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Ausgabe:

Dezember/2011

Spalte:

1360-1362

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Ceming, Katharina

Titel/Untertitel:

Ernstfall Menschenrechte. Die Würde des Menschen und die Weltreligionen. Weiterer Titel: Religionen und Menschenrechte. Menschenrechte im Spannungsfeld religiöser Überzeugungen und Praktiken.

Verlag:

München: Kösel 2010. 512 S. 8°. Geb. EUR 24,99. ISBN 978-3-466-36822-8.

Rezensent:

Sylvia Losansky

Die Publikation der Philosophin und Theologin Katharina Ceming wurde im Jahr 2009 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg als Dissertation angenommen. Bisher hat sich C. vor allem durch Publikationen im Bereich der Mystik und der religiösen Weisheitsliteratur einen Namen gemacht. Mit den Menschenrechten greift sie nun ein explizit sozialethisches Thema auf, wahrt mit den Weltreligionen als Bezugsgröße aber zugleich die religionswissenschaftliche Perspektive, welche schon frühere Arbeiten von ihr kennzeichnet.
Ausgangspunkt der Studie bildet die Beobachtung, dass die Welt auch mehr als 60 Jahre nach der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die UNO nicht nur von einer faktischen Einhaltung der Menschenrechte weit entfernt ist, sondern auch die normative Gültigkeit der Menschenrechte verstärkt infrage gestellt wird. Damit rekurriert C. auf die altbekannte, aber noch immer aktuelle Kontroverse zwischen einer universalis­tischen und einer partikularistischen Interpretation der Menschenrechte, die hier mit Blick auf die Rolle der Weltreligionen in den Fokus gerückt wird.
In ihrer Gliederung verfährt C. nach einem einfachen und zu­gleich sehr übersichtlichen Schema. In einem ersten Teil A ([13]15–70) wird zunächst die Geschichte der Menschenrechte nachvollzogen, bevor im eigentlichen Hauptteil B ([71]73–373) die fünf großen Weltreligionen nacheinander abgehandelt werden. Teil C ([375] 377–380) bietet schließlich ein kurzes Resümee.
Zu Beginn von Teil A (15–43) setzt sich C. zunächst mit den geistesgeschichtlichen Grundlagen der Menschenrechtsidee auseinander, die sie zwischen dem Aspekt der Menschenwürde auf der einen und der Vorstellung eines ewigen Naturrechts auf der anderen Seite aufspannt. Dabei widerspricht C. in Auseinandersetzung mit Peter Singer gleich zu Anfang jedem Versuch, die Würde des Menschen im Aktualzustand und somit in einer rein empirisch-deskriptiven Sicht wurzeln zu lassen. Vielmehr müsse von einer Unbedingtheit der Menschenwürde ausgegangen werden, die letzten Endes allein über den Potenzialzustand des Menschen begründet werden könne. Damit entscheidet sie sich für ein explizit normatives Verständnis der Menschenwürde, dessen geschichtliche Entwicklung sie anschließend von der Antike bis zur Philosophie Immanuel Kants kursorisch nachvollzieht. In gleicher Weise nä­hert sich C. dem Naturrechtsgedanken, hier mit Schwerpunktsetzung bei Th. v. Aquin sowie den Vertragstheoretikern Th. Hobbes und J. Locke.
Nach diesem geschichtlichen Abriss ist der Weg zur vertieften Auseinandersetzung mit den neuzeitlichen Menschenrechten geebnet. Kapitel 2 von Teil A (44–50) zeichnet in diesem Zusammenhang die Kodifizierung der Menschenrechte von der Magna Charta bis zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und ihren Folgeabkommen nach, bevor Kapitel 3 (51–70) die Kontroverse zwischen den sog. Relativisten und Universalisten aufrollt. Bezüglich Letzteren will C. zwei Hauptrichtungen unterschieden wissen, je nachdem, ob die theoretische Konzeption unter Zugrundelegung metaphysischer Prämissen erfolgt und mit der Annahme eines Naturrechts verbunden bzw. von einem universellen Logikverständnis geprägt ist oder nicht. Dass diese universalistische Sicht zugleich C.s Überzeugung entspricht, wird vor allem durch ihre Auseinandersetzung mit den Relativisten offenbar, deren vermeintliche Toleranz sie letztlich als »Kulturrassismus, der das Existenzrecht eines Lebens vom kulturellen Kontext abhängen lässt« (70) entlarvt und deren unter dem Deckmantel von Selbstbescheidung geübte Weigerung, sich in andere kulturelle Standards einzumischen, C. als Höchstform von Arroganz kritisiert, insofern hier bestimmten Menschen oder Gruppen Rechte vorenthalten werden, »nur weil sie in einem anderen kulturellen Kontext geboren wurden« (69 f.).
