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Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

27–29

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schäfer-Lichtenberger, Christa

Titel/Untertitel:

Josua und Salomo. Eine Studie zu Autorität und Legitimität des Nachfolgers im Alten Testament.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1995. XII, 424 S. gr.8o = Supplements to Vetus Testamentum, 58. Lw. Nlg. 190.­. ISBN 90-04-10064-4.

Rezensent:

Timo Veijola

Die auf die Heidelberger Habilitationsschrift aus dem Jahre 1992 zurückgehende umfangreiche Arbeit ist dem Nachweis der These gewidmet, "daß die Figur des Nachfolgers eine literarische Schöpfung am Deuteronomium orientierter Kreise ist, die dazu dient, die Notwendigkeit der Einhaltung der Tora für den Bestand Israels und die Praktikabilität ihrer Gebote im Alltagsleben zu veranschaulichen" (7). Als Grundlage, an der die These erprobt wird, dienen die Josua und Salomo betreffenden Texte von Ex bis Jos und von 2Sam 12 bis 1Kön 11. Außerdem wird der "Verfassungsentwurf" Dtn 16,18-18,22 ­ unter diesem nicht unproblematischen Namen ­ relativ ausführlich untersucht (52-106). Als Ergebnis stellt sich heraus, daß Josua "von Beginn seiner Führungsübernahme an das Ideal des an der Tora orientierten israelitischen Anführers" verkörpere (359), während Salomo das "negative Spiegelbild Josuas" sei, der "fast allen Kredit, den sein Vater David für seinen Nachfolger gesammelt hatte", verspiele (363).

In methodischer Hinsicht verdankt die Arbeit vieles dem Ansatz Norbert Lohfinks. Die Vfn. plädiert häufig für die literarische Einheitlichkeit der Texte, die sie gern mit "rhetorischen" und "theologischen" Argumenten u.a. gegen "die radikal-redaktionskritische Position von Würthwein und Nachfolgern" verteidigt (300). Ihre eigene, homogene Sicht der dtr Redaktion ähnelt gewissermaßen der klassischen Position Martin Noths (Überlieferungsgeschichtliche Studien I, 1943), weicht von ihr allerdings darin ab, daß sie "Dtr" als eine Autorengemeinschaft betrachtet, die in dem Zeitalter Joschijas beginnend "möglicherweise über mehrere Generationen wirkte" (12, Anm. 34), und daß sie dieser Redaktion viel mehr Texte zuschreibt als Noth. So werden z.B. die Königs- und Prophetengesetze in Dtn 17,14-20 (70-85) und Dtn 18,9-22 (85-103) einheitlich der dtr Redaktion zugewiesen.

Es ist etwas überraschend, daß die Vfn. in einem Aufsatz, der dem Verfassungsentwurf des Dtn gewidmet ist und in demselben Jahr (1995) wie die vorliegende Monographie erschien,(1) eine Auffassung von dem Prophetengesetz vertritt, nach der dessen letzte Verse (Dtn 18,21 f.) eine spätere Erweiterung darstellen (116). Diese Möglichkeit erwägt die Vfn. zwar auch in der Monographie (100), verwirft sie jedoch letzten Endes zugunsten der Einheitlichkeit von Dtn 18,9-22 (101-103). Unter diesen Umständen ist es nicht angemessen, das in dem Aufsatz vertretene, andersartige Urteil mit dem Satz: "Die Untersuchung des Textes führte mich zu folgenden Ergebnissen" (116), einzuführen und dabei auf die Seiten 94-110 der Monographie zu verweisen (Anm. 25), wenn dort in Wirklichkeit eine abweichende Stellungnahme zu den besagten Versen vorliegt.

Hinsichtlich der vorpriesterlichen Josuaüberlieferung kommt die Vfn. zu dem Ergebnis, daß in Ex 17,8-13.15 f.; 24,13 f.; 32,17 f.; 33,11b ; Dtn 1,37 f.; 3,21.28; 31,1-3a.4-13.16 f. 19*.22.24-27.30 eine zusammenhängende dtr Redaktionsschicht vorliege, die sich in Jos 1 fortsetze und die alte Frage nahelege, ob der Anfang des DtrG nicht schon im Bereich des Tetrateuchs zu suchen sei (120). Es ist m.E. jedoch sehr zweifelhaft und im Falle von Jos 1, 7 ff. ganz ausgeschlossen, daß alle diese Texte schon von dem ersten, maßgeblichen Dtr herrühren würden.

Im Bereich der Salomoüberlieferungen ist die Vfn. bei der Abgrenzung der dtr Bestandteile einerseits äußerst restriktiv, andererseits aber erstaunlich großzügig. In 1Kön 1 bestreitet sie leidenschaftlich die Existenz der von mir(2) in V. 30*.35-37.46-48 angenommenen dtr Redaktionsschicht (237-244), ist aber bereit, gleich in 1Kön 2 dtr Bearbeitung nicht nur in V. 1-11.15bb(?).24.26b-27.31b.33.35b.37b.42a* (Schwur).43a* (Schwur) .44 f.,(3) sondern darüber hinaus auch in V. 12.26a.39* ("nach drei Jahren").42f.46b zu postulieren (245-261), und übersieht dabei, daß die prosalomonische Bearbeitung von 1Kön 2 in ihrer theologischen und apologetischen Tendenz mit den entsprechenden Akzenten in 1Kön 1 eng zusammenhängt(4) und daß die ursprünglich kritische Beurteilung des Thronaufstiegs Salomos in 1Kön 1 ihre Vorgeschichte in dem gleicherweise kritischen Bericht über die Geburt Salomos als Kind des Ehebruchs Davids mit Bathseba in 2Sam *11-12 hat.(5)

