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Ausgabe:

Dezember/2011

Spalte:

1319-1320

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Murphy-O’Connor, Jerome

Titel/Untertitel:

Keys to Second Corinthians. Revisiting the Major Issues.

Verlag:

Oxford: Oxford University Press 2010. XI, 203 S. gr.8°. Lw. £ 60,00. ISBN 978-0-19-959210-4.

Rezensent:

Robert Vorholt

Die Diskussion um die Essentials paulinischer Theologie nimmt in jüngerer Zeit wieder Fahrt auf. Unter dem ambitionierten Titel »Keys to Second Corinthians« loggt sich Jerome Murphy-O’Connor, irischer Dominikaner und Neutestamentler an der École Biblique et Archéologique Francaise in Jerusalem, erneut in den Diskurs ein und legt nun (2010) eine zwölf Aufsätze umfassende Studie vor, mit der er die – durch seine eigene langjährige Forschungsarbeit bereicherte – Debatte um exegetische Spezialfragen zum Zweiten Korintherbrief weiter voranbringen möchte. Zu diesem Zweck dokumentiert der Vf. anhand ausgewählter komplexer exegetischer Fragestellungen zunächst den Stand der wissenschaftlichen Dis­kussion, reformuliert und vertieft dann aber vor diesem Hintergrund seine eigenen exegetischen Positionen.
Das Buch berührt einleitungswissenschaftliche Problemstellungen ebenso wie exegetische Detailanalysen; es umfasst theologische Interpretationen einzelner Passagen des Paulusbriefes und auch den Versuch, diese in einem bestimmten Abhängigkeitsverhältnis zu anderen zeitgenössischen Texten, vor allem den Schriften von Qumran und den Gedanken Philos von Alexandrien, zu beschreiben. Der Vf. öffnet neue Diskussionsfelder – wenn er zum Beispiel die Rolle der von ihm angenommenen Ko-Autoren des Apostels beschreibt – und führt alte Kontroversen fort – etwa am Beispiel der Frage nach formkritischer Einheitlichkeit bzw. Uneinheitlichkeit des Zweiten Korintherbriefes. Seine oft sehr spezifischen Fragestellungen münden dabei nicht selten in den umfassenderen Kontext paulinischer Chris­tologie, Soteriologie und Ekklesiologie.
Der Vf. scheint überzeugt zu sein, dass Paulus den 2Kor nicht alleine geschrieben hat. Als Ko-Autor zieht er Timotheus als engen Vertrauten in Betracht. Die von Paulus klar umrissene Verteilung und Gewichtung der Rolle des Apostels einerseits und seines Mitarbeiters andererseits spiegele sich aber auch in der Autorenschaft wider. Darum sei klar, dass die entscheidenden Sätze des 2Kor auf das Konto des Apostels gingen. Das Problem divergierender Anteile von sog. »Ich«- und »Wir«-Passagen innerhalb des Briefes löst der Vf. konsequent auf Linie dieser Argumentation: Die »Ich-Passagen« umfassten genuin paulinische Themen und Anliegen; sie entstammten seiner Feder. Die Wir-Passagen seien hingegen Ausdruck der Koproduktion.
Der Vf. betont den dialogischen Charakter der paulinischen Korrespondenz. Im Zuge dessen will er die Position derer eruieren, mit denen der Apostel interagiert. Mit Blick auf die Polemik 2Kor 3,1–6 zählen dazu auch – direkt oder indirekt – seine Gegner. Paulus sei allerdings nicht – wie von der exegetischen Forschung oftmals angenommen – in die Auseinandersetzung mit einer einzelnen (mehr oder weniger identifizierbaren) Gegnerschaft geraten; er habe vielmehr einen Zwei-Fronten-Krieg führen müssen. Sprachliche und inhaltliche Hinweise ließen darauf schließen, dass es sich um mindestens zwei antipaulinische Gruppierungen gehandelt habe. Sie näherhin zu bestimmen, fällt schwer, weil Paulus nur gelegentliche Hinweise gibt. Der Vf. optiert, es habe sich zum einen um einige Repräsentanten der korinthischen Gemeinde selbst gehandelt, die einem übersteigerten Pneumatismus und Libertinismus verfallen waren (vgl. nur 1Kor); zum anderen aber um Vertreter der Gemeinde von Antiochia, deren Aufgabe es war, den korinthischen Ableger auf eine Linie zu bringen mit dem judaisierenden Ethos der antiochenischen Muttergemeinde.
Die weiteren Analysen des Vf.s zeichnen auf theologischer Ebene nach, wie Paulus im 2Kor seine Proklamation der Freiheit bundestheologisch begründet. Sie wollen zugleich aus traditionskritischer Perspektive ausmessen, welche Verbindungslinien zwischen dem Zweiten Korintherbrief und dem essenischen Schrifttum von Qumran bestehen könnten. Betont wird in diesem Zusam­menhang, dass vor allem die paulinische Rede von der erwählenden Befähigung und vom Neuen Bund, der nicht dem Buchstaben nach, sondern dem Geist nach bestehe (vgl. 2Kor 3,6), mindestens der Sache nach essenisch geprägt sei. Andere Impulse erreichen den 2Kor laut Vf. vom Gedankengut Philos von Alexandrien her. Prägnant sei eine sprachliche und inhaltliche Parallelität vor allem in 2Kor 3, 8-18, aber auch in 2Kor 4,13 f. oder in 2Kor 5,6b.
Die »Keys to Second Corinthians« wollen kein Kompendium der Basics paulinischer Theologie sein, sondern ein Beitrag zur exegetischen Diskussion. Sie sind es auf hohem exegetischen und theologischen Niveau. Freilich ist dies ein Buch für Feinschmecker. Es richtet sich an die Kenner der Paulus-Exegese. Das schließt aber nicht aus, dass es von hohem Wert ist für alle, die sich der Person und dem Zeugnis des Apostels nähern wollen. Wer darin liest, sieht das Gras wachsen. Exegetisch geschulte Leserinnen und Leser werden dem Vf. nicht in jedem Punkt folgen. Aber sie bekommen vor Augen geführt, was eine kenntnisreiche und solide Erschließung der Theologie des Zweiten Korintherbriefes zu leisten und hervorzuheben imstande ist – und sie werden allemal angeregt zur kritischen Überprüfung der je eigenen exegetischen Urteile.