So gerüstet startet C. ihre eigentliche Untersuchung der Weltreligionen. Der große Hauptteil B (73–373) verfolgt in diesem Zusammenhang nachstehende Ziele: Erforscht werden soll, »ob der Gedanke der Menschenrechte in den verschiedenen Religionen grundgelegt ist, ob sie sich aus den einzelnen Religionen ableiten lassen oder ob sie in Widerspruch zu deren Grundüberzeugungen und Werten stehen. Ferner gilt es zu analysieren, welchen Beitrag die einzelnen Religionsgemeinschaften zur Durchsetzung der Menschenrechtsidee geleistet haben« (73). Dabei beginnt C. jeweils mit einer Eruierung der heiligen Texte sowie des Menschen- und Weltbildes der einzelnen Religion, geht dann zu einer Analyse des Verhältnisses der jeweiligen Religion zu den Menschenrechten über und endet schließlich mit einer Betrachtung über die Stellung der Frau. Mit letzterem Schritt setzt die Studie einen deutlichen Akzent bei Genderfragen. Als Leser wäre man für eine Zusammenfassung der Ergebnisse am Ende der einzelnen Kapitel dankbar gewesen. Dies hätte den Erkenntniswert der Studie zweifellos noch gesteigert. Auch vermisst man durchweg eine vergleichende Perspektive, was eine gewisse analytische Schwäche zeigt.
So muss man als interessierter Leser für die Auswertung der Erkenntnisse allein auf das knapp vierseitige Resümee (Teil C: 377–380) warten, welches die ersehnte Zusammenschau der Religionen dann allerdings auch nicht leistet und so die zu Beginn von Teil B genannten Leitfragen nicht wirklich beantwortet. Stattdessen wiederholt C. hier lediglich erneut ihr Plädoyer für eine universalistische Interpretation der Menschenrechte sowie ihre Kritik an der kulturrelativistischen Position. Nicht unbedingt neu ist denn auch das eigentliche Ergebnis, zu dem C. am Ende kommt: Es sind weder die Religionen noch die ihnen zugrunde liegenden heiligen Texte als solche, die ein universalistisches Verständnis der Menschenrechte verhindern, sondern der Umgang mit den religiösen Zeugnissen, d. h. die Deutung und Auslegung derselben. Erst wenn die Kontextabhängigkeit der religiösen Quellen erkannt und anerkannt worden ist, erst wenn der Schritt von einer metaphysischen zu einer mental-rationalen Bewusstseinsebene erreicht ist, ist die Möglichkeit einer universalistischen Interpretation der Menschenrechte gegeben. Diesen Schritt haben die einzelnen Weltreligionen freilich bisher in sehr unterschiedlicher Weise vollzogen.
Etwas verwirrend mutet die Tatsache an, dass die Publikation unter zwei abweichenden Titeln gleichzeitig geführt wird – vgl. die Differenz zwischen Einband und Titelei. Doch gibt es weit wichtigere Aspekte.
Für eine wissenschaftliche Arbeit obligatorisch zu erwartende Kapitel wie Stand der Wissenschaft, Forschungsdesiderat oder Verortung der Arbeit in der bisherigen Forschung sowie eine Rechenschaft über die Methodik sucht man vergeblich. Der »Aufriss des Vorhabens« wird auf sehr komprimierten eineinhalb Seiten gegeben (11–12) und tritt bei dieser Arbeit an die sonst gewöhnliche Stelle des Vorworts.
Kritisch zu betrachten ist, dass C. gleich zu Beginn des Buches (12) eine ausdrückliche Entscheidung für eine Schwerpunktsetzung zugunsten der klassischen Freiheits- und Abwehrrechte trifft. Begründet wird dies mit dem recht kurzen Hinweis, jene würden »auf den Schutz der Würde des Menschen abzielen«. Trifft dies nach Ansicht von C. auf die sozialen und kollektiven Rechte dagegen nicht zu? Zwar kommt C. in Teil A selbst zu dem Schluss, dass alle drei Generationen der Menschenrechte zusammengehören und keine der Generationen gegen die anderen ausgespielt werden dürfe (50), dennoch beginnt sie ihren Hauptteil C (73–373) dann erneut mit der Absicht, »im Folgenden nun konkret … das Verhältnis der Religionen zu den Menschenrechten als individuellen Freiheitsrechten« (73) zu untersuchen. Eine Begründung für diese Einseitigkeit unterbleibt an dieser Stelle abermals. Durch diese Engführung wird jedoch nicht nur die Einheit der Menschenrechte aufgeweicht, C. vergibt sich auch wichtige Bausteine für eine komplexe und mehrdimensionale Erörterung der Materie.
Schlussendlich kann aus protestantischer Sicht kaum überzeugen, dass das Christentum von C. unreflektiert und ohne jegliche Be­gründung nahezu vollständig mit dem Katholizismus in eins gesetzt wird. Abgesehen von kurzen Anmerkungen über die Zeit der Reformation wird die Tatsache, dass das Christentum verschiedene Konfessionen vereint und diese einen je spezifischen Zugang zu den Menschenrechten entwickelt haben – gerade auch was die Begründung der Menschenrechte betrifft –, völlig außer Acht ge­lassen. Damit verbunden vermisst man in der Arbeit leider auch die Rezeption zentraler aktueller Forschungsarbeiten aus dem Bereich der evangelischen Theologie. Für jemanden, der eine übersichtliche Einführung in das Verhältnis von Menschenrechten und Weltreligionen sucht, eignet sich das Buch aber in jedem Fall als informative Lektüre.