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Ausgabe:

November/2011

Spalte:

1246-1249

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Koslowski, Jutta

Titel/Untertitel:

Die Einheit der Kirche in der ökumenischen Diskussion. Zielvorstellungen kirchlicher Einheit im katholisch-evangelischen Dialog.

Verlag:

Münster-Berlin: LIT 2008. XVI, 489 S. gr.8° = Studien zur systematischen Theologie und Ethik, 52. Kart. EUR 49,90. ISBN 978-3-8258-1485-4.

Rezensent:

Hans-Peter Großhans

Mit dem Bekenntnis von Nicaea-Konstantinopel teilen fast alle christlichen Kirchen den Glauben an die Einheit bzw. Einzigkeit der Kirche. Wer die diversen ökumenischen Dialoge verfolgt, kann dabei oft nicht erkennen, welches Konzept von Einheit von den jeweils beteiligten Kirchen und Kirchengemeinschaften vorausgesetzt und verfolgt wird. Es ist deshalb höchst verdienstvoll, dass die evangelische Theologin Jutta Koslowski in ihrer von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Uni­ver­si­tät als Dissertation angenommenen Doktorarbeit die Zielvorstellungen kirchlicher Einheit im katholisch-evangelischen Dialog (eigentlich müsste man freilich von katholisch-evangelischen Dialogen sprechen) genau untersucht hat.
Auch die Zielvorstellungen kirchlicher Einheit der katholischen Kirche und der evangelischen Kirchen können nicht isoliert be­trachtet werden, sondern stehen im Zusammenhang mit der Einheitsdiskussion, die seit Beginn des 20. Jh.s intensiv geführt wird. Deshalb bildet der auf eine Einleitung in Fragestellung und Verfahren der Untersuchung folgende, rund 300 Seiten umfassende, historische Überblick über die Entwicklung der Einheitsdiskussion den ersten Hauptteil der Arbeit. In diesem historischen Überblick werden die verschiedenen Konzepte und Modelle dargestellt, die »sich im Verlauf der Diskussion um die Verwirklichung der sichtbaren Einheit der Kirche entwickelt haben« (41). Die Konzentration auf die sichtbare Einheit ist sicherlich eine Einschränkung in der Wahrnehmung von Einheitsvorstellungen. Gleichwohl bleiben noch genügend Modelle übrig, die von K. in chronologischer Reihenfolge präsentiert werden. Die nach K.s Auffassung wichtigsten Einheitsmodelle werden zuerst dargestellt: das Modell der organischen Union, das Modell der konziliaren Gemeinschaft, das Modell der versöhnten Verschiedenheit, das Modell der Kirchengemeinschaft und das Modell der < /span>Koinonia. Diese fünf Modelle werden aus den jeweils wichtigsten ökumenischen Dokumenten in gründlichen Analysen herausgearbeitet, profiliert und zueinander in Beziehung gesetzt. Auf diese Weise tritt dem Leser zugleich auch die Entwick­lung der gesamten ökumenischen Diskussion im 20. Jh. vor Augen.
Nach diesen fünf Modellen präsentiert K. in ihrem historischen Überblick – nun sehr viel kürzer – weitere Vorschläge in der Diskussion um die Einheit der Kirche. Diese Vorschläge stammen von evangelischer Seite, von katholischer Seite und von einzelnen Theologen. Von evangelischer Seite werden behandelt: die Modelle der föderativen Union, der korporativen Union, der Abendmahlsgemeinschaft, der gegenseitigen Anerkennung, der praktischen Zusammenarbeit. An Vorschlägen von katholischer Seite referiert K. das Modell der Gemeinschaft von Gemeinschaften und das Modell der Schwesternkirchen.
Aus der Fülle der von einzelnen Theologen vorgelegten Vorschläge zur Einheitsdiskussion werden die folgenden einer näheren kurzen Betrachtung gewürdigt: Jan Willebrands Rede von »ekklesialen Typen«, Heinrich Tenhumbergs Vorstellung einer »Korporativen Wiedervereinigung«, Heinrich Fries und Karl Rahners Rede von einer »erkenntnistheoretischen Toleranz«, Eilert Herms Vorschlag eines »Dialogs über die Differenz«, Oscar Cullmanns Formel von der »Einheit durch Vielfalt«, Erich Geldbachs Vorschlag einer »Ökumene in Gegensätzen«, Konrad Raisers Vorstellung einer »Ökumene als universalem Haushalt Gottes« und Wolfgang Thönissens »Teilhabe-Modell«.
