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Ausgabe:

Dezember/2011

Spalte:

1283-1285

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Freiberger, Oliver, u. Christoph Kleine

Titel/Untertitel:

Buddhismus. Handbuch und kritische Einführung.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011. 536 S. m. 17 Abb. gr.8°. Geb. EUR 49,95. ISBN 978-3-525-50004-0.

Rezensent:

Perry Schmidt-Leukel

»Der Buddhismus ist auch nicht mehr das, was er mal war« – dieses Wort von Gebhard Löhr bringt auf den Punkt, dass die neuere Buddhismus-Forschung zur Demontage etlicher aus dem 19. Jh. stammender Klischees über den Buddhismus geführt hat. Dem trägt das hier zu besprechende Werk deutlich und gezielt Rechnung (vgl. 15). Erklärte Absicht der beiden Autoren ist es, der großen Zahl »meist populärwissenschaftlicher, exotisierender und wenig zuverlässiger Einführungen« eine »wissenschaftlich vertretbare Einführung« (9) entgegenzusetzen. Sie richten sich jedoch keineswegs allein gegen populärwissenschaftliche Positionen, sondern auch gegen ein in wissenschaftlicher Literatur verbreitetes Buddhismusbild, das in Wahrheit eine moderne, »entmythologisierte Neudeutung« beinhaltet (417). In der Tat dürfte diese Einführung vor allem jenen, die nicht direkt als Fachwissenschaftler mit dem Buddhismus befasst sind, wesentliche und dringend nötige Korrekturen hergebrachter Annahmen bieten.
Methodisch leitend sind für die Autoren folgende Aspekte: 1. die Ergänzung und häufig Modifikation einer allein auf buddhistischen Schriften basierenden Deutung durch die Heranziehung insbesondere archäologischer und kunsthistorischer Materialien (der Einfluss der kritischen Studien von Gregory Schopen ist vielfach greifbar); 2. die Darstellung des Buddhismus nicht primär auf der Basis seiner Lehren, sondern auch – wenn nicht sogar vor allem – auf der Basis seiner Praxis (so dass auch die »Lehre« als eine Form der Praxis, z. B. als »Intellektuellendiskurs« einer religiösen Minderheit, erscheint); 3. die Berücksichtigung sozialer, ökonomischer und politischer Faktoren bei der Interpretation der verschiedenen Ausprägungen des Buddhismus; 4. die Verabschiedung eines hermeneutischen Paradigmas, wonach bestimmte Formen des Bud­dhis­mus als »rein« oder »ursprünglich« oder beides und andere Formen demgemäß als Depravationen aufgefasst werden; 5. eine verstärkte Sensibilität für die historisch-kontextuell bedingte Genese des westlichen, teilweise auch nach Asien rückwirkenden Buddhismusbildes des 19. Jh.s (die kritischen Impulse der »Orientalismusthese« werden explizit, aber ausgewogen aufgegriffen; 15) und 6. ein grundsätzlich »historisch-kritischer«, »religionswissenschaft­-li­cher« (9) Ansatz, der explizit auch von einer sich verstärkt entwi­-ckelnden »Buddhistischen Theologie« abgegrenzt wird, die den Buddhismus wissenschaftlich, aber aus einer Binnenperspektive heraus studiert (19). Besonders Letzteres hat, worauf zurückzukommen sein wird, Vor-, aber auch Nachteile.
Vieles von dem, was das hier präsentierte Buddhismusbild von älteren Klischees unterscheidet, wird im letzten, dem zwölften Kapitel dieses umfangreichen Werkes nochmals zusammenfassend dargestellt. Als »Neun beliebte Vorurteile und populäre Irrtümer über den Buddhismus« werden – nach Ansicht des Rezensenten mit vollem Recht – die Auffassungen kritisiert, der Buddhismus sei 1. keine Religion, sondern ein »way of life«, 2. bestehe hauptsächlich in der Übung der Meditation, 3. baue nicht auf Glaube, sondern allein auf Erkenntnis, 4. sei nicht missionarisch, aber durchgängig tolerant sowie 5. eine »Religion der Gewaltlosigkeit und der Friedfertigkeit«, die 6. immun gegen Fundamentalismus und 