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Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

25–27

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Rabenau, Merten

Titel/Untertitel:

Studien zum Buch Tobit.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1994. VIII, 249 S. gr.8o = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 220. Lw. DM 138,­. ISBN 3-11-014125-6.

Rezensent:

Wolfram Herrmann

Die deuterokanonische Literatur gewinnt, auch auf evangelischer Seite, mehr und mehr an Beachtung, denn sie enthält Gedankengut, das nicht vernachlässigt werden darf, und obendrein historisch auswertbaren Stoff. Nicht zuletzt haben die Qumranfunde dazu beigetragen, diesem Teil jüdischer Literatur erhöhte Geltung zu verschaffen. So ist es erfreulich, daß erneut eine umfängliche Studie dem Büchlein Tobit gewidmet wurde, welche die kritische Forschung an dem Literaturwerk aufnimmt und vorantreibt, eignet der Novelle doch hervorragender frömmigkeitsgeschichtlicher Wert, und zwar nicht nur für die Juden, sondern ebenso die, welche von der jüdischen Glaubenswelt und literarischen Tradition her denken und leben.

Tobit ist in den letzten Jahrzehnten einige Male relativ knapp kommentiert und ihm sind etliche Erörterungen von Einzelfragen gewidmet worden. Einen Wendepunkt stellten die Ausführungen von P. Deselaers, Das Buch Tobit. Studien zu seiner Entstehung, Komposition und Theologie, 1982, dar, der erstmals das Buch vollständig hinsichtlich seines literarischen Werdens analysierte und datierte. R. knüpft bei der Untersuchung an und setzt sich mit ihr auseinander. Er tut das in mehreren Schritten, die es ihm ermöglichen, seine Forschungsergebnisse im einzelnen zu entfalten.

Vom Buch Tobit liegen uns verschiedene Versionen vor. Als der beste Vertreter des ursprünglichen Wortlauts gilt der griechische Langtext, bezeugt durch den Sinaiticus. Er bildet eine Übersetzung aus möglicherweise dem Hebräischen, eher wohl dem Aramäischen. Beide semitischen Versionen sind durch Funde in Qumran nachgewiesen. Darauf geht R. in einem ersten Kapitel vorab ein, um sich dann der literarkritischen Fragestellung zuzuwenden. Er weicht weniger in der Zuweisung der Textpartien zur Grunderzählung, als vielmehr in der zu den erweiternden Bearbeitungsschichten, von denen er wie Deselaers drei annimmt, von dessen kritischer Sicht der Dinge ab. Hier wird es offensichtlich bei Ermessensentscheidungen bleiben, weil auch inhaltliche Erwägungen eine Rolle spielen.

Die beiden folgenden Kapitel beschäftigen sich mit dem geistigen Gehalt des Buches, nämlich den weisheitlichen Mahnreden und den Psalm Tob 13. Der Vf. erörtert umfassend den Stoff, der als eingebettet in die Überlieferung und aus ihr herkommend verstanden werden muß. Dabei geht er von dem bearbeiteten Text aus. Den Psalm versteht er als Zusammenfassung der in der Erzählung enthaltenen Lehre.

Die Begriffe Psalmgebet und Lobgebet (67) sind unscharf und irreführend, wenn auch nahegelegt durch die Wortfügung proseuché eis agalliasin in 13,1 B.

Weiterhin fragt R. nach dem theologischen Gehalt ­ in ihm nimmt die Begrifflichkeit eleemosyne - sedaqâ einen gewichtigen Platz ein ­, der sozialen Situation und dem Gebetsverständnis. In dem Konnex wendet er sich erst einmal der Besprechung der Grunderzählung, wie er sie herausgearbeitet hat, zu (Kap. 4). Er diskutiert den Gedankengang und bestimmt das Büchlein als Führungsgeschichte, wie Rut, die Vätererzählungen und die Josefsnovelle. In den Vätersagen erkenne man die Vorbilder für Tobit, ohne daß sie freilich kopiert worden seien. Ein wesentliches Moment persönlicher Frömmigkeit liege im Gelingen des Lebensweges, erzählerisch gekoppelt an das Verb salah Hi./eudóo. In der Folge behandelt R. die dem Erzählgang eingefügten Gebete. Auch sie leben von überkommenen Formen und der Literatur, die aus der Vergangenheit her den Bestand bildet, der jüdisches Leben und Denken der Zeit ausrichtete.

