Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2011

Spalte:

1336-1337

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Dahlke, Benjamin

Titel/Untertitel:

Die katholische Rezeption Karl Barths. Theologische Erneuerung im Vorfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. IX, 257 S. gr.8° = Beiträge zur historischen Theologie, 152. Lw. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-150382-5.

Rezensent:

Wolf Krötke

Die von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Mainz im Jahre 2009 angenommene Dissertation von Benjamin Dahlke will zeigen, dass die katholische Barth-Rezeption wesentlichen Anteil an der theologischen »Erneuerung« hatte, wie sie im 2. Vaticanum zum Ausdruck kam. »Erneuerung« meint: Die Überwindung der »Neuscholastik« mit dem metaphysischen Denkschema von »Natur und Übernatur« und die Entwicklung einer heilsgeschichtlichen, christologisch orientierten Theologie.
Der Vf. skizziert den Weg in diese Entwicklung hinein. In einer ersten Phase katholischer Reaktionen auf die »Dialektik« Barths wird zwar die Abkehr vom Historismus des Neuprotestantismus begrüßt. Es überwiegt aber das Urteil, dass Barth aufgrund der Be­hauptung eines »unendlichen qualitativen Unterschiedes« zwischen Gott und Mensch die Beziehung zwischen beiden nicht mehr denken könne (vgl. 50). Seine Theologie habe darum »keinerlei Relevanz für den Katholizismus« (28). Im LThK-Artikel von Josef Rupert Geiselmann (1925) hat diese Lesart der Theologie Barths ihren weithin wirksamen Niederschlag gefunden (vgl. 26 f.).
Als wichtige Schaltstelle für ein Gespräch katholischer Theologen mit Barth hebt der Vf. mit Recht Barths Initiativen in Münster und Bonn hervor (vgl. 52–69). Dadurch kam es auch zum Kontakt mit dem »Grenzgänger« (227) Erich Przywara. Er hat Barth das Stichwort der »analogia entis« gegeben, das dieser als »Erfindung des Antichrist« im Vorwort zu KD I/1 zum Schibboleth evangelischer und katholischer Theologie stilisiert hat. Der Vf. stellt die von vielen Missverständnissen durchzogene Debatte um die »analogia entis« in klärender Weise dar (vgl. 92–136). Przywara ging es mit seiner Formel »Gott in-über Geschöpf« bzw. »über-in Geschöpf« (86) nicht um ein menschliches Verfügen über Gott, wie Barth unterstellte. Er vertrat auf seine Weise das Anliegen, Gottes Offenbarung nicht als etwas dem Menschen gänzlich Fremdes zu verstehen. Er musste sich allerdings auch von katholischer Seite die Frage Gottlieb Söhngens gefallen lassen, ob bei ihm die Offenbarung nicht zu einem »Anhängsel der natürlichen Gotteserkenntnis zu werden drohe« (120).
Söhngen seinerseits steht schon für eine neue Aufgeschlossenheit katholischer Theologie für die Offenbarungstheologie Karl Barths (vgl. 122). Dass eine »offenbarungsgemäße Theologie eine natürliche Theologie notwendig einschließt« (121), war allerdings auch seine Meinung. Der Vf. teilt sie, weil nach seiner Ansicht eine theologische Explikation der Bedeutung von Gottes Offenbarung »nicht ohne Ontologie auskommt«, welche »die humane Relevanz« der Offenbarung darzutun hat (135). Das sei kein Problem von »Kontroverstheologie«, sondern eine »systematisch-theologische Grundfrage« jeder Theologie (ebd.). Damit hat er Recht. Auch Barth hat von der analogia fidei her, in der sich Gott für Menschen erschließt, das Menschsein in strukturell-ontologischer Entsprechung zu Gott in Christus verstanden. Von einem nachlassenden Interesse Barths an der Problematik der »analogia entis« (vgl. 133) kann deshalb, auch wenn Barth sich an dem Begriff nicht mehr reibt, keine Rede sein.
Gerade dem anthropologischen Gebrauch der Denkform der Analogie hat nun aber Hans Urs von Balthasar, der sich vor allem um eine sachgemäße Würdigung der Theologie der KD verdient ge­macht hat, »christologische Engführung« vorgeworfen (199). Seinen Beitrag zur katholischen Barth-Rezeption schätzt der Vf. hoch ein. Er widmet ihm darum fast ein Drittel seiner Arbeit (vgl. 137–223). Balthasar hat Barths Wende »von der Dialektik zur Analogie« (vgl. 170–177) und insbesondere das »Herzstück« der KD, die Erwählungslehre (189), als Möglichkeit für die katholische Theologie begriffen, sich von der Neuscholastik zu lösen. Ausgangspunkt und Kriterium der Theologie wurde für ihn das Ereignis der Einheit und Unterschiedenheit der göttlichen und menschlichen Natur Jesu Chris­ti. Das war seine »grundstürzende Einsicht« (206). Wie er sie dann in seiner »Ästhetik«, als »Schau der Gestalt« in der auf Jesus Christus hin geordneten Schöpfung entfaltet hat, fand jedoch weder Barths Beifall noch hat es als »singuläres« Unternehmen in der katholischen Theologie direkten Einfluss auf das 2. Vaticanum gehabt (vgl. 219).
Die These des Vf.s, dass die katholische Barth-Rezeption ein »An­stoß der Erneuerung der katholischen Theologie im Vorfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils« sei (227), ist also ziemlich weitläufig zu verstehen. Merkwürdig ist, dass für diese These die Barth-Rezeption von Hans Küng, welche ja nicht nur die Rechtfertigungslehre betrifft, nur am Rande gestreift wird. Überhaupt weiß man am Ende dieser Arbeit nicht, wie sich denn die Beschäftigung mit Karl Barth auf der vom Vf. dargestellten ziemlich schmalen Schiene vor allem deutschsprachiger katholischer Theologie in den Dokumenten des 2. Vaticanums niedergeschlagen hat. Der Vf. weist die Aufgabe, das herauszubekommen, künftiger Forschung zu (vgl. 227 f.). Seine Arbeit gehört demnach selbst ins »Vorfeld« dieser Aufgabe.