7. atheis­tisch geprägt ist, 8. weder Angst vor der Hölle noch Hoffnung auf den Himmel kennt und 9. deren Anhänger Vegetarier sind. Trotz dieser klaren und wichtigen Korrekturen fragt sich der Rezensent, ob nicht bisweilen doch noch Reste der kritisierten »entmythologisierten Neuinterpretation« zumindest partiell nachwirken, wenn beispielsweise zuvor das Nirvāṇa primär als Zustand des Erleuchteten (44.202) bestimmt und damit im Vergleich zu den klassischen buddhistischen Texten selbst deutlich unterbestimmt wird, die dieses als eine überweltliche, unbedingte und folglich unvergängliche Wirklichkeit bezeichnen, die existiert, unabhängig davon, ob jemand sie erreicht oder nicht, und so erst den Grund für die Möglichkeit der Erlösung aus dem Wiedergeburtenkreislauf bildet (die Aussagen auf S. 203 kommen diesem traditionellen Verständnis schon deutlich näher).
Dem Schlusskapitel gehen elf Kapitel von teilweise erheblich unterschiedlicher Länge voraus. Im ersten, mehr als 140 Seiten langen Kapitel wird ein nahezu umfassender historischer und geographischer Überblick über die Entwicklung und Ausbreitung des Buddhismus gegeben. Zu kurz kommt hier nur weniges, wie beispielsweise der Buddhismus in der Mongolei oder einige Aspekte seiner zeitgenössischen Verbreitung (z. B. fehlt jeder Hinweis darauf, dass er in der zu Europa zählenden Kalmückischen Republik Staatsreligion ist). Ansonsten sind die Teile dieses Kapitels äußerst instruktiv und bezeugen große Detail- und Sachkenntnis. Das kurze zweite Kapitel gibt wichtige Informationen zu buddhistischen Sprachen und Textgattungen. Erstaunlich kurz, ja nach dem Urteil des Rezensenten deutlich zu kurz – auch inhaltlich –, fallen das dritte (»Buddhistische Weltbilder«) und vierte Kapitel (»Ethik und Moral«) aus. Ihnen folgt das wiederum recht ausführliche fünfte Kapitel »Religiöse Praxis«, in dem nicht allein von Meditation, sondern auch von den asketischen und insbesondere den zahlreichen rituellen Praktiken innerhalb des Buddhismus die Rede ist. Nach einem Überblick über die religiösen »Akteure« oder Stände (Mönche, Nonnen, Laien, religiöse Spezialisten) in Kapitel sechs (das auch einen instruktiven Exkurs zur Debatte um die Wiedereinführung des Nonnenordens in Teilen des Buddhismus bietet), liefert das siebente Kapitel einen weitgefassten Überblick zu unterschiedlichen philosophischen und institutionellen Ausprägungen des Bud­dhis­mus. Hierauf folgen noch vier weitere Kapitel, die ebenso wie das oben bereits erwähnte Schlusskapitel Themen gewidmet sind, die man in klassischen Einführungen eher nicht oder bestenfalls am Rande behandelt findet: So werden im achten Kapitel, wenn auch nur knapp, buddhistische Vorstellungen von und Einflüsse auf Politik und Wirtschaft thematisiert, im neunten Kapitel der Einfluss des Buddhismus auf Kunst und Architektur, im zehnten Kapitel einige seiner Veränderungen im Kontext der Modernisierung und im elften Kapitel, sehr differenziert, sein missionarischer Cha­rakter und seine Interaktion mit anderen Religionen. – Die bis heute anhaltenden, nicht selten gewalttätigen Spannungen zwischen Buddhismus und Hinduismus werden jedoch eher verharmlost; von Kaiser As´oka ist nur im Sinne seiner vermeintlichen Toleranz die Rede; sein erstes Edikt, das das vedische Tieropfer verbietet und damit Ausdruck massiver Intoleranz gegenüber dem Brahmanismus ist, findet erstaunlicherweise keine Erwähnung.
