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Ausgabe:

Januar/2012

Spalte:

36–38

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Driver, Daniel R.

Titel/Untertitel:

Brevard Childs, Biblical Theologian. For the Church’s One Bible.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. XIV, 328 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 46. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-150368-9.

Rezensent:

Aaron Schart

Das Buch stellt eine umfangreich überarbeitete und erweiterte Dissertation an der Universität St. Andrews dar, die zwar noch zu Lebzeiten von Brevard Childs begonnen, aber erst 2008, also ein Jahr nach seinem Tod, verteidigt wurde. Im Wesentlichen geht es um die forschungsgeschichtliche Einordnung eines der weltweit be­deutendsten Alttestamentler der zweiten Hälfte des 20. Jh.s. Wie er im Vorwort beteuert, hat der im Jahr des Erscheinens von Childs Buch »Introduction to the Old Testament as Scripture« (1979) geborene Vf. sich intensiv bemüht, noch mit Personen zu sprechen, die Childs über lange Jahre persönlich verbunden waren. Im Anhang teilt er auch zwei Briefe von Childs mit, die dieser dem Archiv des Princeton Theological Seminary übergeben hatte. Positiv hervorzuheben ist, dass der Vf. zu seinem Buch eine nützliche Website eingerichtet hat (www.danieldriver.com/bsc/).
Nach einer Einleitung (1–31) umfasst das Buch acht Kapitel in drei Teilen. Der 1. Teil »Reading Childs in English and German« (Kapitel 2–3, 33–101) weist daraufhin, dass Childs, der von 1950 bis 1955 in Basel und Heidelberg, vor allem bei Eichrodt und Baumgartner, studiert und promoviert hat, ohne die Wahrnehmung des profunden Einflusses deutschsprachiger historisch-kritischer Exegese nicht verstanden werden kann. Der 2. Teil »The Inner-Logic of Scripture’s Textual Authority« (Kapitel 4–6, 103–205) stellt Childs’ Begriff des »Kanon« genauer dar, sowohl wie er sich im Verlauf von Childs’ lebenslanger Forschungsarbeit entwickelt hat als auch wie er von verwandten Begriffen abzugrenzen ist. Der 3. Teil »The Mystery of Christ« (Kapitel 7–9, 207–278) stellt Childs’ Bemühen dar, in dem einen Kanon, der nach christlicher Auffassung zwei Testamente umfasst, ein einheitliches Zeugnis für den Gott zu finden, der sich in Jesus Christus offenbart hat.
Im 2. Kapitel »Reading Childs in English and German« (35–79) gibt der Vf. einen Überblick über die unterschiedlichen Wahrnehmungen Childs’ in Europa und im anglo-amerikanischen Raum. Dabei stellt er die wichtigsten Exegeten vor, die Childs dezidiert aufgenommen haben, in Deutschland werden Rolf Rendtorff, Manfred Oeming und Georg Steins genannt.
Das 3. Kapitel »What is Biblical Theology? (Does it Matter Where a Scholar was Trained?)« (80–101) beschreibt die Problematik einer Definition von »biblischer Theologie«, die unter anderem durch sprachliche Unterschiede im Englischen und Deutschen erschwert wird. Der Vf. geht auch dem wichtigen Einfluss nach, den der Yale-Kollege Hans Wilhelm Frei (1922–1988) auf Childs hatte, und der weithin zustimmenden, aber auch kritischen Auseinandersetzung Rolf Rendtorffs mit Childs.
Im 4. Kapitel, dem ersten des 2. Teils, »Form – Final Form: Canon after Gunkel« (105–136) stellt der Vf. die Front dar, die Childs zwar geprägt hat, mit der er aber zeitlebens rang: Hermann Gunkel steht als Repräsentant für eine breite Forschungsströmung, die im Zeitalter des Historismus, als erstmals in der Geschichte die Archäologie in großem Maßstab die Kultur und die Religionen der Umwelt der Bibel zur Anschauung brachte, die alttestamentlichen Texte als integralen Teil der vorderasiatischen Religionsgeschichte verstand und in der Folge sowohl die Kanongrenzen infrage stellte als auch die herkömmliche von der Dogmatik geleitete biblische Theologie durch eine Darstellung der religionsgeschichtlichen Entwicklung des alten Israel ersetzte.
