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Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

29–32

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Winther-Nielsen, Nicolai

Titel/Untertitel:

A Functional Discourse Grammar of Joshua. A Computer-assisted Rhetorical Structure Analysis.

Verlag:

Stockholm: Almqvist & Wiksell Int. 1995. XII, 353 S. + ein Faltblatt. 8o = Coniectanea Biblica Old Testament Series, 40. Kart. SEK 234,­. ISBN 91-22-01658-9.

Rezensent:

Rüdiger Bartelmus

Das von Nicolai Winther-Nielsen vorgelegte Buch versteht sich als "functional grammar" des Hebräischen (14; im folgenden spricht der Vf. dann von "functional discourse grammar"), in der getrennt davon publizierte Rechnerdaten (N. Winther-Nielsen and E. Talstra, A Computational Display of the Book of Joshua, Amsterdam 1995) auswertet werden (VI). Es gliedert sich in sechs Kapitel mit folgenden ­ das textlinguistische Vorhaben mit militärischen Topen entsprechend dem Inhalt des Josua-Buchs figurativ umschreibenden ­ Überschriften:

"Choosing a Strategy: Introduction" (1-27), "Mapping Out the Angle of Attack: A Functional Discourse Grammar" (28-104), "Gathering Intelligence: ’Spying on Jericho’ in Joshua 2" (105-162), "Conquering the Pragmatics of Discourse: The Jordan, Jericho and Ai Stories in Joshua 3-8" (163-235), "Mopping Up the Operation: Structure, Grammar and Themes" (236-317), "Summarizing the Conquests: Conclusions" (318-326). Gerahmt werden die sechs Kapitel, in die zahlreiche "Tables" und "Figures" (mit nirgends genauer erklärten Strich-Symbolen) integriert sind, von einem "Abstract" (IV), einem "Preface" (VI-VII) und einem ausführlichen Inhaltsverzeichnis, das unterteilt ist in eine Textübersicht, eine Übersicht über die "Tables" und eine über die "Figures" (IX-XII), sowie von vier Registern: "Abbreviations" (327), "Bibliography" (328-345), "Index of Joshua-references" (346-349) und "Index of Topics" 350-353.

Wie der Vf. in seinem "Preface" (VI-VII) ausführt, hat seine "Functional Discourse Grammar of Joshua" zwei unterschiedliche Adressatenkreise im Blick, nämlich zum einen Linguisten mit einem Faible für computergestützte Textlinguistik, zum anderen theologisch interessierte Exegeten, deren vornehmliches Interesse darin besteht, den biblischen Text verstehen zu wollen. Bei genauerem Hinsehen läßt sich allerdings feststellen, daß diese doppelte Zielsetzung nicht durchgehalten ist, ja daß das Herz des Vf.s recht einseitig auf der linguistischen Seite schlägt ­ auch wenn nicht zu leugnen ist, daß das Buch durchaus exegetisch relevante Ergebnisse enthält; ein Exeget ohne umfassende Vorkenntnisse im Bereich der linguistischen Theorie wird unbeschadet dessen das Buch allerdings schwerlich mit Gewinn zur Hand nehmen. Diese Einschätzung legt sich jedenfalls nahe, wenn man wahrnimmt, wie redundant der Vf. Abkürzungen gebraucht, deren Bedeutung sich ­ möglicherweise ­ einem versierten (Text-) Linguisten ohne weiteres erschließt, mit denen dagegen ein durchschnittlicher Exeget, der sie ­ vergeblich ­ im Abkürzungsverzeichnis (327) sucht, kaum etwas anfangen kann. Da hilft es auch wenig, daß der Vf. mitten im Buch weitere Tabellen mit Abkürzungen bzw. Siglen zu den "Semantic Parameters for Predicates", den "Dialogue Units and Functions" und zu den "Relations in the Rhetorical Structure Theory" versteckt hat (34.85.95), zumal auch sie bei weitem nicht alle Siglen enthalten, die im Abkürzungsverzeichnis vergeblich gesucht werden. Ein Großteil der vom Vf. verwendeten "Geheimcodes" wie z.B. ACC, ACH, ACT, C, DM, EP, imov, NewFoc, QF, ResTop, Sem., vol, VSO, VSX (die willkürlich zusammengestellte Reihe ließe sich beliebig fortsetzen) ist ­ wenn überhaupt ­ nur im fortlaufenden Text bzw. in den Anmerkungen erklärt. Dieser bedauerliche Umstand schließt nicht nur eine stellenspezifisch orientierte exegetische Verwertbarkeit des Buches praktisch aus ­ dies trotz des erfreulicherweise beigegebenen umfassenden "Index of Joshua-references" ­, er beeinträchtigt vielmehr auch das fortlaufende Lesen ganz entscheidend.

