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Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

17 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Isayeva, Natalia

Titel/Untertitel:

Shankara and Indian Philosophy.

Verlag:

New York: State University of New York Press 1993. VII, 285 S. gr.8o = SUNY Series in Religious Studies. Kart. $ 14.95. ISBN 0-7914-1281-4.

Rezensent:

Michael von Brück

Die Vfn. knüpft an die Arbeiten von Paul Hacker und Satchidananda Murty an, um ­ in Anlehnung vor allem an die Ergebnisse von Wilhelm Halbfass ­ den gegenwärtigen Stand der Forschung über den frühen Vedânta, ´Sa´nkara und die späteren Entwicklungen im Kontext einiger anderer philosophischer Entwicklungen in Indien, namentlich des Buddhismus, zusammenzufassen. Dabei grenzt sie sich z.B. von Hackers Periodisierung des Schaffens ´Sa´nkara in bezug auf seine Buddhismus-Rezeption ab. (12) Ihre Grundthese ist, daß die Ähnlichkeit einiger Begriffe und konzeptueller Strukturen von Buddhismus und Advaita weder eine typologische Affinität der beiden Systeme noch die Vermutung eines gravierenden Einflusses buddhistischen Denkens auf ´Sa´nkara rechtfertigt, da ´Sa´nkara in seiner Methodologie stets orthodox, d.h. am Schriftprinzip (Offenbarungs-Autorität der Vedas) orientiert geblieben sei. (145

Die These wird belegt vor allem durch eine Nachzeichnung der Auseinandersetzung ´Sa´nkaras mit der Sarvâstivâda-Schule und einigen Entwicklungen im Mahâyâna, die Vfn., methodologisch angemessen, so wahrnimmt, daß keine Begrifflichkeiten und logische Muster aus einem System wegen Gleichlauten der Begriffe auf ein anderes übertragen werden können, sondern nach dem gesucht werden muß, was Raimon Panikkar homöomorphe Äquivalente genannt hat (der Begriff taucht in der vorliegenden Studie nicht auf). Sehr zu Recht untersucht sie vor allem zwei Hauptfragen (fast) aller indischer philosophischer Systeme: die Frage nach den gültigen Mitteln der Erkenntnis (pramâna) und das Problem der Kausalität. Sie nimmt die alte Frage auf (Murty, Mahadevan u.a.), in welchem Verhältnis ´Sa´nkara zu seinem advaitischen Vorläufer Gau.dapâda stehe und kommt zu dem Schluß, das ´Sa´nkara den Lehrer uminterpretiert und "ent-buddhisiert" habe, wenn aus einem Bewußtseinszustand die ontologisierte brahman-Realität würde. (61) Dies kann man so sehen, muß es aber nicht, zumal die Vfn. das Verhältnis von Epistemologie und Ontologie im frühen Advaita nicht hinreichend klärt, vor allem aber die Frage umgeht, ob solche (griechischen) Kategorisierungen den hier analysierten philosophischen Systemen überhaupt gerecht werden ­ u.E. werden sie es nicht. Besonders eindrucksvoll gelungen ist die zusammengefaßte Diskussion der Perzeptions- und Bewußtseinstheorie der buddhistischen Vaibhâ.sika-Schule (150 ff.) sowie die Darstellung von a karas Kausalitäts-Verständnis im Zusammenhang mit der mâyâ-Theorie (160 ff. und 222 ff.) Sie weist auf eine Kernaussge ´Sa´nkaras hin: Brahman als immer präsentes Subjekt erscheint als Garant der Identität des Subjekts der Wahrnehmung und der Erinnerung. (170) Das Verhältnis der advaitischen Theorie zu den theistischen Sprachspielen a karas wird anhand der Schöpfungslehre ´Sa´nkaras (gegen den regressus ad infinitum der Buddhisten) sowie unter anthropologischen Kategorien eher deskriptiv als analytisch erörtert. (180 ff.). Die Vfn. folgt Frank Whaling (187) in dessen Einschätzung, daß ´Sa´nkara das sûnyatâ-Konzept der Buddhisten offensichtlich nicht hinreichend verstanden habe und urteilt: ob das Absolute positiv oder negativ begriffen werde, hänge am Standpunkt, denn sûnyatâ sei für die Buddhisten nicht mehr und weniger real als das höhere brahman für ´Sa´nkara. (188) Die Weigerung der Mâdhyamika-Buddhisten, eine letzte ontologische Realität begrifflich zu benennen, wird in den Kontext der Rede von den zwei Wahrheitsebenen gestellt, wobei der Unterschied zwischen den entsprechenden Theorien im Mahâyâna und Advaita nicht ganz deutlich sichtbar wird. Stattdessen vergleicht die Vfn. das Problem der vollständigen Überlagerung der zwei Wahrheiten mit Phänomenen in der Gestaltpsychologie, wo zwei gegenseitig konvertierbare Figuren ebenfalls einander vollständig überlagern. (191) Solche und ähnlich wiederholt vorkommende "Verständnishilfen" für den westlichen Leser sind assoziativ, irritierend und dem genauen Verständnis der philosophischen Argumente ´Sa´nkaras (und seiner Gegner) eher hinderlich.

Die Behandlung der anderen Schulen, vor allem der späteren Entwicklungen im Vedânta, besonders der bhedâbheda-Schule, die interessante Lösungen zu den bei ´Sa´nkara angeschnittenen Problemen auf dem Hintergrund des Mahâyâna-Buddhismus anzubieten beansprucht, ist marginal. Die knappe Zusammenfassung des Denkens Râmânujas (243 ff.) ist prägnant.

Die Kapiteleinteilung und wenig differenzierte Gliederung läßt oft nicht erkennen, welche Philosopheme und Theorien abgehandelt werden, wodurch leider viele wertvolle Einsichten versteckt werden (so die gute Darstellung der buddhistischen Kritik am Jainismus, 134, die Polemik mit den Lokâyatas, 112, die Verbindung zwischen dem âlayavijñâna der Yogâcâra-Schule und dem âtman der Vedântins, 186 f.) oder gar verloren gehen. Selten habe ich eine Arbeit mit so vielen Druckfehlern gelesen (allein im kurzen Inhaltsverzeichnis fünf!).