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Ausgabe:

Dezember/2011

Spalte:

1347-1348

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Weeda, Robert

Titel/Untertitel:

Itinéraires du Psautier huguenot à la Renaissance.

Verlag:

Turnhout: Brepols 2009. 252 S. m. Abb. u. Ktn. gr.8°. Kart. EUR 50,00. ISBN 978-2-503-53071-0.

Rezensent:

Nicola Stricker

Mit dieser Untersuchung legt der Musikwissenschaftler Robert Weeda nach seinem 2002 ebenfalls bei Brepols erschienenen Opus Le Psautier de Calvin. L’histoire d’un livre populaire au XVIe siècle erneut eine Monographie zum Hugenottenpsalter vor. Detailliert beschreibt er darin nicht nur die Anfänge des Genfer Psalters, sondern auch die europaweite Verbreitung, die dieser im 16. Jh. erfahren hat. Bezog sich seine erste Studie noch vorrangig auf den französischsprachigen Raum, so interessieren ihn hier insbesondere die Wege (»itinéraires«) dieses kirchenmusikalischen Werkes, von dem die reformierte Frömmigkeit maßgeblich geprägt worden ist: von ersten Anfängen in Straßburg und der Schweiz über ganz Westeuropa (einschließlich England) bis hin nach Osteuropa (insbesondere Böhmen, Polen-Litauen und Ungarn). Indem W. den reformierten Protestantismus in seiner europäischen Dimension in den Blick nimmt und die kursierenden Psalterversionen detailgenau – bisweilen detailverliebt – analysiert und gegenüberstellt, gelingt es ihm, einen Eigenbeitrag zu einem beliebten Forschungsthema (siehe die ausführliche Bibliographie) zu leisten.
Im ersten Teil untersucht W. zunächst die Psalmen als Schlüssel reformierter Liturgie. Er räumt mit dem Vorurteil eines musikfeindlichen Johannes Calvin auf, der sich nicht gegen Kirchenmusik im Allgemeinen verwahrte, sondern in erster Linie gegen die dem Wesen der Kirche nicht konformen ohrgefälligen »Papisten-Ge­-sänge« (cf. Inst. III, 30), zu denen für ihn allerdings – anders als für Bucer– der Chorgesang gehörte. Beeinflusst vom deutschen Straßburger Psalter stellte Calvin 1539 ein Psalm- und Gesangbuch (Aulcuns pseaulmes et cantiques mys en chant) zusammen, das Psalmen von Clément Marot und eigene Psalmdichtungen enthielt und die Innovation eines unisono zu singenden französischen Kirchengesangs bot.
Calvins eigene Dichtungen beurteilt W. kritisch, nicht zuletzt aufgrund ihres Mangels an Eleganz. Die Tatsache, dass Calvin einem Vertrauenspsalm die deutsche Melodie eines Klagepsalms unterlegte, lässt W. an der dichterischen Sensibilität des Reformators zweifeln (18 f.). Die Gegenüberstellung von Calvins und Clément Marots Psalmendichtung (53–59) soll nahelegen, dass die endgültige Ersetzung der Psalmen Calvins durch diejenigen von Marot in der Ausgabe des Psalters von 1553 zu begrüßen war. Der Nachfolger Marots, Theodor von Beza, erwies sich in poetischer Hinsicht zwar als Rück­schritt; dennoch wirkte er zweifellos segensreich für die weitere Geschichte des Hugenottenpsalters, indem er infolge seines diplomatischen Geschicks die Druckgenehmigung des Königs erlangte.
Im zweiten Teil würdigt W. die Verbreitung des Hugenotten­psalters in Europa. Der Genfer Psalter war ein Verkaufsschlager: auf Messen (Frankfurt, Leipzig) und in ausländischen Buchhandlungen. Drucklegung und Übersetzung im Ausland machten ihn zum »Hu­genottenpsalter«. Überall in Europa entstanden volkssprachliche Übersetzungen, die für die Erarbeitung eigener Psalter verwendet wurden (z. B. für den u. a. von John Knox geschaffenen »Scottish Psalter«). In Deutschland besorgte die Heidelberger Buchdruckerei die Übersetzung des Psalters ins Deutsche und ins Niederländische. Emden wird als reges Druckzentrum vorgestellt, das ebenfalls für die Verbreitung des Psalters in den Niederlanden Bedeutung er-langte. Hervorzuheben ist, dass der Leser Wissenswertes über die Geschichte des Buchdrucks und -vertriebs, über wichtige protestantische Verlagszentren (Genf, Lyon, Debrecen) und über Verleger des 16. Jh.s erfährt.
Um die Text- und Wirkungsgeschichte des Genfer Psalters, der in seiner Komplettausgabe (1562) 150 Psalmen umfasste, nachzuvollziehen, bedarf es einiger Aufmerksamkeit. Dies gilt auch für die Herkunft der Melodien (von der bereits erwähnten Entlehnung deutscher Melodien bis hin zu den Eigenkompositionen des polnischen Komponisten Gomólka). Leider werden selbst nach mehrmaligem Lesen nicht immer alle Zusammenhänge deutlich. Die Untertitel, die das Ganze strukturieren sollen, dienen nicht immer der Klarheit, vor allem wenn in fröhlichem Wechsel von Versionen, Personen und Orten die Rede ist. Die Namensvielfalt erschlägt bisweilen, denn alle im Zusammenhang mit den verschiedenen Versionen des Psalters Stehenden werden ausführlich gewürdigt – von Reformatoren über Dichter und Komponisten bis hin zu sämtlichen Verlegern und sonst an der Verbreitung Beteiligten. Hier wäre an manchen Stellen etwas weniger Gelehrsamkeit und stattdessen mehr Strukturierung und Gewichtung hilfreicher gewesen.
Andererseits ist die Darstellung regionalgeschichtlicher Be­son­derheiten durchaus ein Gewinn. Kapitel 5 des 1. Teils informiert über den öffentlichen Psalmgesang der Geheimzunft der Buchdruckergesellen (»Compagnie des Griffarins«) in Lyon, Kapitel 6 über religiös und politisch motivierte Psalmgesänge der jungen Leute in Tournai, die nicht zuletzt dazu beitrugen, dass Guy de Brès, der Verfasser der Confessio belgica, 1561 erneut den Weg ins Exil antreten musste. Das 9. Kapitel des zweiten Teils ist ganz dem protestantischen Béarn und seinen Regionalsprachen gewidmet.
Den kulturgeschichtlichen Aspekt des Psalters, den Musikbeispiele und Ansichten von Titelblättern illustrieren, unterstreicht W. auch durch den Titel der Untersuchung, mit dem er den Psalter ausdrücklich in den Kontext der Renaissance stellt. Im Wechselspiel von musikwissenschaftlicher Analyse und historischer Be­trachtung gelingt es W., anschaulich vor Augen zu führen, dass eben nicht nur Bibelübersetzungen und theologische Literatur, sondern auch Gesangbücher das reformatorische Gedankengut und Erbe über Generationen hinweg wie über Landes- und Sprachgrenzen hinaus weitergetragen haben.