Alle Kapitel sind von beiden Autoren gemeinsam verantwortet, so dass dem Uneingeweihten nicht deutlich wird, wer von beiden jeweils welche Vorlagen erarbeitet hat. Zudem haben sie sich entschlossen, mit einer wissenschaftlichen Konvention zu brechen: Im gesamten Buch findet sich keine einzige Fußnote und auch im Text so gut wie keine Referenzen. Das wiederum führt unter anderem dazu, dass insgesamt sehr wenig zitiert wird und dass bei den wenigen Zitaten oft ein eindeutiger Nachweis fehlt (z. B. 208.323 f.341. 478). Zudem werden Aussagen über die buddhistische Lehre in aller Regel nicht durch Verweise auf entsprechende Textbelege gestützt, so dass auch gerade bei problematischen oder strittigen Ansichten der Autoren keine direkten Hinweise auf Quellen gegeben werden. Stattdessen wird der Leser summarisch auf die durchaus differenzierten Literaturhinweise zu jedem Kapitel verwiesen. Diese formale Grundentscheidung mag der insgesamt sehr guten Lesbarkeit des Werkes zusätzlich zuträglich gewesen sein, dennoch überwiegen nach Ansicht des Rezensenten eindeutig die Nachteile – gerade im Hinblick auf den Anspruch einer wissenschaftlich vertretbaren Einführung.
Die einzelnen Kapitel sollen nach Auskunft der Autoren für sich stehen und separat lesbar sein (10). Dies ist allerdings nicht durchgängig der Fall. So wird bisweilen in einzelnen Kapiteln wie selbstverständlich mit bestimmten Begriffen der buddhistischen Lehre operiert, die weder dort noch in den ohnehin nur knappen Teilen zur buddhistischen Lehre eine Erläuterung finden (vgl. beispielsweise die Erwähnung des dharmaka-ya auf den Seiten 129.176.352. 354, ohne dass dieses doch sehr zentrale Konzept irgendwo näher erklärt wird, ebenso wenig wie das damit zusammenhängende Konzept des trika-ya, das nur auf S. 8 kurz auftaucht, oder das Konzept des A-di-Buddha, das auf S. 415.459 kurz genannt wird). Ein zuverlässiges Register hätte diesen Mangel partiell ausgleichen können, doch haben Stichproben hier leider deutliche Lücken gezeigt (z. B. fehlen im Register Namen wie Ambedkar oder Sivaraksa, die im Buch selbst beide behandelt werden, oder Konzepte wie etwa das des A-di-Buddha).
Druckfehler sind in diesem umfangreichen Werk nur selten anzutreffen, allerdings ist jedoch auf zwei sachliche Fehler hinzuweisen, die den Verfassern leider unterlaufen sind: Im Hinblick auf die für den chinesischen Ch’an wichtige Spaltung in Nord- und Südschule wird Shenxiu irrtümlich als Schüler Huinengs bezeichnet (342). Shenxiu ist allerdings nach Auffassung der Nordschule der wahre sechste Patriarch (und nicht Huineng) und war in diesem Sinne, falls Huineng überhaupt historisch ist, sein Rivale, nicht aber sein Schüler. Eindeutig falsch ist es auch, wenn auf S. 228 behauptet wird, dem frühen Buddhismus fehle es an »allgemeinen ethischen Prinzipien« wie etwa der »goldenen Regel«. Diese findet sich sehr deutlich im Samyutta- Nikāya V 55:7 oder auch, abgewandelt, im Sutta Nipāta 705.
Die genannten Schwächen und Probleme des Werkes dürfen nicht den Blick für seine immensen Stärken verstellen. Mit dem in ihm dargebotenen umfangreichen Faktenmaterial wird ein Buddhismusbild greifbar, das in seiner inneren Vielgestaltigkeit und mit seinen zahlreichen Ambivalenzen deutlich realitätsnäher ist als so manches moderne Buddhismus-Konstrukt. Dies verdankt sich nicht nur der hohen Sachkompetenz der Autoren, sondern auch der von ihnen bewusst gewählten kritischen Außenperspektive. Zu kurz kommt aufgrund dieser Perspektive allerdings jene innere Anziehungskraft – gerade auch der buddhistischen Lehren bzw. der in diesen artikulierten Einsicht in den Charakter der Wirklich-kei t–, ohne die die von den Verfassern belegte immense Ausbreitungsgeschichte des Buddhismus letztlich kaum nachvollziehbar ist. Dieses Handbuch ist ein wichtiges und hilfreiches Buch. Als Einführung erscheint es dem Rezensenten jedoch ergänzungsbedürftig durch Werke, die intensiver der Innenperspektive des Bud­dhismus nachspüren.