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Ausgabe:

Dezember/2011

Spalte:

1326-1327

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Nellivilathekkathil (Theruvathu), Prasad Joseph

Titel/Untertitel:

Ineffabilis in the Thought of Nicolas of Cusa.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2010. XI, 355 S. gr.8° = Buchreihe der Cusanus-Gesellschaft, 18. Kart. EUR 42,00. ISBN 978-3-402-10455-2.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Der Autor dieser von Andreas Speer betreuten Dissertation an der Universität Würzburg (2007) ist römisch-katholischer Priester und Angehöriger des Karmeliterordens, tätig am Interkulturell-Geistlichen Zentrum des Ordens in Basel. In seiner Untersuchung be­fasst er sich mit einem Thema, das in letzter Zeit mehrfach bearbei­tet worden ist, so in der Jenaer Dissertation (1999) von Christiane Fischer, Deus incomprehensibilis et ineffabilis. Zur Gotteslehre des Nicolaus Cusanus, die er zwar aufführt, aber nicht berücksichtigt. Inzwischen hat N. über das Thema seiner Arbeit auch auf dem letzten Cusanus-Symposion 2010 referiert.
Nach einer Einleitung (1–14) befasst sich N. in einem ersten Teil (17–159) generell mit dem Begriff der Unaussprechbarkeit. Zu­nächst behandelt er den Begriff nach seiner Semantik, dann geht er seinem Gebrauch in einzelnen Schriften des Nikolaus von Kues nach (aber nicht in seinen Predigten, wo er den Begriff auch mehrfach gebraucht) und untersucht, wie Nikolaus ihn hinsichtlich des Wissens, der Sprache und der für ihn typischen Mutmaßung be­nutzt. Im zweiten Teil (161–327) zeigt er auf, wie Nikolaus den Be­griff gebraucht, um Zeichen, Wörter, Namen und Lobpreis ( prais­es) auszudrücken. Eine Bibliographie, ein Abkürzungsverzeichnis und ein Namensregister sind beigegeben.
N. definiert den Begriff so, dass durch ihn deutlich werden soll, was nicht erklärt werden kann (23). Aus seinen verschiedenen Schriften ergibt sich: Nikolaus bringt mit dem Begriff ineffabilis vier verschiedene Bedeutungen zum Ausdruck, eine metaphysische (Gott ist unbegrenzt, unfassbar und daher namenlos; die Theologen versuchen, das Unaussprechliche auszusprechen, sie »richten ihren Blick auf die unaussprechliche Gottheit«, De non aliud, h XIII, c. 15, n. 72), eine epistemologische (Gottes Unaussprechbarkeit ist Konsequenz seiner Unfassbarkeit, »für die Vernunft wie für den Verstand unaussagbar«, De coniecturis I, h III, c. 5, n. 21), eine weitere ergibt sich aus der Erfahrung, wobei er eine Übereinstimmung sieht mit der mystischen Theologie, die lehrt, dass Gott unaussagbar ist (Cribratio Alkorani II, h VIII, c. 1, n. 86: »De theologia mystica, secundum quam deus est ineffabilis.«), und schließlich eine sprachliche Bedeutung (Der Mensch kann das Gottesgeheimnis nicht aussagen; De coniecturis II, h III, c. 6, n. 104: Die »überunaussprechliche [superineffabilis] Wahrheit« ist ihrem Wesen nach nicht-mitteilbar [imparticipabilis]). Hinsichtlich des Wissens (scientia) streicht N. heraus, dass es Nikolaus darum geht, dass der Mensch still wird vor dem Unaussprechlichen, darüber nachdenkt in tiefer Ehrfurcht, sich dabei verlässt auf Gottes Gnade und die Wahrheit sucht mit Hilfe kluger Leute. Das sollte sich auch in der Sprache ausdrücken, wozu seine Methode des Konjekturalen dient. Der Begriff von der Einzigartigkeit Gottes legt Nachdruck darauf, dass der Gedanke von der Unaussprechbarkeit überzeugend ist.
Im zweiten Teil zeigt N. auf, wie Nikolaus die Unaussprechbarkeit Gottes durch Zeichen, Wörter, Namen und durch den Lobpreis zum Ausdruck bringt. Zunächst zum Zeichen: Nikolaus ist davon überzeugt, dass die Unaussprechbarkeit Gottes nicht adäquat durch Zeichen ausgedrückt werden kann; wir sind nicht in der Lage, sie mit unserem Geist wirklich zu begreifen, wir können sie auch auf keine Weise präzise darstellen. Besser sei es, sie durch neue Namen zu bestimmen. So hat er ja gegen Ende seines Lebens in mehreren Schriften nach dem geeignetsten Gottesnamen gesucht und geglaubt, in De apice theoriae ihn in im Können Selbst (posse ipsum) gefunden zu haben.