In der weiteren Untersuchung der Salomoüberlieferung fällt auf, daß die Gibeongeschichte 1Kön 3,4-15 restlos Dtr zugeschrieben wird (265-277)(6), gleichfalls der erzählerische Rahmen (V. 16.28) der Geschichte von Salomos weisem Urteil (3,16-28) (278 f.),(7) und daß das Tempelweihgebet (8,14-66) abgesehen von nachexilischen Erweiterungen (V. 41-43) und wenigen einzelnen Zusätzen (V. 36ab.37ab.38abba.63a.64.65a bb) als eine einheitliche dtr Komposition angesehen wird (297-323).

Die material- und kenntnisreiche Arbeit ruft eine grundsätzliche Frage auf, die das Verhältnis der Themawahl zu ihrer Ausführung betrifft. Wenn laut des Titels und der Einleitung (1) "Nachfolge" und "Nachfolger" das Thema der Arbeit sein sollen, wie verträgt sich damit die Entscheidung der Vfn., die Untersuchung der Salomo betreffenden Texte über 2Sam 12,24 f. und 1Kön 1-2 hinaus auf die weitere Salomogeschichte (1Kön 3-11) auszudehnen, obwohl Salomo dort nicht mehr unter dem Gesichtspunkte des "Nachfolgers" auftritt? Faktisch wird dieser Sachverhalt von der Vfn. selber eingesehen, wenn sie über die in 1Kön 3,16 ff. vorliegende Erzählung sagt: "Ihre Hauptfunktion liegt nicht in der Legitimation Salomos als Nachfolger Davids. Das Problem ist bereits anderwärts erschöpfend behandelt worden und wird hier vom Verfasser als gelöst vorausgesetzt" (267). Leider verfehlt sie, die Konsequenzen aus der richtigen Einsicht zu ziehen.

Hätte die Vfn. sich streng an das angekündigte Thema gehalten, dann hätte auch das Ergebnis im Blick auf Salomo anders ausgesehen: Salomo ist gemäß der vor-dtr Überlieferung von 2Sam *11-12 und 1Kön *1-2 der mißratene, eigenmächtige Nachfolger Davids, während die dtr Redaktion diesen Eindruck durch geschickte Kommentierungen ins Positive zu wenden sucht. Also gilt gerade das Gegenteil des von der Vfn. Behaupteten! Dazu kommt, daß Salomo als Figur des Nachfolgers auf keinen Fall eine dtr Schöpfung ist, sondern die Kategorien der Nachfolge und der Legitimität des Thronfolgers schon in dem alten Bestand der Überlieferung fest verankert sind (1Kön *1-2).

Fussnoten:

(1) Der deuteronomische Verfassungsentwurf. Theologische Vorgaben als Gestaltungsprinzipien sozialer Realität, in: G. Braulik [Hrsg.], Bundesdokument und Gesetz. Studien zum Deuteronomium, HBS 4, Freiburg u.a. 1995, 105-118.
(2) Die ewige Dynastie, AASF Ser. B, Bd. 193, Helsinki 1975, 16-18.
(3) Siehe Ewige Dynastie, 19-26.
(4) Dies hat die eingehende Analyse von F. Langlamet voll bestätigt (Pour ou contre Salomon? La rédaction prosalomonienne de I Rois, I-II, RB 83, 1976, 321-379.481-528), obwohl er dann die prosalomonische Bearbeitung auf einer vor-dtr Stufe ansiedelt.
(5) S. meinen Aufsatz Salomo ­ der Erstgeborene Bathsebas, in: J. A. Emerton [Hrsg.], Studies in the Historical Books of the Old Testament, VT.S 30, 1979, 230-250 (neu gedruckt in: Veijola, David. Gesammelte Studien zu den Davidüberlieferungen des Alten Testaments, SESJ 52, Helsinki-Göttingen 1990, 84-105). Frau Schäfer-Lichtenberg scheint das Ergebnis dieser Studie zu akzeptieren (228 m. Anm. 10), verkennt jedoch seine Bedeutung für die Beurteilung von 1Kön 1 (-2).
(6) Für diese Zuweisung hätte sie sich aber nicht auf mein Buch Ewige Dynastie, "48 Anm. 6" (265, Anm. 230) berufen sollen, denn dort wird keine solche Auffassung vertreten ­ und außerdem gibt es dort weder eine "Anm. 6" noch etwas über 1Kön 3,4-15 zu lesen! Dafür hätte sie aber eine differenzierte Analyse dieses Textes in meiner Monographie Verheißung in der Krise, AASF Ser. B, Bd. 220, Helsinki 1982, 146-148, finden können.
(7) Bildet V. 16 nicht die für die alte Geschichte notwendige Exposition und V. 28a den ebenfalls unentbehrlichen Schluß, wo den neutestamentlichen Paradigmen ähnlich (vgl. Mk 2,12) die Wirkung der Tat auf die Zuhörer festgestellt wird?