine militärischen Taten stehen. »Domestic achievements are not purely domestic.« (293)
Der Plot der Inschriften wird in zeitlicher Perspektive vor allem durch den Gegensatz zwischen der Regierungszeit des Königs und der vorangegangenen Epoche strukturiert. Die innen- wie außenpolitischen Verhältnisse vor dem Regierungsantritt des neuen Herrschers werden stereotyp negativ qualifiziert. Selbst dort, wo dieser Kontrast aus Rücksicht gegenüber den eigenen königlichen Vorfahren abgeschwächt wird, rühmt sich der neue König mindestens einer Verbesserung der früheren Verhältnisse. Mit der Thronbesteigung des Herrschers verbindet sich in der altorientalischen Königs­ideologie die Erwartung der Wiederherstellung der kosmischen und sozialen Ordnung. Dieser Gedanke kehrt auch in den königlichen Memorialinschriften wieder: Das Chaos, das durch das Auftreten politischer Gegner (»Feind«) bzw. wirtschaftlicher (und sozialer) Notlagen repräsentiert wird, wird vom König durch den Sieg über seine Feinde überwunden, woran sich die Neuordnung der Verhältnisse in Gestalt innenpolitischer Maßnahmen an­schließt.
Die Abfolge der Ereignisse in der »erzählten Welt« verdankt sich in erster Linie der ideologischen Interpretation, nicht der histo­-rischen Wirklichkeit: »Thus domestic public works should be un­derstood as an extension … of a king’s military achievements, which bring the time of disorder to an end. Ideologically speaking, do­-mes­tic activities are what victorious kings do. Thus the building projects and the like belong to a time of dominion, peace and se­-cur­ity, to a time when disorder has been eliminated and the king is free to create a new superior order …« (303 f.).
Neben der königlichen Bautätigkeit, die als ein schöpferisches Werk verstanden werden kann, das die Ordnung gegen den Einbruch des Chaotischen erneuert und erhält (Liverani), muss auch das Motiv des Königs als »Gärtner« auf dem Hintergrund der alt­-orientalischen Königsideologie gelesen werden. Die erneuerte Fruchtbarkeit des Landes, die zugleich ökonomischen Wohlstand sichert, ist Ausdruck der kosmischen (und in ihrer Folge der sozialen) Ordnung, die der König wiederherstellt und garantiert. In der Anlage königlicher Palast- und Prunkgärten wird dieses Motiv gesteigert und die schöpferische, lebenspendende Handlungsrolle des Königs betont. »The ›great works‹ of the kings are more than mere bricks and mortar …, more than heaps of grain, cheap prices, sound economies, and social order. They establish the matrix in which the ideal, blessed life of humans is to be lived.« (317)
Es ist das große Verdienst G.s, die literarische Verknüpfung der königlichen Bau- und Wirtschaftspolitik mit seiner Rolle als Triumphator über seine »Feinde« vor dem Hintergrund königsideologischer Ordnungskonzeptionen überzeugend herausgearbeitet zu haben. Sein Werk trägt nicht nur zu einem besseren Verständnis der westsemitischen Königsinschriften bei, sondern bietet zu­gleich ein wichtiges Korrektiv für deren historische Auswertung. Darüber hinaus ist es geeignet, den Blick für das Selbstverständnis westsemitischer Kleinkönigtümer zu schärfen, das nicht nur in der Königstravestie des Koheletbuches tiefe Spuren in der alttestamentlichen Literatur hinterlassen hat. Ein Stellen- sowie ein Sach- und Personenregister beschließen die instruktive Studie.