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Ausgabe:

November/2011

Spalte:

1250-1251

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Suttner, Ernst Christoph

Titel/Untertitel:

Quellen zur Geschichte der Kirchenunionen des 16. bis 18. Jahrhunderts. Deutsche Übersetzung d. lateinischen Quellentexte v. K. u. M. Zelzer m. Erläuterungen v. E. Ch. Suttner. Hrsg. v. B. Hallensleben u. N. Wyrwoll.

Verlag:

Freiburg (Schweiz): Institut für Ökumenische Studien der Universität Freiburg Schweiz 2010. 6, IV, 292 S. gr.8° = Studia Oecumenica Friburgensia, 54. Geb. EUR 25,00. ISBN 978-2-9700643-9-8.

Rezensent:

Wolf-Friedrich Schäufele

Aus der Perspektive der heutigen römisch-katholischen Theologie stellen die vom 16. bis zum 18. Jh. geschlossenen Unionen zwischen der römischen Kirche und einzelnen orthodoxen Metropolien, Eparchien oder Gruppen von Klerikern weniger ein Thema gelehrter historischer Reflexion als vielmehr ein drängendes Problem aktueller ökumenischer Verständigung mit der Orthodoxie dar. Dieser Umstand verleiht jeder Beschäftigung mit der Thematik allzu leicht eine apologetische Schlagseite. Auch der hier anzuzeigende Band ist davon nicht frei; die historische Aufgabe tritt immer wieder in den Dienst theologischer, insbesondere ekklesiologischer Werturteile.
Geboten wird mehr, als der Titel verspricht. Nicht eine bloße Sammlung von Quellentexten erwartet den Leser, sondern eine an ausführlich kommentierten Originaltexten entlanggeführte mo­nographische Darstellung der verschiedenen Unionen und Unionsversuche und ihrer Nachgeschichte bis ins 20. Jh., die auch für eine erste Beschäftigung mit der Thematik geeignet ist. Die abgedruckten Quellenzeugnisse sind nirgends sonst in dieser Vollständigkeit und Aufbereitung zugänglich. Sie werden im Zweispaltendruck geboten, wobei neben dem lateinischen Originaltext die durchweg verlässliche deutsche Übersetzung von Klaus und Michaela Zelzer steht. Allerdings sind die Texte nicht aus archivalischen Quellen kritisch ediert, sondern aus Druckschriften vor allem des 18. und 19. Jh.s übernommen worden. Quellenkritische Fragen werden nur ausnahmsweise berührt, Abkürzungen aus den Vorlagen ohne Auflösung übernommen.
Die ausführliche Kommentierung, die den Quellentexten je­weils unmittelbar folgt, ist, ebenso wie die überleitenden Texte, Ernst Christoph Suttner, dem wohl besten Kenner der Materie, zu verdanken. In einem großen darstellerischen Bogen vom Konzil von Florenz und seinem Unionsdekret vom 6.7.1439 bis zur Unterdrückung der unierten Kirchen im kommunistischen Osteuropa zeichnet S. ein großes Panorama der römisch-orthodoxen Unionen. Dabei führt er wie in seinen früheren Publikationen zur Thematik abermals seine besondere, eigenwillige Geschichtskonstruktion vor.
Danach muss das Florentinum als Inbegriff und unüberbietbares Vorbild einer jeden sachgerechten Union gelten. Damals hätten beide Seiten einander als vollwertige Kirche Christi anerkannt und eine gleichberechtigte Union geschlossen, bei der keiner Seite Abstriche an ihren Traditionen zugemutet wurden. Das Filioque, der Gebrauch gesäuerten Brots in der Eucharistie und die explizite Fegfeuerlehre seien freigestellt worden, allein die Anerkennung des Papstes als des ersten Bischofs der Christenheit habe den Inhalt der erstrebten Union gebildet. Unbeschadet der Tatsache, dass das Unionsdekret von Florenz praktisch folgenlos blieb, sieht S. in ihm den autoritativen Maßstab für alle späteren Unionen und setzt auch – mitunter wohl zu optimistisch – voraus, dass sich die orthodoxen Unionsaspiranten regelmäßig und bewusst darauf bezogen hätten.
Auf das einleitende Kapitel über das Konzil von Ferrara-Florenz (Teil I, 1–9) folgt als Hauptteil der Darstellung ein chronologischer Überblick von den Unionsbemühungen im Fürstentum Moldau 1588 und der Brester Union von 1595 über die Union von Užgorod 1646 bis zur Annahme der Brester Union in den Bistümern Lemberg und Przemysl zu Beginn des 18. Jh.s (Teil II, 10–236). Aus dem sachlichen Zusammenhang heraus fallen die Kapitel über die »Unionsbemühungen des Siebenbürger Fürsten Gabriel Béthlen mit den« (stets so genannten) »Calvinern«, die tatsächlich ein Versuch der Bekehrung zum Calvinismus waren, und das Kapitel über »Unionen pro foro interno«, bei denen es sich in Wahrheit um nichts anderes als private Bekundungen von Konversionsabsichten handelt.
Für S.s Beurteilung aller dieser Unionen und Unionsversuche bezeichnend erscheint die immer wieder getroffene missbilligende Feststellung, dass auf römischer Seite und insbesondere durch die Jesuiten das nachtridentinische Verständnis der Kircheneinheit leitend geworden sei, das nach völliger Einheitlichkeit in Glaube und Ritus verlangte. Doch erst im 18. Jh. sei es zu jenem »Umsturz in der Ekklesiologie« (Teil III, 237–257) gekommen, in dessen Folge Lateiner wie Griechen nicht mehr bereit waren, einander als Kirche Christi anzuerkennen.
Auf römischer Seite sei dies mit einem Dekret der Congregatio de Propaganda Fide von 1729 manifest geworden, auf griechischer durch einen Konzilsbeschluss von 1755. Erst damit sei, so S.s schon in der Vergangenheit wiederholt vorgetragene Einschätzung, die 1054 begonnene Kirchenspaltung vollendet worden, seien »Katholiken« und »Orthodoxe« einander gegenübergetreten. Diese ekklesiologische Position, die von Papst Pius XII. in der Enzyklika Mystici corporis 1943 noch einmal bekräftigt wurde, hat andererseits nicht wenig zum Widerstand der unierten Ostkirchen gegen die Versuche der kommunistischen Machthaber, sie zur Orthodoxie zurückzuführen (Teil IV, 258–279), beigetragen. Erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und mit der Erklärung Dominus Iesus erkennt die römisch-katholische Kirche die orthodoxen Kirchen wieder als Kirche Christi an. Damit ist der »ekklesiologische Um­sturz des 18. Jahrhunderts« zugunsten einer Rückkehr zur Position des Florentinums überwunden – eine Entwicklung, die von S. ausdrücklich begrüßt wird. Was dies für die Stellung der unierten Ostkirchen heute bedeutet, wäre indessen noch zu fragen.
Auch wenn man die aktuell ökumenisch interessierte historische Rekonstruktion S.s nicht in allen Einzelheiten teilen mag – um von der bis ins Absurde übersteigerten steilen Einleitung der Herausgeber (»Der sogenannte ›Uniatismus‹ ist kein katholisch-orthodoxes, sondern ein katholisch-protestantisches Problem …«, I) gar nicht erst zu reden –, wird man den materialreichen Band mit Nutzen konsultieren. Eine modernen wissenschaftlichen Ansprüchen entsprechende kritische Quellenedition zu den römisch-orthodoxen Kirchenunionen bleibt gleichwohl ein Desiderat.