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Ausgabe:

Dezember/2011

Spalte:

1306-1308

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fischer, Stefan

Titel/Untertitel:

Das Hohelied Salomos zwischen Poesie und Erzählung. Erzähltextanalyse eines poetischen Textes.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. XI, 275 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament, 72. Lw. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-150387-0.

Rezensent:

Rüdiger Bartelmus

Bei dem vorzustellenden Buch handelt es sich um eine von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien im Mai 2009 angenommene und für den Druck nur geringfügig überarbeitete Habilitationsschrift, die ursprünglich den jetzt im Untertitel aufgenommenen Titel trug: »Hoheslied – Erzähltextanalyse eines poetischen Textes«. Der Satz, mit dem Stefan Fischer die Wahl eines neuen (Ober-)Titels begründet, ist der Sache nach unschwer nachzuvollziehen: »Der performative Charakter des Textes trat im Verlauf der Struktur- und Erzähltextanalyse immer mehr hervor und zeigte bei der Verhältnisbestimmung von Erzählung und Poesie die Unzulänglichkeit der Erzähltextanalyse auf, so dass als noch zu leistende Arbeit eine performative Analyse von Hoheslied aussteht.« (VII) Allerdings fragt man sich, warum der Vf. angesichts dessen, dass die in dem Buch präsentierten Analysen – nach eigener Einschätzung – nur einen »Zwischenstand der Forschung« darstellen (ebd.), zu deutsch: den ursprünglich gewählten methodischen Ansatz als wenig weiterführend erwiesen haben, dem Leser in Form eines neuen Titels etwas in Aussicht stellt, das im Buch selbst nicht geboten wird (bzw. allenfalls in nachgereichten, schlecht in den ur­sprünglichen Argumentationszusammenhang integrierten Ab­schnitten eine Rolle spielt). Mag auch (vermutlich) der Verlag auf einem griffigeren Titel bestanden haben – nicht nur ein kritischer Rezensent ist verstimmt, wenn ihm in einem Buch anderes geboten wird, als der Titel verspricht.
In diesem Zusammenhang sei eine Randbemerkung erlaubt, die auf den ersten Blick als Beckmesserei erscheinen mag, angesichts des gewählten Gegenstandes, des »zartesten und unnachahmlichsten« an Liebespoesie (Goethe), dem Rezensenten aber nicht unangemessen erscheint – im Umgang mit poetischen Texten ist nun einmal ein sorgfältiger Umgang mit Worten und Begriffen unabdingbar: Im neuen Titel erscheint das biblische Buch unter dem Namen »Das Hohelied Salomos«; auf S. 1 (Anm. 1) des Buches begründet der Vf. indes ausführlich, warum er im Buch konsequent von »Hoheslied« spricht, ja dass die üblichen Bezeichnungen für den Text s. E. einen »veralteten Sprachgebrauch« darstellten. Ganz abgesehen davon, dass »Hoheslied« (in objektsprachlicher Manier bewusst ohne Artikel gebraucht!) aus Sicht des Rezensenten keine glückliche Formulierung ist: Wie kann man das, was man für »veralteten Sprachgebrauch« hält, ausgerechnet im Titel des Buches verwenden?
