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Ausgabe:

Dezember/2011

Spalte:

1314-1316

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kollmann, Bernd [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Verheißung des Neuen Bundes. Wie alttestamentliche Texte im Neuen Testament fortwirken.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010. 284 S. m. 2 Abb. 8° = Biblisch-theologische Schwerpunkte, 35. Kart. EUR 29,95. ISBN 978-3-525-61616-1.

Rezensent:

Wolfgang Kraus

Im Vorwort heißt es: »Der vorliegende Sammelband wendet sich knapp zwanzig alttestamentlichen Schlüsseltexten zu, die auch im Neuen Testament von großer Bedeutung sind.« (7) Dabei geht es nicht nur um jene Texte, in denen das Stichwort »Bund« oder»Neuer Bund« auftaucht, vielmehr werden auch andere zentrale Zusam­menhänge aus dem Alten Testament berücksichtigt.
In einer Einführung durch den Herausgeber wird mit Recht auf die Unabgeschlossenheit des Kanons im 1. Jh. hingewiesen, die es »anachronistisch« erscheinen lasse, von einer »Rezeption des Alten Testaments im Neuen Testament« zu sprechen (9). Allerdings wird dann wieder auf die »Versammlung in Jabne« Bezug genommen, die »umstrittene Bücher wie Hohes Lied und Prediger (Kohelet) für verbindlich erklärt und apokalyptische Schriften verworfen« habe (9). Auch hierbei handelt es sich wohl um einen Anachronismus, der nicht mehr weitertradiert werden sollte (vgl. dazu z. B. den Beitrag zur Text- und Kanongeschichte von H.-J. Fabry in der von E. Zenger herausgegebenen Einleitung zum Alten Testament. Zur methodischen Frage nach Jabne aufgrund der rabbinischen Belege s. Daniel Boyarin, Anecdotal Evidence: The Yavneh Conundrum, Birkat Haminim, and the Problem of Talmudic Historiography, in: The Mishnah in Contemporary Perspective II, hrsg. von A. J. Avery-Peck und J. Neusner, Leiden 2006, 1–35).
Für die anschließenden 17 Beiträge war offensichtlich als Regel gedacht, dass zunächst die »ursprüngliche Bedeutung der jeweiligen Bibeltradition in ihrem alttestamentlichen Kontext« untersucht werden soll (15), um danach die Rezeption im antiken Judentum und schließlich die im Neuen Testament darzustellen. Dies wird nicht immer durchgehalten. Ausdrücklich positiv zu vermerken ist, dass in einigen Beiträgen die Septuaginta-Fassung der Bibeltexte – die von den frühchristlichen Autoren mehrheitlich benutzt wurde und in bestimmten Fällen eine ältere Fassung als die des späteren MT repräsentiert – mit berücksichtigt wird. Ein Abschnitt, der auf die hermeneutische Fragestellung eingeht, was es bedeutet, dass »sich das frühe Christentum die betreffende Tradition zu eigen gemacht hat und welche schrifttheologischen Prinzipien dabei leitend waren« und ob es sich »um einen legitimen Umgang mit dem alttestamentlichen Text handelt« (15), schließt mehrere Beiträge jeweils ab.
Die Autoren beschränken sich in der Regel auf sparsame Benutzung von Sekundärliteratur, was den Zugang auch für Nicht-Fachexegeten erleichtert, aber in einzelnen Fällen dazu führt, dass nicht immer die aktuelle Forschungslage vorkommt. Im Folgenden kann nur an einigen Stellen auf einzelne Beiträge eingegangen werden.
