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Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

20 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Thiede, Werner

Titel/Untertitel:

Esoterik –­ die postreligiöse Dauerwelle. Theologische Betrachtungen und Analysen.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Bahn 1995. 162 S. kl.8o = Reihe Apologetische Themen, 6. DM 2,280. ISBN 3-7621-7706-6.

Rezensent:

Niels Peter Moritzen

Es sieht aus wie ein Taschenbuch ­ klein, leicht, bunt im Einband und mit einem flotten Titel. Aber beim Durchblättern fallen einem jede Menge Fußnoten auf (450 auf 160 Seiten) ­ hier wird extensiv über die Literatur zum Thema informiert und die eigene Position in der Debatte dokumentiert. Das Werk steht zwischen einer populären Orientierung und einer wissenschaftlichen Analyse.

Das hängt auch mit dem Verständnis der Aufgabe der Apologetik zusammen; sie hat sich nicht nur an Fachleute zu wenden, sondern ein breiteres Publikum anzusprechen; sie darf es nicht bei Darstellung, Analyse und Kritik bewenden lassen, sondern hat auch die eigene Position zu klären und zu vertreten.

Das ist in der öffentlichen Diskussion um die neuen religiösen Strömungen bisher eher die Ausnahme gewesen. Ins Auge fiel die energische Polemik gegenüber den straff organisierten Gruppen; nicht ganz so leicht sichtbar war die Tendenz, neue Strömungen soweit irgend möglich zu integrieren und in Dienst zu nehmen (z.B. christliches Yoga; oder das "Enneagramm"). Hier ist ein solider Mittelweg beschritten, und man darf sich freuen, daß die Reihe schon bis Band 6 gekommen ist, und muß hoffen, daß sie auch nach dem Umzug der Evangelischen Zentrale für Weltanschauungsfragen von Stuttgart nach Berlin weiter gedeiht ­ dort hat ja der Vorläufer, die "Apologetische Centrale", bis ins Dritte Reich hinein gewirkt.

Das Sachthema der Esoterik verdient weit mehr Aufmerksamkeit und auch Detailkenntnis als die Polemik ihm zuwandte, die sich vor allem auf die fest organisierten Gruppen richtete. Wenn diese zwischen 0,5 und 1 Prozent der Bevölkerung der BRD erreicht (so G. Schmidtchen), so erreicht der "Markt" der Esoterik wohl an die 20 Prozent und mehr ­ je nachdem, wie man fragt.

Der Autor versucht eine Deutung des Gesamtphänomens in seiner neuen Gestalt ­ es hat ja eine lange Vorgeschichte, die sich auch belegen läßt. Im ersten Kapitel (14-55) gibt es dazu einleuchtende Stichworte: Es handelt sich um eine antisäkularistische Haltung, in der Angebote religiöser Lebenshilfe gemacht und gesucht werden. Wie in früheren Formen von Esoterik gehört dazu ein monistisches Weltbild. Der Autor nennt das Phänomen: postreligiös, in Analogie zu postmodern; also religiös ohne das, was frühere Religiosität meist kennzeichnete: volle Bindung und Hingabe. Postmodern ­ man möchte nicht auf Stütze und Anspruch, wissenschaftlich zu sein, verzichten. Der Begriff "postreligiös" ist nicht glücklich; man wartet auf einen besseren.

Das zweite Kapitel (56-83) widmet sich der Lage Judendlicher ("Jugendokkultismus") und sucht aufzuzeigen, wie weit verbreitet eine Neigung in diese Richtung unter Jugendlichen ist, und wie tief seine Wurzeln sind.

Das dritte Kapitel (86-123) widmet sich dem Markenzeichen "New Age" und dem Geschichtsbild der neuen Esoterik. Gewiß sind die Trends kurzlebig; aber das Gesamtphänomen ist keine rasch vergehende Erscheinung; es ist eine "Dauerwelle". Hier, und besonders im Kapitel IV (über den Synkretismus der Esoterik) wird deutlich die Diakrisis geübt, die Unterscheidung zu den Gehalten christlicher Hoffnung herausgearbeitet und gegenüber verschleiernden Tendenzen ("Paradigmenwechsel") auch angemahnt.

Wer die Zeichen der Zeit in den Erwartungen der Menschen unserer Gesellschaft zu verstehen, zu deuten sucht, findet hier eine brauchbare Hilfe, die ihm die Orientierung erleichtert und zur theologischen Verantwortung ermutigt.