Kapitel 5 »The Heart of the Matter (Res): Against Narrative and Intertextual Readings« (137–159) stellt dar, dass Childs sowohl mit der narrativen Theologie als auch mit der intertextuellen Exegese nicht zufrieden war, obwohl beide Strömungen die Bibeltexte mit neuem Gewicht als kanonische Literatur zur Geltung brachten.
Im 6. Kapitel »Canon and Midrash: Confronting the ›Mystery of Israel‹« (160–205) beschäftigt sich der Vf. mit Childs’ Umgang mit dem Begriff Midrasch, den er in seinen frühen Publikationen noch positiv aufgenommen hatte, aber in seinen späteren Publikationen immer schärfer als spezifisch jüdischen Schriftumgang begriff und für die christliche Theologie für ungeeignet hielt.
Kapitel 7 »Criticism and the Rule: Two Measures of Allegory« (209–264) ist der lebenslangen Auseinandersetzung zwischen James Barr und Brevard Childs gewidmet. Sehr anschaulich und detailliert wird herausgearbeitet, wie falsche Frontstellungen aufgrund unterschiedlichen Begriffsgebrauchs entstanden sind. Childs hat sich in seinem Anliegen von Barr immer missverstanden gefühlt, dieses Gefühl kann der Vf. gut nachvollziehen. Interessant ist, dass die Diskussion zwischen Barr und Childs bis auf unterschiedliche Fassungen der Trinitätslehre zurückverfolgt wird. Barr habe eher von einer trinitarisch-ökonomischen Trinität her gedacht (254–257), Childs dagegen von einer christologisch-immanenten (257–261). Childs’ Ringen um eine angemessene christologische Interpretation des Gottesknechts in Jes 53 schließt das Kapitel ab (261–264).
In Kapitel 8 »For a Generation to Come: The Scope of Psalm 102 in Reception and Research« (265–278) zeigt der Vf., wie Childs mit der Aussage in Psalm 102,19 umgeht, wonach der Text aufgeschrieben werden soll »für eine nachfolgende Generation«. Im Gegenüber zu Gunkel, Steck, Brunert und Augustin wird deutlich, dass Childs die Aufgabe der vormodernen christlichen Auslegungstradition weiterführen wollte, die Psalmen für eine christologische Rezeption offen zu halten, ohne dass Childs genau darlegen konnte, wie das unter den Bedingungen historischer Kritik und der Fraglichkeit christlicher Überlegenheitsansprüche über die jüdische Rezeption gehen soll. Dies leitet zum abschließenden »Epilogue« (279–286) über, in dem der Vf. einige Leitfragen herausstellt, die Brevard Childs der weiteren biblisch-theologischen Forschung aufgegeben hat.
Insgesamt stellt die Arbeit das Lebenswerk von Brevard Childs in sehr detaillierter und umfassender Weise dar. Sehr gut wird dessen Verwurzelung in der deutschsprachigen historisch-kritischen Exegese wie auch in der barthianisch gewendeten reformato­rischen Tradition deutlich. Childs lebenslanges Ringen um eine gesamtbiblische Theologie, die einerseits die historisch-kritische Arbeit wirklich ernst nimmt, aber andererseits auch einen eigenständigen und normierenden Beitrag zu einer dezidiert christlichen Theologie leisten kann, wird eindrücklich dargestellt. Durch die detaillierte Aufarbeitung der Frontstellungen, in denen sich Childs bewegte, seine lebenslange Kritik an der religionsgeschichtlichen Schule, die unglückliche, weil auf Missverständnissen beruhende Kritik von James Barr (und anderen), seine Abgrenzung von falschen Freunden, wie der narrativen Theologie und der intertextuellen, die Literarkritik ignorierenden Bibellektüre, wird Childs als biblischer Theologe sehr plastisch. Insgesamt ein anregendes Buch, das den exegetischen, aber auch den systematischen Theologinnen und Theologen das eindrückliche und einflussreiche Le­benswerk Childs’ als Anregung und Ermutigung vor Augen stellt, sich die gesamtbiblische Begründung ihrer christlich-theologischen Positionen differenziert bewusst zu machen und aktiv zu vertreten.