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Ausgabe:

Dezember/2011

Spalte:

1366-1368

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Zimmermann-Acklin, Markus

Titel/Untertitel:

Bioethik in theologischer Perspektive. Grundlagen, Methoden, Bereiche. 2., erw. Aufl.

Verlag:

Fribourg: Academic Press Fribourg; Freiburg-Wien: Herder 2010. 429 S. m. Abb. gr.8° = Studien zur theologischen Ethik, 126. Kart. EUR 52,00. ISBN 978-3-7278-1656-7 (Academic Press Fribourg); 978-3-451-33062-9 (Herder).

Rezensent:

Michael W. Lippold

Das Thema ›Bioethik‹ gehört zu jenen Schwerpunkten, deren kontroverse Diskussion in der Öffentlichkeit samt politischen Regelungsbedarfs immer wieder auch die Stellungnahmen von theologischen Ethikern veranlasst und erfordert, zugleich aber eine breite Verankerung und allgemeine Durchdringung auch in breiten Schichten der Bevölkerung als wünschenswert erscheinen lässt, zu­mal von einer allgemeinen Betroffenheit hinsichtlich einiger dort verhandelter Themengebiete ausgegangen werden kann. Diesem Anliegen dient der Band, der in einer um 41 Seiten erweiterten Zweitauflage Beiträge des in der Schweiz lebenden deutschen Mo­raltheologen Markus Zimmermann-Acklin vereint.
Die allgemeine Relevanz der verhandelten Thematik wird bereits in den einleitenden Bemerkungen verdeutlicht.
»Die Bioethik oder biomedizinische Ethik beschäftigt sich mit dem richtigen Handeln gegenüber dem Lebendigen oder der Natur. Insoweit dabei die natürlichen Grundlagen des Lebens und intuitiv verankerte Grenzen und Tabus in Frage gestellt werden, sehen sich theologische Ethiken in besonderer Weise herausgefordert. Die neuen Handlungsmöglichkeiten, die aufgrund der enormen Fortschritte in der Biomedizin eröffnet werden, erfordern nicht nur normative Überlegungen, sondern auch das Nachdenken über grundlegende Konturen menschlichen Lebens.« (7)
Dass dieses Thema prinzipiell jeden Menschen betrifft und zugleich gesellschaftliche Dimensionen besitzt, wird bei der anschließenden Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes deutlich. »Bioethische Fragen konzentrieren sich an den Rändern des Lebens: Anfang und Ende, Zeugung, Geburt und Sterben sind Prozesse, die nicht nur existentiell zu den intensivsten menschlichen Erfahrungen gehören, sondern die auch vor Augen führen, in welchem Maß wir Menschen verletzlich und aufeinander angewiesen sind.« (7) Der Vf. widmet sich vorrangig also dem menschlichen Leben in seinen Grenzbereichen, wenn trotz der eigentlichen Breite des Gebietes der Schwerpunkt auf den eher der Medizinethik zugehörigen Bereich des Gesundheitssektors gelegt wird.
In einem ersten Teil, der sich mit »Grundlagen und Methoden einer theologischen Bioethik« auseinandersetzt (13–103), legt er Voraussetzungen und methodische Zugänge offen. Bemerkenswert ist der von ihm präferierte implizit theologische Zugang, der weniger mit direkt aus theologischen Normen und Werten abgeleiteten Prämissen operiert, sondern auf allgemein vermittelbare und damit auch diskursfähige Prinzipien setzt. Dies schlägt sich folglich auch in den programmatischen Grundsätzen nieder.
»Für das Grundlegungsprogramm einer theologischen Bioethik stellen sich drei Aufgaben: Erstens das Eintreten und Argumentieren zugunsten grundlegender moralischer Prinzipien, die in der biblischen Tradition verwurzelt sind, namentlich das Prinzip der Menschenwürde, das Instrumentalisierungsverbot oder daraus abgeleitete Prinzipien wie die goldene Regel oder die Einhaltung der Menschenrechte. Zweitens die Suche nach gemeinsamen moralischen Ansichten, Werthaltungen und Idealen innerhalb pluralistischer Gesellschaften auf der Basis gemeinsamer Erfahrungen, Grundhaltungen und Vorstellungen von einem guten Leben. Drittens schließlich im Vertreten profilierter, möglichst verständlich begründeter Standpunkte, die sich aus der christlichen Tradition und Überzeugung heraus ergeben, wie die Betonung der Compassion, die besondere Option für die Armen, die Einheit von Gottes- und Nächstenliebe, die Erhaltung der Schöpfung, die Solidarität und Gerechtigkeit.« (43 f.)
