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Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

22–25

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fritz, Volkmar

Titel/Untertitel:

Das Buch Josua.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1994. IX, 258 S. gr.8o = Handbuch zum Alten Testament, I/7. Kart. DM 68,­. ISBN 3-16-146089-8.

Rezensent:

Ed Noort

Mehr als vierzig Jahre nach der zweiten Auflage des Kommentars von M. Noth(1) in der gleichen Reihe ist jetzt die Neubearbeitung des heutigen Direktors des Deutschen evangelischen Institutes für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Jerusalem erschienen. Der Kommentar von Noth verdankte seine herausragende Position in der Forschung zweierlei Umständen. Erstens wurde die These des deuteronomistischen Geschichtswerkes hier an einem wichtigen Bibelbuch vorexerziert, zweitens wurde das Niveau der von Noth dargebotenen historischen Topographie im zweiten Teil des Josuabuches seitdem nicht mehr erreicht. Weil Fritz nicht nur Exeget, sondern auch ein versierter Feldarchäologe ist, wird die Lektüre des Kommentars auch auf diesem Gebiet spannend. Wo sieht es bei F. anders aus und wo ist Gewinn dem Nothschen Kommentar gegenüber zu verbuchen?

Noth brauchte für seinen Kommentar 151 Seiten, F. standen hundert Seiten mehr zur Verfügung. Bleiben wir zuerst bei der historischen Topographie und bei der Statistik, so umfaßt das Nothsche Ortsregister 379 Toponyme(2), darunter 13 allgemein bekannte wie Negeb, Libanon usw. 164 biblische Ortsnamen konnten von Noth nicht identifiziert werden. F. erwähnt in seinem Register 238 biblische Ortsnamen und kann davon 45 nicht identifizieren. 73x schlägt er eine andere Identifikation als Noth vor.(3) Weiter bestimmt er 24 Orte, die von Noth nicht identifiziert wurden. Nun ist hier nicht der Ort, die Diskussion über die topographischen Vorschläge im Detail zu führen, aber die insgesamt mehr als hundert Änderungsvorschläge zeigen, daß durch die Zunahme der Ausgrabungen viel neues Material für die historische Topographie ans Tageslicht gekommen ist, zugleich aber auch, daß Sicherheit hier längst nicht immer erreicht werden kann. Ein Vergleich des Aufbaus der beiden Kommentare zeigt, daß F. über Noth hinaus nach den Abschnitten über den Text und die literarische Vorgeschichte des Buches einen Paragraphen über den geschichtlichen Vorgang der Landnahme bietet (9-14). Dieser dient als Kontrast zu der literarischen Fiktion des DtrG. Zudem ist der Kommentar um einen Abschnitt über die Komposition und Intention des Josuabuches erweitert worden (14-17). Eine ausführliche Bibliographie(4) sowie bibliographische Verweise am Anfang der zu exegesierenden Abschnitte und die Kommentierung nach Sinnabschnitten stellen eine Verbesserung dem Nothschen Kommentar gegenüber dar.

Zwei Problemfelder erwähnt F. in seinem Kommentar, die er aber nicht weiter ausführt. Für das Verhältnis des MT zu den Versionen (vor allem zur Septuaginta) und den Qumrantexten(5) verweist er auf die künftige Dissertation von C. den Hertog.(6) Zweitens ist er der Meinung, daß die Entstehung des Josuabuches als literarische Fiktion einer kriegerischen Eroberung "theologisch eine Herausforderung dar(stellt), auf die eine sachgemäße Antwort noch gesucht werden muß." (V)

Der Nothsche Kommentar bot S. 77 und 91 nur zwei Karten: einmal für die Stammesgrenzen nach den Grenzfixpunktreihen und einmal für "die Gaue Judas unter Josia". F. verzichtet auf eine zeichnerische Darstellung des Gesamtgrenzsystems, bietet dafür aber eine Übersichtskarte Palästinas (23), eine Karte der Verwaltungsbezirke Judas (163), die die Abweichungen von der Alt-Nothschen Vorstellung deutlich darstellt(7), sowie eine Karte des Stammgebietes Benjamin (183) und der nördlichen Stämme (191).

