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Ausgabe:

Dezember/2011

Spalte:

1291-1293

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Gaß, Erasmus

Titel/Untertitel:

Die Moabiter – Geschichte und Kultur eines ostjordanischen Volkes im 1. Jahrtausend v. Chr.

Verlag:

Wiesbaden: Deutscher Palästina-Verein in Kommission bei Harrassowitz 2009. X, 374 S. m. Abb. gr.8° = Abhandlungen des Deutschen Palästina-Vereins, 38. Lw. EUR 72,00. ISBN 978-3-447-05908-4.

Rezensent:

Stefan Timm

Der Rezensent hat 1989 eine Habilitationsschrift über Moab veröffentlicht, in der u. a. ägyptische Texte, sofern sie Moab nennen, besprochen wurden: die moabitischen Fragmente aus Dibon und Kerak, moabitische Siegel und die neuassyrischen Texte zu Moab. Darüber hinaus aber waren auch das Heschbon-Lied (Num 21,27–30) und die Bileamperikope (Num 22–24) exegetisch untersucht worden. Archäologische und topographische Probleme des antiken Moab hatte der Rezensent seinerzeit bewusst ausgeklammert. Die Habilitationsschrift von Erasmus Gaß nun, die im Sommersemes­ter 2007 von der Katholisch-Theologischen Fakultät in Tübingen angenommen worden ist, deckt sich in vielen Teilen mit der Arbeit des Rezensenten. Methodisch geht der Vf. in die gleiche Richtung wie seinerzeit der Rezensent, so dass im Grundsätzlichen Übereinstimmung besteht. Ab­weichungen in Details muss es geben, anders wäre die Forschung nicht gefördert.
Der Vf. hat seine Darstellung in drei Großteile (A, B und C) gegliedert, denen unter D das Literaturverzeichnis und unter E verschiedene Register folgen. Im Teil A (1–4) wird die naturräumliche Gliederung Moabs in den Ġōr, die Abhänge zum Toten Meer, das Tafelhochland und die beginnende Wüstensteppe vorgestellt und der Aufbau der Arbeit begründet. Im Teil B werden zuerst die einheimischen Texte aus Moab erörtert. Dazu gehören die Meša῾-Stele (7–65), das Dibon-Fragment und das Kerak-Fragment, aber auch die erst in den letzten Jahrzehnten bekannt gewordenen Stücke aus Bālū῾: die Türsockel(?)-Inschrift (Worschech 1997) und der be­schriftete Stößel (Worschech 2006).
Letzteres Stück (70 f.) muss trotz der Bemühungen des Ersteditors und des Vf.s als noch ungedeutet gelten (vgl. ᾽nw für »wir« [statt ᾽nḥnw], bk [statt *bkn] für »Stößel«, rbb für »Chef« u. a.). Ungedeutet ist auch die kleine, vor- und rück­seitig beschriftete Tafel aus ̱Hirbet el-Mudēyine (75; Weigl 2006). Die Schriftzeugnisse aus ̱Hirbet el-Mudēyine: der Weihrauchaltar (Daviau/Dion 2000) und der Gewichtsstein (Daviau/Dion 2002) haben sprachliche Bezüge zum Phönizischen (vgl. in Ersterem das Relativpronomen) bzw. zum Westjordanland (vgl. zu Gewichtssteinen R. Kletter, Economic Keystones. The Weight System of the Kingdom of Judah, JSOT.S. 276, Sheffield 1998).
Der Vf. erörtert jedoch auch (76–87) die von ihrer Herkunft her unbekannte und damit in ihrer Autentizität höchst zweifelhafte oktogonale Säule (Ahituv 2003; Israel-Museum) sowie den sog. Marzeaḥ-Papyrus (Bordreuil/Pardee 1990). In beiden Fällen hält er sich zwar mit einer Auswertung sehr zurück, doch ist aus der Sicht des Rezensenten beiden Stücken zu viel Ehre angetan. Es gibt – leider – bis zur Stunde keine Untersuchungsmethode, die ein angeblich altes Stück sicher als moderne Fälschung entlarvt. Das gilt noch mehr für Siegel, deren Authentizität zumeist auf dem Augenschein beruht. Was seit der Publikation des Rezensenten an beschrifteten Siegeln mit dem Namenselement KMŠ bekannt geworden ist oder aus anderen Gründen als moabitisch erklärt wurde, erörtert der Vf. ebenfalls (88–101).
Obwohl diese einheimischen Schriftzeugnisse viel jünger sind als die ägyptischen Belege für Moab, bespricht der Vf. die ägyptischen Belege erst im Anschluss an die jüngeren aus Moab selbst (107–115). Die Aktivitäten, die Ramses II. im Ostjordanland unternommen hat, müssen nach neuesten Funden aus Syrien und Jordanien noch anders debattiert werden. Diese neuesten ägyptischen Texte aus dem syrisch-jordanischen Raum sind in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit und so auch dem Vf. noch unbekannt (vgl. A. F. Taraqji, Nouvelles découvertes sur les relations avec l’Égypte à Tel Sakka et á Keswé, dans la région de Damas, Bulletin de la Société française d’égyptologie 144, 1999, 27–43; S. J. Wimmer, A New Stela of Ramesses II in Jordan in the Context of Egyptian Royal Stelae in the Levant, in: Third International Congress on the Archaeology of the Ancient Near East (3ICANNE) Paris 15–19 April 2002 [im Druck]; cf. http://www.stefan-jakob-wimmer.de/3ICAANE _wimmer.pdf.).
