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Ausgabe:

Dezember/2011

Spalte:

1341-1343

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Neumann, Burkhard

Titel/Untertitel:

»Gott Alles in Allem« (1 Kor 15,28). Eine Studie zum eschatologischen Denken Franz Anton Staudenmaiers.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2010. VII, 351 S. gr.8° = Münsterische Bei­träge zur Theologie, 68. Geb. EUR 47,00. ISBN 978-3-402-11367-7.

Rezensent:

Bertram Stubenrauch

Oft werden mit dem Begriff ›Eschatologie‹ Vorstellungen verbunden, die das Ende von Mensch und Welt eher unabhängig vom Leben ›zuvor‹ betreffen. Man bedenkt, was ›danach‹ kommt – und gerät in die Verlegenheit, etwas sagen und beschreiben zu müssen, was trotz vieler Bilder ziemlich unanschaulich bleibt. Dass die Eschatologie nicht das malerische Anhängsel der ansonsten dis­kursiv betriebenen Dogmatik ist, zeigt der Blick des Vf.s – er hat sich mit dieser Arbeit in Münster habilitiert und arbeitet am Paderborner Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik – auf das Werk des Freiburger Theologen F. A. Staudenmaier (1800–1856). Theologie ist bei diesem von der frühen Tübinger Schule geprägten Autor grundsätzlich und im Allgemeinen ›eschatologisch‹ angelegt, das heißt, sie wird »vom Ende bzw. genauer von der Vollendung her« gedacht, »also von der Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott her, auf die hin der Mensch geschaffen und auf die hin er darum in seinem irdischen Leben unterwegs ist« (291). Staudenmaier formuliert seine Dogmatik mit Hilfe des griechischen Paideia-Gedankens, den er vertiefend vor dem denkerischen Hintergrund seiner Zeit – J. S. v. Drey, F. W. J. Schelling und G. E. Lessing –, doch abgrenzend gegen die Spekulation Hegels zur Anwendung bringt. Gegenüber dem Berliner Geistesriesen mussten die Kate­-gorien ›Geschichte‹ und ›Freiheit‹ neu bewertet und für die katholische Dogmatik fruchtbar gemacht werden, was Staudenmaier zu folgender Position führt: Geschichte ist nicht der Weg Gottes zu sich selbst, sondern der Weg des geschaffenen Geistes, der sich mit Leiblichkeit verschwistert weiß, zu Gott; und Freiheit ist nicht das dialektische Gegenmoment des sich explizierenden Notwendigen, sondern die zwanglose Einstimmung und Einübung des Geschöpfs in jene Zielgerade, die Gottes Idee vom Menschen mit dessen persönlicher Entfaltung zusammenfallen lässt.
Für Staudenmaier zeigt sich in der Heilsgeschichte göttlicher Geist am Werk, so dass sich mit dem Vf. sagen lässt, in seiner Dogmatik sei bereits anfänglich eine genuin pneumatologische Di­mension greifbar, die er »im weiteren Verlauf seines Denkens nicht mehr verlieren wird« (48). Der Geist tritt von außen her an den Menschen heran und befähigt ihn, je individuelle nachbildliche Akte Christi zu setzen. Insofern sind Gott und Mensch, Gott und Geschichte streng voneinander geschieden, aber innig aufeinander bezogen. Dazu Staudenmaier in der zweiten Auflage seiner »Enzyklopädie« von 1840: »Der Geist Gottes ist, wenn wir ihn im Gegensatze zu unserer Natur betrachten, etwas Übernatürliches; er ist aber in sofern nicht etwas schlechthin Übernatürliches, d. h. Fremdes, als er in lebendige Verbindung mit unserm Geiste tritt, und dieser schon ursprünglich für den göttlichen Geist geschaffen ist« (§ 845; Neumann, 159).