Bei der literarischen Vorgeschichte des Buches unterscheidet F. eine deuteronomistische Grundschicht und eine deuteronomistische Redaktion, die in etwa mit dem DtrN der Göttinger Schule gleichgesetzt werden kann, sowie eine nachpriesterliche Redaktion, die nur eine "gewisse Harmonie mit den Anschauungen der Priesterschrift herstellen" wolle. Weitere Nachträge seien nicht einheitlich und somit nicht als Redaktion anzusehen.

Mit einer eventuellen Ausnahme von 10:12-13 sieht F. keine Möglichkeit, literarische Vorstufen der Grundschicht zu ermitteln. Wohl gibt es Elemente in den Erzählungen über die Kundschafter in Jericho, über die Eroberung von Ai und über den Tod der Könige von Makkeda, die der mündlichen Überlieferung entnommen sein könnten. Ihre Entstehung geht nicht über die Königszeit hinaus. Damit nimmt F. Abschied von Noths "Sammler" um 900 v.Chr und dessen früher literarischer Arbeit sowie von den ihm in schriftlicher Gestalt vorliegenden postulierten ätiologischen Sagen. Weiter hält F. sich an das Schema Noths vom literarischen Wachstum.

In Bezug auf die zweite Hälfte des Josuabuches ­ die Landverteilung ­ betont F. zuerst den ursprünglichen Zusammenhang mit den Eroberungserzählungen: Landnahme und Landverteilung gehören zusammen. Die Grenzfixpunktreihen werden von ihm mit der nötigen Vorsicht in die frühe Königszeit datiert. Eine vorstaatliche Datierung schließt er aus, weil eine solche Abgrenzung der Stammesgrenzen eine zentrale Verwaltung voraussetze und innenpolitisch der Aufgabe diene, die Erhebung von Steuern zu ermöglichen. Die judäische Ortsliste Jos 15:21b ff. wird von F. nicht in die Zeit Josias(8) datiert, sondern in die Periode zwischen Asa (908-868) und Hiskia (728-700). Für das obere Datum argumentiert er historisch, für das untere archäologisch.

Bei den konkurrierenden Modellen für die Datierung und Schichtung des DtrG (das Blockmodell von F.Cross c.s. versus das Schichtenmodell von R.Smend c.s.) trifft F. keine Entscheidung, weil seiner Meinung nach das Material des Josuabuches nach der von ihm durchgeführten Analyse nicht ausreicht.

Den roten Faden für die Komposition des Josuabuches sieht F. in der Theologie des DtrH mit seiner Zweiteilung von Landnahme und Landverteilung, seiner Betonung des Heiligen Krieges(9) samt Bann ("Vernichtungsweihe") und der Unanfechtbarkeit und Unaufgebbarkeit des eroberten Landes. Es ist die geschichtliche Darstellung des Glaubens an das Land als ewigem Besitz Israels. DtrH war es auch, nach F., der Josua zur beherrschenden Gestalt der Landnahme stilisierte. Historisch ist seine Person nicht greifbar, für die geschichtliche Person bleibe nur die Grabtradition: so, wie der Lehrer Noth mit Mose, so der Schüler mit dem Nachfolger. Van Seters’ These über den Einfluß der assyrischen Historiographie auf die Geschichtsdarstellung im Josuabuch wird von Fritz abgelehnt, wobei er eine mögliche exemplarische Funktion der assyrischen Eroberungen nicht verneint.

Über eine Reihe von Detailfragen hinaus sollte das Gespräch mit dem Kommentar von F. bei der literarischen Fixierung des Josuabuches, ihrer Vorgeschichte und den Hauptaussagen der Grundschicht in Bezug auf die Theologie des Landes ansetzen. Zu fragen wäre, ob die von JHWH selbst proklamierte Unanfechtbarkeit und Unaufgebbarkeit des Landes, wie sie in den Landnahmeerzählungen, nicht nur in den späteren Schichten, sondern auch schon bei DtrH erscheint, noch eine andere Seite hat: die des Gebotes. Wenn schon in der deuteronomischen Bewegung die unbedingte Landgabe und das dem Leben Schutz gewährende Gebot zusammengehörten(10), während deuteronomistische Hände das Gebot selbst zur conditio sine qua non der Landnahme erklärten, dann bleibt die Geschichte von Jos 1 ff. davon nicht unberührt. Josua beschreibt auch in seiner Grundschicht die Landnahme vor dem Hintergrund des Landverlustes und der Frage nach dem wie des Lebens im Lande.