Das nächste Stück (Kap. 5) betrifft den geistigen Gehalt der Erweiterungsschichten. R. findet ihn in den Reden und Ermahnungen und darin, daß die Tora und Jerusalem zentrale Bedeutung gewannen. Die Gestalt des Achikar und sein Verhältnis zum Judentum wurde eingetragen, und Frauen traten jetzt bemerkenswert in den Vordergrund. Endlich habe man den Hergang in einen umfassenden geschichtlichen Rahmen eingeordnet. Dabei wird erneut allenthalben deutlich, daß man sich an der überlieferten eigenen Literatur orientierte.

Über Ort und Zeit der Entstehung handelt das sechste Kapitel. R. erwog bedachtsam alle Argumente und plädiert für das 3. Jh. v. Chr., in welchem Tobit nach und nach wurde, und zwar im Raum Palästinas. Seine darauf bezogenen Erwägungen beschließt S. 189 f. ein sehr kurzes Resümee mit knappen inhaltlichen Charakterisierungen. Das Büchlein Tobit gehört zu der Literatur, die vorführt, wie jüdische Frömmigkeit verwirklicht werden kann, und dazu ermuntern will, so zu leben. Man sollte nur m.E. Tob, Jdt und Est nicht einseitig als auf die Diaspora jenseits von Palästina gerichtet erklären (vgl. 190 mit Fn. 91).

Das letzte Kapitel enthält zwei Exkurse, einen zur auf das individuelle Gegenüber beschränkten Schutzengelvorstellung und den anderen zum Verständnis von eleemosyne in Sir 3,14.

Es folgen die üblichen Verzeichnisse, die (offb. eigene) Übersetzung des Buches Tobit in unterschiedenen Schrifttypen und nochmals zusammengestellt die literarkritischen Auffassungen Deselaers’ und Rabenaus.

Zu seiner Arbeit zog R. eine Fülle an Literatur heran. Da erscheint es als Beckmesserei, wollte man auf den einen oder anderen nicht entdeckten Titel verweisen (B. Kollmann, Göttliche Offenbarung magisch-pharmakologischer Heilkunst im Buch Tobit, ZAW 106 [1994] 289-299, konnte er nicht mehr einarbeiten). Besser ist es, dem Dargebotenen Anerkennung zu zollen. Nebenbei bemerkt: mit Genugtuung stellt man fest, daß auch auf die Ras Shamra Parallels zurückgegriffen wurde (s. 73 f. mit Fnn. 35-38).

Es ist nun freilich notwendig, auf einige Mängel aufmerksam zu machen, ohne tadeln zu wollen, sondern im Gegenteil die Arbeit an der Sache zu fördern. Man stößt leider auf eine relativ große Zahl an Druckfehlern, oft auch in den hebräischen Anführungen. Daneben entdeckt man andere Unstimmigkeiten. So sind in dem Zitat aus Jesus Sirach S. 33 die Zeilen 15b-21a als Wiederholung des Anfangsteiles zu streichen. S. 59 Z. 4-7 fehlt ein Satzstück nach dem Zitat. Die Testamente der zwölf Patriarchen erscheinen als ’das Testament der...’ (52, 58, 223). In Einzelfällen begegnet man auch grammatisch Unrichtigem. Beispielsweise müßte in Fn. 4 auf S. 3 unter Fortführung des Genetivs "sowie zahlreicher Übersetzungen" (Textzeile 4 v.u.) lauten: "So der sahidischen, äthiopischen und armenischen Übersetzung" (nicht: So die sahidische....). Ferner heißt es nicht "das Schicksal König Davids" (101), sondern "das Schicksal des Königs David". Haben Eigennamen eine attributive Erweiterung in Gestalt einer substantivischen Apposition, wird diese, nicht das nomen proprium, dekliniert. Immerhin ist dafür nicht der Vf. allein verantwortlich zu machen, denn es handelt sich hierbei um ein Zeichen allgemeiner Verwilderung unserer Sprache. Das betrifft in gleicher Weise die immer wieder zu findende Großschreibung von "der einzelne" (man vgl. aber Duden. Rechtschreibung, 20. Aufl. 1991, 237). Endlich wiederholt die Bemerkung in Fn. 122 auf 116 das bereits in Fn. 2 auf 94 Ausgesprochene.

Trotz allem bleibt es dabei: die Arbeit R.s ist in ihrer Gesamtheit eine gute und wichtige. Er hat das zur Sache Gehörende gründlich bedenkend im Rahmen der historischen Situation vorgeführt. Sein Verdienst ist es, das von ihm behandelte frühjüdische Literaturwerk von neuem nachhaltig ins Bewußtsein gerückt zu haben.