Was die linguistische Seite betrifft, hat der Vf. demgegenüber durchaus Wichtiges zu sagen: Hier ist insbesondere auf Kap. 2 ­ das eigentliche "Herzstück" der Arbeit ­ zu verweisen, in dem der Vf. v.a. in Anknüpfung an Arbeiten von R. E. Longacre sein Programm einer "Functional Discourse Grammar" des Hebräischen entwickelt (28-96) und einen knappen Einblick in die Organisationsprinzipien der ihr zugrunde liegenden ­ unter der Verantwortung von E. Talstra entwickelten ­ Datenbank WIT gibt (96-101). Der Vf. beschränkt sich hier nicht auf die verbreitete duale Betrachtungsweise, die lediglich die Ebenen "Satzsyntax" und "Textsyntax" als Grobraster unterscheidet: Er differenziert vielmehr zwischen "Intraclausal Grammar", "Interclausal Grammar" ("Grammar of Clause Combining") und "Discourse Organization" (vgl. dazu bes. 32). Damit beseitigt er die Unklarheiten, die durch den extensiven (und irreführenden) summarischen Gebrauch des Terminus "Textsyntax" für diejenigen linguistischen Beobachtungen entstanden sind, die über die Grenze des Satzes hinausgehen. Warum der Vf. allerdings anstelle von "Syntax" den Begriff "Grammar" gebraucht ­ dies unbeschadet dessen, daß er eindeutig als "syntactic" ausgewiesene Programme der Amsterdamer WIT-Gruppe auswertet (97) ­, bleibt dunkel.

Bezieht sich dieser Einwand auf eine bloße terminologische Konvention, ist ­ nicht nur im Zusammenhang mit diesem Kapitel ­ generell freilich ein ungleich gewichtigeres Defizit der Arbeit festzustellen: Der Vf. geht mit der Sekundärliteratur ausgesprochen selektiv, ja teilweise latent aggressiv um ­ daß in den Kapitelüberschriften militärische Terminologie verwendet ist, erweist sich von daher als mehr als ein bloßer "Gag" (vgl. Mt 26,73b!). So hat er offensichtlich nicht wahrgenommen, daß sein Hauptgegner ­ die "Richter-school" ­ in sich nicht so homogen ist, wie es mangels genauer Lektüre der (durchaus unterschiedlichen Fragestellungen gewidmeten) Bände der Reihe ATS immer wieder unterstellt wird, und daß sie zudem mit dem Etikett "structuralism" schwerlich zureichend beschrieben werden kann (13).

Noch gravierender als die selektive Wahrnehmung der Reihe ATS ­ in Kap. 2.2.3 sind die "Grammatical Functions of the Hebrew Verb" in auffälliger Übereinstimmung mit Forschungsergebnissen aus ATS 17 verhandelt, ohne daß der Vf. mit einer Silbe auf dieses 1983 erschienene Buch aus der Feder des Rez. eingeht ­ ist freilich, daß der Vf. trotz seines Faibles für computergestützte Linguistik (vgl. dazu die selbstgefällige Darstellung 23-26 bzw. 319) nicht zur Kenntnis genommen hat, daß in Tübingen wie in München seit Jahren zwei eigenständige Projekte computergestützter Grammatik- bzw. Textanalyse laufen, die zwei unterschiedliche Fortentwicklungen der von W. Richter initiierten linguistischen Arbeit am Hebräischen bzw. an hebräischen Texten repräsentieren. Die wenigen älteren Arbeiten von W. Richter und H. Schweizer, die der Vf. zitiert, repräsentieren jedenfalls in keiner Weise den Stand, den beide Forscher und deren Schüler inzwischen erreicht haben.(1) Möglicherweise hängt die "Weigerung", diese neueren Entwicklungen in der computergestützten Analyse der hebräischen Sprache bzw. hebräischer Texte zur Kenntnis zu nehmen, damit zusammen, daß der Vf. diachroner Textbetrachtung mit Skepsis gegenübersteht (5-7). Wie immer wieder, besonders deutlich dann v.a. in Kap. 5 erkennbar wird, wo der Vf. die bibelkundliche Gliederung des Josua-Buches (Jos 1-12: "conquest", Jos 13-22: "distribution", Jos 23-24: "covenant") im Sinne einer rhetorischen "superstructure" interpretiert (vgl. dazu bes. 264 f.), bevorzugt der Vf. demgegenüber die Methode des "holistic" bzw. "synchronic reading" und steht dem "canonical approach" B. S. Childs’ nahe (237 ff.).

