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Ausgabe:

Januar/2012

Spalte:

32–33

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Zellentin, Holger Michael

Titel/Untertitel:

Rabbinic Parodies of Jewish and Christian Literature.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. IX, 275 S. 23,0 x 15,5 cm = Texts and Studies in Ancient Judaism, 139. Lw. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-150647-5.

Rezensent:

Catherine Hezser

Diese 2007 am Department of Religion der Princeton University eingereichte und seitdem gründlich überarbeitete Doktorarbeit knüpft an die Arbeiten Peter Schäfers und Daniel Boyarins an, insofern sie u. a. rabbinische Anspielungen auf »christliche« Vorstellungen und Gebräuche untersucht. »Christlich« ist hier in Anführungszeichen gesetzt, da Holger Michael Zellentin ganz richtig betont, dass die antiken Rabbinen keine klar abgrenzbare Vorstellung vom Christentum gehabt haben und diesen Begriff selbst auch nie benutzen: »the rabbis might have had a very fragmented, localized, and ideosyncratic understanding of Christianity … « (233).
Die Studie ist sowohl mehr also auch weniger als eine Untersuchung der rabbinischen Auseinandersetzung mit dem Christentum. Sie geht der literarischen Technik der Parodie nach und analysiert Beispiele der satirischen Parodie in der palästinischen und babylonischen rabbinischen Literatur des 4. bis 7. Jh.s. Diese zeit­-liche Abgrenzung ist nicht mit der amoräischen Epoche (3. bis 5. Jh.) deckungsgleich, da Z. davon ausgeht, dass die untersuchten Parodien gewöhnlich redaktionelle Konstruktionen sind. In der frühbyzantinischen Zeit verwendeten Rabbinen gelegentlich die Technik der Parodie, um interne und externe Spannungen auszugleichen. Mit Hilfe der Parodie setzten sie sich mit den Anschauungen und exegetischen Meinungen ihrer Kollegen (»intra-rab­binic Parody«, Kapitel 1 und 2), Rabbinen außerhalb ihres eigenen Kreises (»inter-rabbinic Parody«, Kapitel 3), und Angehörigen anderer Religionen, insbesondere des Christentums (»external Parody«, Kapitel 4 und 5) auseinander.
In seiner Definition der Parodie beruft sich Z. auf Linda Hutcheon, die diese literarische Technik als Wiederholung eines früheren Textes mit Hilfe von ironischer kritischer Distanz definiert hat. Was die rabbinischen Beispiele betrifft, ist der parodierte »Text« als mündlich oder schriftlich vorliegend vorzustellen, d. h., die Parodie kann auch auf mündliche Traditionen und vom bloßen Hörensagen bekannte Ansichten anspielen.
Bereits in der Einleitung wird die Yerushalmi-Version der Geschichte über Hananiahs Interkalationsversuch in Babylonien als Beispiel angeführt: Mit der verzerrten Zitierung der Torah wird nicht die Torah selbst kritisiert, sondern Hananiahs Tat. Man muss also zwischen dem parodierten Text und dem Angriffspunkt der Parodie unterscheiden. Ein Unterschied besteht auch zwischen der ironischen und satirischen Parodie. Während die ironische Parodie »implicit and allusive« ist, ist die satirische Parodie »explicit and demonstrative« (6). Aus pragmatischen Gründen, d. h. wegen der einfacheren Identifizierbarkeit, konzentriert sich Z. auf satirische Parodien. Davon gibt es in der rabbinischen Literatur nicht viele, aber die Untersuchung ist auch nur als vorläufige Bestandsaufnahme anzusehen.
Der Hauptteil des Buches besteht aus fünf Kapiteln, in denen jeweils ein bestimmter, als satirische Parodie identifizierbarer Text ausführlicher besprochen wird. Drei dieser Texte stammen aus dem Babylonischen Talmud, zwei aus palästinischen Werken. Das erste Beispiel, eine halachische Fallgeschichte (b. B.M. 97a), zeigt bereits, wie schwierig es ist, in rabbinischen Texten Humor zu erkennen, ohne von unseren eigenen Vorstellungen auszugehen. Der Fall einer von Mäusen getöteten Katze wird von den Rabbinen hier mit einem von Frauen getöteten Mann verglichen. Die rabbinische Diskussion des Falls ist durchaus ernsthaft zu nennen, auch wenn dem heutigen Leser »the incident’s bizarre nature« auffallen mag (28). Ein ähnlicher Fall liegt z. B. in Gen. R. 30:8 vor (von Z. nicht erwähnt), wo ernsthaft diskutiert wird, ob Mordechai vielleicht Esther gestillt haben könnte. Dort wird sogar darauf hingewiesen, dass die nicht-rabbinischen Hörer lachten, als sie diese Auslegung hörten. Für die Rabbinen waren aber auch derartige extreme Situationen und Möglichkeiten halachisch relevant und verlangten eine ernsthafte Diskussion. Ob es sich bei dem babylonischen Text wirklich um »self-parody« handelt (29) statt um einen bloßen Analogieschluss, ist deshalb zweifelhaft.
Ein weiteres Problem für die Identifizierung rabbinischer Parodien ist die Nichtexistenz oder nur hypothetische Existenz des angeblich parodierten »Textes«, wie bei der Besprechung der Bar-Hedya-Geschichte (b. Ber. 56a–b) in Kapitel 3 deutlich wird. Angeblich handelt es sich hierbei um die babylonische Parodie eines pa­-läs­tinischen Textes, welche palästinische Ansichten zur Traumdeutung kritisiert. Es ist allerdings unklar, ob die Erzählung aus palästinischer oder babylonischer Tradition stammt. Wenn Letzteres der Fall ist und hier ein palästinischer Sachverhalt von babylonischen Redaktoren parodiert wird, fehlt die palästinische Paral­lele (der parodierte »Text«), die dies bestätigen könnte. Was hier kritisiert und humorvoll dargestellt wird, ist die angeblich korrupte Praxis einiger Traumdeuter und Kunden (hier Abaye und Rava), die auf diese Traumdeuter hereinfallen. Dass es sich bei Bar Hedya um die Personalisierung palästinischer Traumdeutungspraxis handelt, ist nicht einsichtig, und »a dream fulfills itself according to its interpretation« (y. M. Shen. 4:9, 55c) ist nicht dasselbe wie »all dreams follow the mouth« (b. Ber. 56a): Ersterer Satz betont, dass es viele Interpretationen gibt, d. h. bessere und schlechtere, während letzterer Satz auf den Traumdeuter selbst hindeutet. Ein Text, der babylonische Gelehrte der Lächerlichkeit preisgibt, ist schwerlich als babylonische Satire des Yerushalmi (»the Bar Hedya story parodies the Yerushalmi in order to satirize the doctrine’s abuser and his victim«, 119) anzusehen.
Auch das anvisierte Ziel rabbinischer Parodien lässt sich oft schwer definieren oder eingrenzen. Ob es sich wirklich um anti-christliche Parodien handelt, ist deshalb kaum mit Sicherheit festzustellen. In dem Yerushalmi-Text, der von R. Eliezers Verbannung berichtet (y. M.Q. 3:1, 81c–d), werden zwei »Wunder« erwähnt: die Entwurzelung eines Baumes und die Verbrennung von Weizen. Handelt es sich dabei aber um eine Parodie des christlichen Wunderglaubens oder ist hier der volkstümliche jüdische Glaube anvisiert (siehe ibid. 216–24)? Wir wissen leider viel zu wenig über die Glaubensinhalte und Praktiken des Populärjudentums in rabbinischer Zeit. Dass einige der jüdischen Zeitgenossen der Rabbinen allerdings an Wunder und charismatische Gestalten glaubten, ist durchaus vorstellbar (siehe z. B. die Geschichten über Honi den Kreiszieher in L. Taan. 3:8, der sich angeblich auch als »Sohn« Gottes bezeichnete).
Diese Überlegungen sind keineswegs als Kritik, sondern als Anregung zur Diskussion zu verstehen. Wie Z. selbst in seinen Schlussfolgerungen betont, steht das Studium des rabbinischen Humors, der Parodie, Satire und Ironie erst in seinen Anfangsstadien. Die vorliegende Arbeit ist als wichtiger Schritt zum besseren Verständnis dieser literarischen Techniken anzusehen. Es ist zu hoffen, dass in Zukunft sowohl implizite als auch explizite Parodien und andere Formen rabbinischen Humors weiter untersucht werden, da sie ein besseres Verständnis von inner-rabbinischen Verhältnissen und der Bezugnahme der Rabbinen auf ihre Umwelt ermöglichen. Ganz zum Schluss sei anzumerken, dass der Text von einem sorgfältigen Korrekturlesen profitiert hätte, da einige Sätze unverständlich sind (e. g., ibid. 13: »I call the text a parody imitates the ›imitated text‹«; ibid. 215: »non-rabinnic«, »imitating a foundational texts«).