Wie üblich wird das Corpus des Buches gerahmt von einem Vorwort (VII–VIII) und dem Inhaltsverzeichnis (IX–XI) auf der einen sowie von einem Literaturverzeichnis (249–263) und einem Bibelstellen- und einem Sachregister (265–275) auf der anderen Seite. Kapitel 1 (Fragestellung und Aufbau; 1–3) und Kapitel 2 (Methodische Grundentscheide; 4–21) korrespondieren miteinander: Was in Kapitel 1 angedeutet ist, wird in Kapitel 2 entfaltet – dies indes immer noch sehr knapp. Auf eine explizite Darstellung der »Forschungs- und Interpretationsgeschichte von Hoheslied« (3) ist verzichtet. Dass man an ein poetisches Corpus wie das Hld kaum anders als synchron herangehen kann (was diachrone Überlegungen freilich nicht ausschließt), liegt auf der Hand und hätte nicht unbedingt erläutert werden müssen (4–6). Die Seiten wären besser für eine breitere Darstellung des Folgenden genutzt worden: Die thetische, stenographisch anmutende Darstellung der Aspekte »Paradigmatik und Syntagmatik«, »Kohärenz und Kohäsion« und »Werkimmanente Interpretation« unter dem Oberbegriff »Strukturanalyse« (6–13) wirkt (nicht nur) angesichts der Kürze leicht irritierend; den Oberguru der Postmoderne J. Derrida (7, Anm. 18) und einen Vertreter traditioneller Literaturwissenschaft wie E. Lämmert (11, Anm. 37) quasi in einem Atemzug verhandelt zu finden, ist jedenfalls mehr als überraschend. Analoges gilt für die Ausführungen zur »Erzähltextanalyse eines poetischen Textes« (13–17), zumal der Vf. im Vorwort ja selbst darauf verweist, dass er im Nachhinein gemerkt hat, wie problematisch dieser Zugang ist. Auch hier werden stenogrammartig Begriffsdefinitionen geboten (so u. a. zur Unterscheidung von »Poesie und Prosa«) oder Begriffe wie »Romanze, Satire, Komödie und Tragödie« als die »vier Grundformen« einer Erzählung thetisch eingeführt (15); Letzteres kann wohl nicht jedermann ohne Weiteres nachvollziehen. Noch knapper sind die Ausführungen zum »Stellenwert der Schriftlichkeit« ausgefallen (15–17). Dass der Vf. hier aus der Überschrift »Lied der Lieder … schönstes Gedicht« ohne Zwischenschritte folgern kann: »Demnach ist der vorliegende Text auf Rezitation angelegt« (15), zeigt, wie wenig Mühe darauf verwendet ist, den Leser mit Argumenten zu überzeugen. Die restlichen Seiten des Kapitels sind den Punkten »Fiktionalität der erzählten Welt« (18–19) und »Handlung und Darstellung« gewidmet (19–21), danach folgt unvermittelt Kapitel 3: »Übersetzung von Hoheslied« (22–38). Auch hier hat man den Eindruck, dass dem Vf. wenig daran liegt, dem Leser die Gründe für das je und je gebotene Ergebnis mitzuteilen: In den Anmerkungen sind die sattsam bekannten zahlreichen Übersetzungsprobleme nur höchst selektiv diskutiert; Formulierungen wie: »Ich behalte den traditionellen Begriff ›Seele‹ … bei. Dabei umfasst die Seele die Psyche des Menschen, so dass auch die Physis mit betroffen sein kann« (23, Anm. 11) sind nicht nur schief formuliert, sondern zeugen auch von einer mangelnden Bereitschaft, sich dem Problem des Übersetzens ernsthaft zu stellen.
Mit Kapitel 4 (»Struktur«; 39–87) beginnt die wissenschaftliche Argumentation im eigentlichen Sinne, und das, was hier und in den folgenden zwei Kapiteln (Kapitel 5 »Darstellung«; 88–210, bzw. Kapitel 6 »Handlung«; 211–229) geboten wird, dürfte denn auch die Basis für die positive Urteilsfindung im Habilitationsverfahren gewesen sein, die der Rezensent durchaus nachvollziehen kann (auch wenn er selbst das Hld nicht als geschlossene Komposition sehen kann). Hier auf alle Einzelheiten einzugehen, verbietet sich an­gesichts des zugestandenen Raumes; es erscheint aber auch nicht nötig, da die meisten Beobachtungen nicht unbedingt neu sind, so etwa die »Gliederung durch rekurrente Elemente« (39–43) und andere »Strukturindikatoren« (44–50). Neu ist allerdings der (im Nachhinein als nicht unproblematisch erkannte) Versuch, Elemente der neueren Forschung an Erzähltexten am Hld zu erproben bzw. aufeinander zu beziehen. Hervorgehoben sei in diesem Zu­sammenhang das Kapitel 4.4 (»Leseoptionen«; 54–82). In ihm stellt der Vf. Entwürfe für eine »lineare« (56–78), eine »konzentrische« (78–81) und eine »zyklische« Leseweise (81 f.) vor.