Zu den assyrischen Belegen für Moab, die der Rezensent gesammelt hatte, ist noch kein weiterer, neuer Text hinzugekommen (115–136). Obwohl kein assyrischer Text explizit auf die religiöse Situation beim Vasallen Moab eingeht, stellt sich die Frage nach einem religiösen und kulturellen Einfluss Assurs auf das gesamte Ostjordanland nach der grundlegenden Studie von St. Holloway (Asˇsˇur is King! Asˇsˇur is King! Religion in the Exercise of Power in the Neo-Assyrian Empire, Culture and History in the Ancient Near East Vol. 10, Leiden-Boston-Köln 2002) jetzt anders.
Unter »Moab aus der Perspektive des Nachbarn« gibt der Vf. zuerst eine Kurzerörterung der alttestamentlichen Belege, wobei besonders herausgearbeitet wird, ob dabei mit »Moab« jeweils das Volk (vgl. z. B. Ex 15,13 ᾽ēlēy Mō᾽āb u. ä.) oder die Region (vgl. Gen 36,35 u. ö. Śǝdēy Mō᾽āb u. ä.) gemeint ist (138–160). Wichtig ist dann die Zusammenstellung aller alttestamentlichen Toponyme aus Moab (172–190) samt all dem, was dazu an Identifikations- und Lokalisationsvorschlägen gemacht worden ist. Dieser Teil wird für die historische Topographie in der nächsten Zeit der Referenzrahmen bleiben.
Mancher Identifikationsvorschlag ist eher am Schreibtisch entworfen als aufgrund eigener Ortskenntnis, vgl. aber etwa zu Zoar die immer noch lesenwerten Ausführungen von D. J. G. Wetzstein, Ueber רעצ Gen XIX,22 (nebst Bemerkungen über לחנ דרז Deut. II,13, םירבעה לחנ Jes XV,7 und םירמנ Jes XV,6), in: F. Delitzsch, Commentar über die Genesis, 4. Aufl. Leipzig 1872, 564–574, und den neuesten Stand bei Y. E. Meimaris/K. I. Kritikakou-Nikolaropoulou, Inscriptions from Palaestina Tertia Vol. Ia: The Greek Inscriptions from Ghor es Safi (Byzantine Zoora), Meletēmata 41, Athens-Paris 2005, 3–7 mit Karte.
Der Sihonüberlieferung Num 21,21 ff. und ihren späteren Ausformungen (Dtn 2,26–36; Jdc 11,19–21 u. a.) ist dann ein exegetischer Abschnitt gewidmet (190–210). Der Vf. kommt dabei zu dem Schluss, dass die älteste Tradition die Ansprüche Israels auf diesen ostjordanischen Landstrich widerspiegele, der im 9./8. Jh. v. Chr. zwischen Israel und Moab strittig war (198; anders, viel später, seinerzeit der Rezensent zum Heschbon-Lied).
Den archäologischen Stätten ist fast ein Drittel der Arbeit ge­widmet (213–306). Dabei werden Ausgrabungen (212–252) ebenso beschrieben wie Ergebnisse von Surveys (253–268), befestigte Orte ebenso wie Türme, einzelne Gehöfte oder Heiligtümer. Letztere sind bislang in ̱Hirbet ῾Aṭārūz, ̱Hirbet el-Mudēyine Gebäude 149 und W(adi et-) T(emed) Nr. 13 sowie östlich vom Qaṣr el-Bālū῾ nach­gewiesen (287–292).
Die Chronologie der archäologischen Stätten im Gebiet des alten Moab krankt bislang noch an dem grundsätzlichen Mangel, dass es keine Sequenz der Keramik für das 11.–7. Jh. v. Chr. von einem Ort oder gar von mehreren Orten gibt. So ist jede Datierung, die von den Archäologen für diese oder jene Stätte vorgeschlagen wurde, mehr von der Meinung der Ausgräber abhängig als von einer anerkannten Keramikabfolge. Immerhin scheint sich abzuzeichnen, dass der Übergang von der Spätbronzezeit zur Eisen-I-Zeit anders verlief als auf der westjordanischen Seite, da nach einer ersten, planvollen Besiedlung zwischen 1100 und 1000 v. Chr. ebendiese Siedlungen wieder aufgegeben wurden und in der Eisen-II-Zeit an anderen Plätzen neue errichtet worden sind (297–300). Die erste Siedlungsphase ist nicht durch ein »dahinter« stehendes tribales System zu erklären, sondern eher durch ein System von Gründungsfamilien bzw. (so der Rezensent) analog zu Lokatoren, die im Mittelalter in ostelbischen bzw. slawischen Gebieten neue Siedlungen gründeten. Überhaupt verlief der Prozess der dauerhaften Ansiedlung in Moab insgesamt eher von Nord nach Süd und ist erst in der Eisen-II-Zeit im südlichsten Bereich zum Abschluss gekommen. Das schließt nicht aus, dass man für Moab ab dem 9. Jh. v. Chr. mit Elementen einer Staatlichkeit rechnen muss.
Die Deutung der archäologischen Funde ist also stark mit sozio-ethnischen Fragestellungen verbunden, für die die Verstehensmodelle noch erarbeitet werden müssen – vgl. etwa die Frage, welche Funktion die vielen Türme gehabt haben, wenn sie aufgrund ihrer Standorte nicht der Landesverteidigung dienten. In diesem Bereich wird in den nächsten Jahren noch manches zu erforschen sein. Aber für die Zusammenfassung dessen, was jetzt als Stand der Forschung gelten kann, gebührt dem Vf. ein großer Dank.