Michael Bachmann, »Adam und seine Sünde« (16–30): Der Vf. geht zunächst auf die Geschichten von Paradies und Sündenfall ein. Anschließend zeichnet er die frühjüdische Überlieferung von Adams Herrlichkeit und Sünde nach (neben Philon auch apokalyptische Schriften und Qumran), um dann die Gegenüberstellung von Adam und Christus durch das Neue Testament zu verfolgen.
Thomas Naumann, »Die Geschichte von ›Kain, der seinen Bruder erschlug‹« (31–48): Der Vf. beschäftigt sich mit Gen 4,1–16 zunächst im Kontext der biblischen Urgeschichte, zeigt dann, wie in der frühjüdischen Literatur »Lücken und Leerstellen, die der biblische Text lässt« (38) aufgefüllt und um Details bereichert und wie dort »Kain und Abel in das im Frühjudentum beliebte Kontrastschema vom Frevler und Gerechten eingefügt« (38 f.) wurden. Anschließend wird dargestellt, dass die Bezugnahmen im Neuen Testament nur verständlich werden, wenn man die frühjüdischen Verstehensversuche mit im Blick behält.
Bernd Kollmann, »Gottes Verheißungen an Abraham« (49–63): Der Vf. geht zunächst auf drei Zusammenhänge in der Genesis ein: Gen 12,1–9; Gen 15; Gen 17 (49–54). In einem zweiten Abschnitt stellt er Aspekte der Rezeption der Abrahamgestalt im antiken Judentum dar (54–56). In einem dritten Abschnitt wird die Rezeption Abrahams im Neuen Testament unter drei Aspekten dargestellt: »Abraham als Repräsentant der Geschichte Israels« (57), »Die Glaubensgerechtigkeit Abrahams« (58–61) und »Abraham als Vorbild der Glaubenden« (61–62), gefolgt von einem kurzen Fazit (62 f.). Kollmann bringt noch einen zweiten Beitrag, »Die Geschichte von Hagar und Sara« (64–77), der nach dem gleichen Schema wie der vorangehende aufgebaut ist. Dass in Gal 4,21–31 »die Gegenüberstellung von altem und neuem Bund zu Grunde« liegen soll (73), ist allerdings schon terminologisch mehr als fraglich. Sara und Hagar repräsentieren Abraham- und Sinaibund; und auch in Röm 9,6–13 geht es um den Abrahambund.
Michael Labahn, »Die Wüste lebt« (78–93): Der Vf. erörtert »ausgewählte Geschichten aus der Wüstenzeit« (78), wobei er allerdings von der neutestamentlichen Aufnahme bestimmter Texte her in das Alte Testament zurück­blickt. Ob man im Sinn einer Auswertung »die Rezeption der Wüstenwanderung« im Neuen Testament als »ein Geschehen der Distanzierung im Dienste der Ausbildung eigener (christlicher) Identität aufgrund neuer religiöser Erfahrung« nennen sollte (93), erscheint mir fraglich. Denn trotz der paränetischen Anwendung alttestamentlicher Beispiele aus dem Umfeld der Wüstenwanderung (etwa in 1Kor 10 oder Hebr 3–4) geschieht eine Distanzierung doch ausdrücklich vom Verhalten der damaligen Personen. Ansonsten ist vielmehr Kontinuität vorausgesetzt (»unsere Väter« usw.). Von einem Versuch neuer Identitätsstiftung, der die neutestamentlichen Autoren »von den ge­nannten frühjüdischen Analogien« (93) in einer grundsätzlichen Weise trennen würde, erkenne ich wenig.
Hermut Löhr, »Das Ritual des Versöhnungstages (Lev 16)« (94–114): Zu­nächst geht es dem Vf. um den Versöhnungstag in der hebräischen Bibel, wobei hier weitestgehend J. Milgrom und H. Gese den Interpretationsrahmen abgeben. Die neueren Arbeiten von Chr. Eberhart und F. Hartenstein, deren Ergebnisse eine Interpretation befruchten könnten, sind nicht berücksichtigt. Ausführlich geht der Vf. auf Praxis und Motivik des Jom Kippur im Frühjudentum ein (99–105). Die LXX spielt dabei keine Rolle. Der dritte Abschnitt dreht sich um die Rezeption des Jom Kippur im frühen Christentum, wobei neben Paulus (Röm 3,25) und dem Hebräerbrief auch der Barnabasbrief berück­sichtigt wird.