Damit ist nun auch angesprochen, inwieweit die Unaussagbarkeit Gottes durch das Wort ausgedrückt werden kann. Dabei unterscheidet Nikolaus zwischen menschlichem, göttlichem und gottmenschlichem Wort. Er meint, wir hätten eine sichere Weise, Gott zu erkennen, durch das Verständnis der Washeit (quiddity) des Wortes aus der (Heiligen) Schrift, obwohl auch diese nicht präzis sei, denn wir könnten nicht eindeutig den Sinn der jeweiligen Sprecher bzw. Autoren erfassen. Pfingsten sei der einzige Fall, wo das Problem der Unfassbarkeit und Unaussagbarkeit durch die Gabe eines eingegossenen Wissens und Sprache gelöst worden sei. – Dann wendet sich Nikolaus der Frage zu, ob Gott benannt werden kann und ob das überhaupt nötig sei. Er ist davon überzeugt, völlig unmöglich sei das nicht, doch präzise könne er nicht benannt werden ( strong ineffability), jedenfalls nicht, um die Übereinstimmung mit seiner Natur damit zum Ausdruck zu bringen (»strong and weak ineffability«, 233). So ergibt sich also, dass es nicht möglich sei, die Unaussagbarkeit Gottes durch einen Namen auszudrücken. Es gäbe aber eine neue Perspektive für die geistige Vision eines unerreichbaren Gottes (»a new perspective for the intellectual vision of the unattainable God intravitam«, 273) durch Signale philosophischen Wissens. Das sei zwar ein Wagnis mit Hilfe einer terminologischen Spekulation, aber Nikolaus gehe es in seinen Spätschriften ein (De beryllo; De non aliud oder eben in De apice theoriae). Vor allem versuche er dabei, durch die Verben Können und Sein in einem jeweiligen Neologismus an die Benennung Gottes heranzukommen. Zwischen dem menschlichen Verstand und dem unaussagbaren Gott gäbe es dabei eine zunehmende Transparenz. So entstehe eine abgeschwächte Unaussagbarkeit (weak ineffability).
Zuletzt geht es N. um das Lob, die Anbetung Gottes. Hier bekäme man eine neue Sicht von Gott, Welt und Menschheit. Er spricht hier von einer theologia experimentalis und sieht in Bezugnahme auf sein Thema eine cusanische Originalität. In der Preiswürdigkeit Gottes, seiner laudabilia, findet er den besten Ort, Gottes Un­endlichkeit und Unaussagbarkeit auszudrücken.
N. legt mit seiner Untersuchung eine Arbeit vor, die sich erneut auf einem Feld bewegt, das für Nikolaus von eminenter Bedeutung war, ja Ziel all seines Denkens. Glaubte er, in De apice theoriae doch die »höchste Stufe der Kontemplation« gefunden zu haben, mit »›Können selbst‹ wird der dreifache und eine Gott bezeichnet, … seine »vollkommenste Erscheinung … ist Christus. … Diese Anschauung ist die Glückseligkeit, die allein das höchste Verlangen des Geis­tes sättigt« (De apice theoriae, n. 17 und n. 28 in Übersetzung von H. G. Senger). Mit Recht hebt N. den Lobpreis Gottes hervor, auf den alles Denken von Nikolaus letztlich zielt. Er hätte jedoch deutlicher zum Ausdruck bringen können, was Christiane Fischer in ihrer Dissertation festgestellt hat: »Die cusanischen Gottesnamen sind … nicht als Namen im eigentlichen Sinne zu verstehen, sondern als Bezeichnungen für die in Allnamigkeit und Namenlosigkeit zu­gleich bestehende Unbenennbarkeit Gottes, die auf dem dop­pelten Gott-Welt-Verhältnis und der aus diesem resultierenden Unerkennbarkeit beruht.« (Deus incomprehensibilis et ineffabilis. Zur Gotteslehre des Nicolaus Cusanus, Diss. Masch. Jena 1999, 198) Damit wäre wohl die »weak ineffability«, wie sie N. nennt, noch verständlicher geworden. Insgesamt aber liegt mit seiner Dissertation eine recht erfreuliche und präzis erarbeitete Untersuchung vor.