Exemplarisch wird das Programm des "synchronic reading" bereits in Kap. 3 am Beispiel von Jos 2 durchgeführt. Der "linguistic Literarkritik" von J. Floss (sic 108) wird eine Analyse der "episode constituents and superstructure" als plausiblere Lösung gegenübergestellt (110) und mit zahlreichen "Figures" zu den syntaktischen Relationen zu belegen gesucht (114-148). Dabei werden in Jos 2 insgesamt fünf Episoden identifiziert: "The Endangering of the Spies (2:2a-b), The Hiding of the Spies (2:3a-8a), Rahab asks for an Agreement (2:8b-14e), The Spies specify the Terms (2:15a-21d), The Spies hide in the Mountains (2:22a-e)"; diese fünf Episoden werden eingeleitet mit dem kurzen Statement "The Sending and Arrival of the Spies (2:1a-e)", am Ende steht als resümierender Schluß "The Spies return to report (2:23a-24c)". Dem entspricht nach Meinung des Vf.s die "superstructure" "Introduction ­ Inciting Incident ­ Complication ­ Climax ­ Resolution ­ Lessening Tension ­ Conclusion" (113) und die "macrostructure" "Circumstance ­ Sequence ­ Solution ­ Justification ­ Elaboration ­ Sequence ­ Restatement" (159). So schlüssig diese ­ diachrone Folgerungen vermeidende ­ Deutung des Kapitels auch auf den ersten Blick ist, dem an andere gerichteten Vorwurf des Zirkelschlusses entgeht auch sie nicht.

Wenn der Vf. z.B. behauptet: "Hebrew, like Polish, can have an overt pronoun for a known participant at the beginning of a new episode" (152), setzt dies voraus, daß der Text von Jos 2, in dem dieses Phänomen vorkommt, als Einheit konzipiert wurde. Ist das nicht der Fall, hat auch die auf die Beobachtung gegründete "Regel" keinen Bestand. Satzübergreifende syntaktische "Regeln" sollten aber nun einmal allein aufgrund von Textpassagen entwickelt werden, deren innere Einheitlichkeit keinem ernstzunehmenden Einwand unterliegt. Von daher gesehen ist es dann alles andere als "clear that a structuralist-functional grammar far outreaches the diachronic-structural grammar of Richter as handled by Floss" (161).

Dieser Einwand wird denn auch durch die folgende ­ nur noch skizzierte - Analyse der "stories in Joshua 3-8" bestätigt (163-234). So einleuchtend die vom Vf. konstatierten Strukturparallelen zwischen Ex 12-17 und Jos 3-8 etwa wirken ­ ob sie ursprünglich sind oder aber erst das Werk einer Überarbeitung des ursprünglichen Textes darstellen, läßt sich eben nicht auf der Ebene der Grammatik/Syntax klären; dazu müssen andere Kriterien herangezogen werden. Und erst dann lassen sich auch Regeln erheben, wie hebräische Autoren einzelne Sätze zu sinnhaften Texten gefügt haben. Von daher gesehen steht das ohne allzu große Selbstzweifel formulierte Resümee: "Most prior readings of the Book of Joshua of diachronic persuasion are irrelevant for grammatical analysis... The most interesting aspect of a functional discourse grammar is that it enables the linguist to establish the textual integrity and thematic unity of individual stories, groups of connected stories and complete works" (326; Hervorhebung R. B.), auf tönernen Füßen: Was erst zu beweisen wäre, wird schlicht vorausgesetzt.

Unbeschadet des damit angedeuteten generellen Einwands hat der Vf. mit seinem Versuch, anhand eines größeren geschlossenen Textkomplexes eine "Functional Discourse Grammar" des Hebräischen zu entwickeln, einen wichtigen Beitrag zur Hebraistik vorgelegt: V.a. das in Kap. 2 vorgelegte Programm verdient die Aufmerksamkeit der weiteren Forschung.

Fussnoten:

(1) Vgl. dazu die neueren Bände der Reihe ATS bzw. die von H. Schweizer initiierte und herausgegebene Reihe THLI. Geht man vom Literaturverzeichnis aus, hat der Vf. offenbar nicht einmal den für sein Thema unmittelbar relevanten "Band der von W. Richter herausgegebenen "Biblia Hebraica transcripta" (ATS 33,4: Josua, Richter) zur Kenntnis genommen, der 1991 erschienen ist!