In den weiteren Kapiteln (II. Verteilungsgerechtigkeit und Anerkennung von Grenzen in der Gesundheitsversorgung, 105–229; III. Ein guter Tod? Überlegungen zu schwierigen Entscheidungen am Lebensende, 231–345; IV. Bioethik im klinischen Alltag, 347–407), an die sich schließlich noch ein »Ausblick« anschließt, wird dieses theologische Programm anhand ganz praktischer Herausforderungen vornehmlich im Gesundheitswesen exemplifiziert. Deutlich wird hierbei, dass insbesondere die angesichts der demographischen Entwicklung und der durch den medizinisch-tech­nischen Fortschritt verursachten steigenden Kosten eintretende Res­sourcenverknappung einer theoretischen Grundlegung und Durchdringung bedarf, um über transparente und nachvollziehbare Kriterien eine dem Prinzip der Gerechtigkeit und der solidarischen Versorgung verpflichtete Regelung zu finden. Dabei ist es erforderlich, die Aufmerksamkeit nicht nur auf aktuell diskutierte Brennpunkte zu richten, sondern auch die Herausforderungen der ganz alltäglichen Gesundheitsversorgung im Auge zu behalten.
»Wird die menschliche Person am Lebensbeginn und -ende geschützt, so ist aus Gründen der Konsistenz die Würde auch bei den Menschen zu achten, die mitten im Leben stehen. Die Sorge um kranke und pflegebedürftige Menschen und damit der Einsatz zu Gunsten der gesundheitlichen Versorgung aller ist ebenso wichtig wie beispielsweise das Engagement zu Gunsten des Schutzes menschlicher Embryonen.« (115)
Im Gegensatz zur impliziten Rationierung, wie sie in Gestalt von eingeführten Globalbudgets und Behandlungspauschalen bereits praktiziert wird, plädiert der Vf. auch aus Gründen der besseren Nachvollziehbarkeit für eine an festgelegten Kriterien ausgerich­tete explizite Rationierung, die freilich im theologischen wie medizinethischen Diskurs durchaus umstritten sein dürfte, fallen hier doch Stichworte wie »Einführung von Behandlungsleitlinien, Ausschlüsse bestimmter Therapien aufgrund mangelnder Kosteneffizienz, … Berücksichtigung sozialer Kriterien wie dem Alter« (174). Grund dessen ist die bittere Tatsache, dass aus praktischen Gegebenheiten heraus solche Überlegungen unumgänglich sind:
»Es geht nicht um die Frage, ob rationiert werden soll bzw. Leistungsbeschränkungen eingeführt werden sollen, sondern wie, nach welchen Methoden und Kriterien vernünftiger- und gerechterweise rationiert werden soll.« (186) Trotz zur Verfügung gestellter ethischer Kriterien für solche Maßnahmen zur Rationierung im Gesundheitssystem bleibt jedoch fraglich, ob diese auf allgemeine Akzeptanz stoßen und mithin politisch durchsetzbar sind oder aber am Ende doch nur der unumstrittene, appellative Natur tragende Aufruf an eine solidarische Finanzierung übrig bleibt. »Alle Menschen sollten möglichst gleichermaßen am wachsenden Wohlstand und den Fortschritten der Medizin beteiligt werden und dadurch entstehende zusätzliche Kosten sozial finanziert werden.« (217)
Es bleibt das zu konstatierende Dilemma, dass gerade auf diesem hochsensiblen Gebiet keine allgemeingültige Lösung in Sicht ist und die Frage der Tragfähigkeit ethischer Kriterien etwa angesichts einer möglichen persönlichen Betroffenheit ebenfalls offenbleiben muss.
Positiv zu würdigen ist, dass kritische Stimmen zur biomedizinischen Ethik und deren Entwicklung, insbesondere aus ökologischer oder feministischer Perspektive (Eugenik »funktioniere ohne staatlichen Unterdrückungsapparat im Namen von Freiwilligkeit und Selbstbestimmung der Frauen, werde meist unbeabsichtigt praktiziert«, 421), nicht verschwiegen werden. Wegweisend ist in diesem Zusammenhang auch der am Ende stehende »Ausblick«, in dem der Vf. die Gefahren einer »Verrechtlichung und Politisierung« der Bioethik – etwa in nicht demokratisch legitimierten Ethikkommissionen – rezipiert, die sich in Form von Instrumentalisierung oder gar der Beeinflussung von Stellungnahmen durch die anstellende Institution äußern. Hier ist in der Tat darauf zu achten, dass unabhängige und der Achtung der Menschenwürde strikt verpflichtete Meinungsäußerungen nicht marginalisiert werden.
Insgesamt verschafft der Band einen detaillierten Überblick über die Problemlagen in einzelnen bioethischen Bereichen, wobei das am Ende eines jeden Aufsatzes aufzufindende Literaturverzeichnis sich für weitere Recherchen als hilfreich erweist. Er verdeutlicht zugleich die Schwierigkeiten, zu wirklich konkreten Lösungsansätzen zu gelangen, die theologisch vertretbar sind und die Chance auf gesellschaftliche Akzeptanz besitzen. Hoffnungsvoll stimmt die ausgewiesene Diskursfähigkeit und -willigkeit dieses katholischen Moraltheologen, der vom Primat der Vernunft ausgehend auf die Kraft der Argumente setzt, was speziell hinsichtlich künftiger gemeinsamer ökumenischer Stellungnahmen oder kirchlicher Voten in Ethikkommissionen als überaus notwendig erscheint.