Friedrich Wilhelm Horns Beitrag gibt dem Band seinen Titel: »Die Verheißung des neuen Bundes (Jer 31,31–34)« (187–199): Hier wäre eine stärkere Einbeziehung der Septuaginta-Fassung des Textes zu wünschen gewesen, wie dies etwa A. Schenker vorgelegt hat. Der Überschritt von einer hebräischen Textfassung zum Neuen Testament ist in diesem Fall nicht möglich. Die LXX repräsentiert möglicherweise eine frühere Form als der MT, die in Hebr 8 und 10 dann aufgenommen wurde. Die Rezeption von Jer 38 LXX im Hebräerbrief und bei Justin muss nach den Untersuchungen von K. Backhaus strikt unterschieden werden (191). Der Interpretation der Bundestheologie im Sinne E. Gräßers, die zunächst breit ausgeführt und dann kurz problematisiert wird, wurde in jüngster Zeit mehrfach widersprochen (u. a. J. Frey, M. Karrer).
Johannes Woyke, »Der leidende Gottesknecht (Jes 53)« (200–225): Der Vf. behandelt ein zentrales Kapitel alttestamentlicher Tradition. Ein erster Abschnitt ist dem hebräischen Text gewidmet. Dabei wird auf den »einzigartige[n] Sachverhalt« hingewiesen, der »mit der Deutung des Geschicks des Jhwh-Knechts als stellvertretende Ersatzleistung zur Schuldtilgung für die Vielen« im Alten Testament vorliegt (209). Der 2. Abschnitt geht auf die Rezeption im Frühjudentum ein. Der Vf. spricht dabei Differenzen der Textfassungen in der LXX, Qumran und dem Targum Jonathan an. Im dritten Abschnitt geht es um die Rezeption im Neuen Testament, wobei sich der Vf. angenehm zurückhält mit der Behauptung offensichtlicher Bezugnahmen. Die hermeneutische Problematik behandelt ein vierter Abschnitt.
Christoph Bultmann, »Hiob: Bild und Ton« (226–245): Der Vf. bietet in seinem Beitrag drei Abschnitte: Das alttestamentliche Hiobbuch, Das Buch Hiob im Jakobusbrief, Die Rezeption des Hiobbuches bei Paulus.
Der Band enthält noch diese Arbeiten: Wolfgang Reinbold, »Die Nächstenliebe (Lev 19,18)« (115–127); Rainer Albertz, »Elia, der biblische Prophet« (128–142); Wolfgang Reinbold, »Die Klage des Gerechten (Ps. 22)« (143–156); Bernd Kollmann, »Der Priesterkönig zur Rechten Gottes (Ps 110)« (157–170); Ingo Broer, »Die Ankündigung des Immanuel (Jes 7,14)« (171–186); Hannes Bezzel, »Jona und sein Geschick« (246–258); Alexandra Grund, »Der Friedensherrscher aus Bethlehem (Mi 4,14–5,3)« (259–270); Stefan Beyerle, »Das Kommen des Menschensohnes (Dan 7)« (271–283).
Die Konzeption des Buches, wie sie in der Einführung vorgestellt wird, ist sehr zu begrüßen. Die Durchführung ließe sich noch verbessern. Denn die Annahme eines direkten Überschrittes von einem für verbindlich erachteten masoretischen Text hin zur neutestamentlichen Rezeption ist anachronistisch. In der Antike war der masoretische Text nicht die einzige verbindliche Textform– vielmehr ist von einer textual variety auszugehen – und die frühe Christenheit bezog sich primär auf die griechische Überlieferung.
Der Titel »Die Verheißung des Neuen Bundes« ist angesichts der aufgenommenen Themen nicht ganz zutreffend und wohl eher Marketing-Gründen geschuldet. Ein Register hätte den Wert des Werkes noch erhöht.