Das am Ende des das Kapitel abschließenden »Strukturentwurfs« (83–87) in Anschluss an Autoren ähnlicher Ausrichtung wie F. M. Davidson bzw. F. Landy prononciert formulierte Ergebnis hatte sich übrigens schon eingangs abgezeichnet, wo der Vf. lapidar festgestellt hatte, dass alle drei – von anderen zumeist als Gegensätze behandelten – Optionen sinnvoll auf das Hld anzuwenden sind: S. E. handelt es sich bei »Hoheslied« »um ein durch eine mehrfache Struktur gegliedertes literarisches Werk« (54), und diese These wird denn auch in den dann noch folgenden beiden Kapiteln unter Aufbietung des ganzen Arsenals neuerer literaturwissen schaftlicher Fragestellungen er­schöpfend behandelt. Unter dem Stichwort »Darstellung« erscheinen dementsprechend die Ge­sichts­punkte »Zeit« (88–136), »Modus« (136–153), »Stimme« (153–159), »Fokalisierung« (160–173), »Ort und Raum« (173–209) und »Figuren« (209–210), unter »Handlung« dazu noch »Figurenidentität und Travestien« (212–216), »Welt« (216–220), »Motivierung « (220–223) und »Bausteine der Handlung« (223–229).
Kapitel 7 »Ertrag und Ausblick« spiegelt – wenn man ad bonam partem argumentieren will – den nach Abschluss der Qualifikationsarbeit weitergehenden Erkenntnisprozess des Vf.s. Man kann aber auch schärfer formulieren und konstatieren, dass sich vor allem in dem »Exegese« genannten Abschnitt (230–242) recht widersprüchliche, ja in mancher Hinsicht fragwürdige Ausführungen finden.
Exemplarisch sei in diesem Zusammenhang auf S. 240 verwiesen, wo im Rahmen der Suche nach einer »Gattung« sogar der synchrone Ansatz relativiert wird: »Deshalb kann vermutet werden, dass eine ursprüngliche dramatische Beziehungskonstellation sekundär salomonisiert wurde. Sie wurde zu einer weisheitlichen Lehrerzählung umgeformt.« Unbeschadet dieser angesichts des Textbefundes mehr als ungewöhnlichen Gattungsbestimmung kann der Vf. wenige Zeilen später sagen: »Hoheslied trägt Kennzeichen eines dem Drama nahe stehenden Textes, einem ( sic!) Textfundus zur Inszenierung eines Stückes … Hoheslied im Anschluss an diese Erzähltextanalyse einer Dramen­analyse zu unterziehen und zu einer performativen Darstellung zu gelangen, ist eine noch ausstehende Aufgabe … Vielleicht stellt sich dabei heraus, dass Hoheslied ein Textbuch von Handlungselementen ist, deren multiplen (sic!) Relationen darauf angelegt sind, unterschiedlich kombiniert und inszeniert werden zu können.« Vollends gesteigert wird die Verwirrung, wenn man kurz darauf im Abschnitt zu »Methodik« (242–244; er scheint erst nach der Abfassung des Vorworts eingeschoben worden zu sein) schließlich erfährt, dass »Hoheslied keine Erzählung ist« (242). Was Wunder, dass A. C. Hagedorn in ZAW 123 (2011), 301 angesichts dieser verwirrenden Aussagen zu einer kongenialen Zusammenfassung gekommen ist. Erst behauptet er, dass »der Vf. eine übergreifende Handlung/Erzählung für Cant« ablehne, um kurz darauf zu resümieren: »Auf diese Weise entsteht ein Bild von Cant als einer weisheitlichen Lehrerzählung in dramatischer Form.«
Vielleicht hätte es sich gelohnt, die Habilitationsschrift doch mehr als nur »geringfügig« zu überarbeiten.