Im Heiligen Geist wird der Mensch als Wesen der Relation sichtbar, dem kraft dieser Relation freilich auch die Freiheit zum Sündigen zukommt. In der Konsequenz muss der Mensch akzeptieren, dass ihn der Tod von dem entfremdet, was er gemäß der göttlichen Idee sein soll; die in ihm verwirklichte »Synthese von Geist und Natur« (164 – ein Staudenmaier-Zitat) zeigt sich nachhaltig gestört. Klar und gut lesbar arbeitet der Vf. heraus, wie man mit diesem Bescheid den Tod zu bewerten hat, den Staudenmaier traditionsgemäß als Trennung von Leib und Seele (Geist) versteht: Er ist eine Sündenstrafe und mithin ein Debakel für das menschliche Ich, welches trotz seiner Geist-zu-Geist-Relation nunmehr von der bloßen Natur beherrscht wird. Was durch den Menschen hätte vollendet werden sollen, das knechtet ihn jetzt. Doch bei dieser skandalösen Verquerung bleibt es nicht. Eine erlösende Umkehrung findet statt, eine »negative Vermittlung des Lebens« (175 – ein Staudenmaier-Zitat), sofern der Tod der Erlösungsbedürftigen durch den Tod des Erlösers innerlich verändert wird. Geist gebietet wieder über die Natur, doch er tut es nicht mehr als ›Geist in Welt‹, sondern im ›Jenseits‹ unter gänzlich veränderten Bedingungen. »In diesem Sinne ist der Tod auch positiv zu sehen, weil er die Voraussetzung für dieses neue Verhältnis ist. Er ist so Teil der göttlichen Vermittlung zum wahren Leben, weil er das falsche Verhältnis aufhebt und damit das neue möglich macht« (175). In akribischen, geduldigen Anläufen buchstabiert der Vf., was Staudenmaier als katholischem Dogmatiker auf dieser Basis zu behandeln aufgegeben war: Fegfeuer und Gericht, Auferstehung Jesu und Auferstehung aller, schließlich die ewige Vollendung. Neumanns Darstellung ist werkgenetisch orientiert und gibt die Entwicklung der ins Auge gefassten Gedankenwelt in steter Tuchfühlung mit ihren erkenntnistheoretischen Grundlagen wieder. So vermittelt sie eine denkerisch anregende Bekanntschaft mit einem großen Theologen des 19. Jh.s.
Im abschließenden Teil der Studie hat der Vf. ein »Gespräch mit der Theologie der Gegenwart« anberaumt. Staudenmaiers Denken wird mit eschatologischen Ansätzen der Gegenwart ins Benehmen gesetzt, wobei die Namen H. U. von Balthasar, W. Pannenberg und, seiner Freiheitsspekulationen wegen, Th. Pröpper im Vordergrund stehen. Die Annäherung an die genannten Autoren geschieht sensibel und mit viel Sinn für neuralgische Punkte in unterschiedlichen theologischen Systemen – was Vergleichbarkeiten plausibel macht und dem Denken Staudenmaiers eine beachtliche Aktualität bescheinigt. Allerdings verstummt das Gespräch mitunter überraschend schnell. Das ist zum Beispiel im Blick auf die für christliche Eschatologie nach wie vor unverzichtbare Frage der Fall, wie die Lehre von der Auferweckung des Fleisches zu denken sei und ob und wie sich durch oder neben dem Menschen auch eine materielle, kosmische Vollendung annehmen lasse. Staudenmaier hat sich, so der Vf., mit dem Gedanken einer – modern gesprochen – »Restitution« (273, Th. Schärtl) begnügt: Was den Menschen in seiner »Chemie« (Staudenmaier) ausmacht, erhält er bei der Auferstehung am Jüngsten Tag durch Gottes Macht zurück; so ist Identität gewährleistet. Kann man heute noch so reden? Nein, meint der Vf. und verweist auf die Idee der »Transformation« (274, wieder Schärtls Diktion): Leiblichkeit müsse man – mit G. Greshake etwa – als verin­nerlichte Personalität denken, als eine Interiorisierung von Ge­schichte und Relationalität, der gegenüber die Zukunft des bloß Körperlichen einigermaßen belanglos erscheine. Der Vf. weiß, dass auch diese Lösung nicht unproblematisch ist, geht dann aber mit einigen Bemerkungen zum pneumatischen Auferstehungsleib der korporativ gedachten Christusgestalt in die gleiche Richtung. Sein Fazit: Die Auferstehung des Fleisches führt zur Vollendung des geistbegabten Geschöpfs und meint »eben nicht den gesamten Kosmos«, sondern »die konkrete Mitwelt und Umwelt des Menschen, in die er als individuelle Person untrennbar eingebunden ist« (288). Mir behagt diese Wendung ins Akosmistische nicht. Arbeitet sie einer neuen Variante des Manichäismus in die Hände? Jedenfalls ist hier das letzte Wort noch lange nicht gesprochen.