Eine weitere Frage betrifft die exklusiv diachrone Analyse. Nach der Übersetzung, in der die Schichten durch verschiedene Schrifttypen sichtbar gemacht werden, folgt die übliche Reihenfolge des HAT mit einer Vers-für-Vers-Exegese. In dieser Exegese werden die Texte nach Schichten geordnet besprochen, zuerst DtrH, dann RedD und RedP, schließlich die weiteren redaktionellen Zusätze. Die Leser(innen) bekommen den Text also nur in der literarischen Stratigraphie zur Gesicht. Zu fragen wäre, ob in der völlig veränderten exegetischen Landschaft seit dem Kommentar Noths die Endgestalt nicht mehr Beachtung verdient. Von Entweder-Oder kann dabei nicht die Rede sein, das Buch Josua ist ein gewordenes Buch, und ohne Diachronie kommt man da nicht aus, aber es wäre reizvoll gewesen, die Sinnbeschreibung bis zur Endgestalt auszudehnen und der Komposition mehr Aufmerksamkeit zu widmen, als es jetzt in der Einleitung und gelegentlich bei einführenden Abschnitten vor der Exegese geschieht.

F. ist zu danken für einen flüssig geschriebenen Kommentar, der vor allem in historisch-topographischen Bereich die neuere Diskussion einbringt und sich in der Exegese auf die Hauptlinie des DtrG und seiner Nachgeschichte konzentriert. Für die weitere Diskussion ist sein Buch stimulierend.

Fussnoten:

(1) M. Noth, Das Buch Josua, HAT I/7, Tübingen 21953.
(2) Bei den identifizierten Orten nahm Noth 1953 4 Ergänzungen und 20 Änderungen seiner ersten Auflage 1939 gegenüber auf.
(3) 38x erwähnt Fritz Unsicherheit bei der Ortsidentifikation: 10x setzt er Fragezeichen bei einem von Noth vorgeschlagenen Ort, 18x bleibt er unsicher bei einer Ortslage, die von Noth nicht bestimmt werden konnte, und 10x ändert er mit Fragezeichen einen Vorschlag Noths ab.
(4) Dabei ist die französische und spanische Literatur unterrepräsentiert.
(5) E. Ulrich, 4QJoshuaa and Joshuas First Altar in the Promised Land; A. Rofé, The Editing of the Book of Joshua in the Light of 4QJosha. In: G. J. Brooke (ed.), New Qumran Texts & Studies. Proceedings of the First Meeting of the International Organization for Qumran Studies, Paris 1992, Leiden 1994, 89-104, 73-80.
(6) Inzwischen ist bei E. Tov, Jerusalem, eine Dissertation zur Josua-LXX erschienen: L. Mazor, The Septuagint Translation of the Book of Joshua: Its Contribution to the Understanding of the Textual Transmission of the Book and its Literary and Ideological Development, Hebrew University, Jerusalem 1994. Auch in Leiden wird ein LXX-Projekt zur Josua-LXX vorbereitet. Vgl. weiter K. Bieberstein, Lukian und Theodotion im Josuabuch. Mit einem Beitrag zu den Josuarollen von Chirbet Qumran, BN, Beiheft 7, München 1994.
(7) Noths Bezirke V (15:45 und 19:41 ff.) und XI (15:60) fehlen bei Fritz. Er erreicht die Zwölfzahl mit den Distrikten XI (18:21 ff.) und XII (19:41 ff.).
(8) A. Alt, Judas Gaue unter Josia, PJB 21 (1925), 100-116 = KS II, 276-288.
(9) Die Benutzung des Terminus "Heiliger Krieg" im Sinne des deuteronomistischen Konzeptes erinnert zu stark an die von Radsche These, ohne die nachfolgende Diskussion zu beachten.
(10) L. Perlitt, Motive und Schichten der Landtheologie im Deuteronomium, in: G. Strecker (Hrsg.), Das Land Israel in biblischer Zeit, GThA 25, Göttingen 1983, 55 ff.