Nach K.s Urteil sind diese in theologischen Untersuchungen vorgetragenen Vorschläge, aber auch die von evangelischer Seite oder von katholischer Seite entwickelten Modelle aus unterschiedlichen Gründen – mehr oder weniger – nicht geeignet, um Kir- chen­einheit zu verwirklichen oder – bescheidener –, um als Zielvorstellung für die Einheit der Kirchen dienen zu können. Manche der gemachten Vorschläge findet K. zwar hilfreich, um die Diskussion voranzubringen, findet dann jedoch zentrale Probleme nicht (hinreichend) bearbeitet.
Zustimmung wird sicherlich K.s zusammenfassendes Urteil aus dem historischen Überblick finden, der zeige, »daß es bisher nicht gelungen ist, einen Konsens über die Zielvorstellung kirchlicher Einheit zu erreichen«. Gerade »zwischen katholischer und evangelischer Kirche konnte noch kein gemeinsames Einheitsverständnis entwickelt werden – wenn man von einem Verbalkonsens absieht, der sich auf eine allseits akzeptierte Formel wie ›Koinonia‹ oder ›versöhnte Verschiedenheit‹ beschränkt« (339). Der Möglichkeit, mit diesen beiden Formeln ökumenisch weiterzuarbeiten, traut K. jedoch nicht viel zu. Das Problem formuliert sie in der naheliegenden – fast schon trivialen – Feststellung, dass »ein unauflösbarer Zusammenhang zwischen Ekklesiologie und Einheitsvorstellung« bestehe: »Jede Kirche favorisiert diejenige Einheitsvorstellung, welche ihrer eigenen Ekklesiologie entspricht.« (339)
Folgerichtig widmet sich K. daraufhin den ekklesiologischen Grundlagen der Einheitsdiskussion in der evangelischen und in der katholischen Theologie. Dazu will sie wiederum einen Überblick bieten, dieses Mal einen »systematischen«. Dabei möchte sich K. auf diejenigen konfessionellen Überzeugungen konzentrieren, die auf der Ebene des Dogmas bzw. der Wahrheitsfrage angesiedelt sind, um so das ekklesiologisch Wesentliche vom nicht Wesentlichen unterscheiden zu können.
So wird von K. (auf 40 Seiten) zuerst dargestellt, welche ekklesiologischen Vorstellungen für die evangelische Theologie wesentlich sind. Dazu werden die biblischen Grundlagen rekonstruiert (allerdings mit Bezug nicht nur auf evangelische Exegeten!), deren dogmatische Entfaltung in den lutherischen und reformierten Be­kenntnisschriften dargestellt und deren Rezeption in der ökumenischen Diskussion referiert. Daran schließt sich – unwesentlich länger – ein ähnlich strukturiertes Referat über die biblischen und dogmatischen Grundlagen katholischer Ekklesiologie und deren ökumenischer Rezeption und Relevanz an.
Die gesamte Darstellung der Grundlagen evangelischer und katholischer Ekklesiologie ist geprägt vom Anliegen K.s, eine sichtbare Einheit von evangelischer und katholischer Kirche vorstellbar und denkbar zu halten. Sie wartet dabei zum Teil mit ganz konkreten Vorschlägen auf, wie eine Vereinigung evangelischer Kirchen mit der katholischen Kirche zu einer »Einheit in Vielfalt« zustande kommen könnte – bis hin zum Vorschlag eines Gottesdienstes, in dem die »Versöhnung der Ämter« (475) vollzogen würde.
»Einheit in Vielfalt« ist dann auch die Formel für den Vorschlag, den K. zur Einheitsdiskussion macht. K. ist der Auffassung, dass sich das ekklesiologisch Wesentliche vom nicht Wesentlichen sowohl auf der evangelischen als auch der katholischen Seite so voneinander unterscheiden lasse, dass die wesentlichen katholischen und evangelischen Glaubensüberzeugungen »tatsächlich so miteinander vereinbar sind, dass Einheit zwischen diesen beiden Kirchen möglich ist« (341).
Auf diese Weise will K. zeigen, »daß katholisch-evangelische Kircheneinheit verwirklicht werden kann« (341). Nach dem Urteil des Rezensenten ist die nicht dem Alphabet folgende Reihenfolge in »katholisch-evangelisch« nicht zufällig: Das Modell K.s »Einheit in Vielfalt« kommt dem katholischen Unionsmodell ziemlich nahe. So kommt K. zu der Feststellung: »Als besonders geeignet erscheint […] das Modell der korporativen Union« (495). Da K. als belesene und kundige Theologin um die Fallstricke dieses Modells weiß, versucht sie in einem »Epilog«, dieses Modell zur Vorstellung einer »Einheit in Vielfalt« so zu variieren, dass es ihrer Meinung nach für die katholische Kirche und die evangelischen Kirchen als Zielvorstellung kirchlicher Einheit akzeptabel sein müsste. »Der Grundgedanke des Modells ›Einheit in Vielfalt‹ besteht darin, die beiden Aspekte ›Einheit‹ und ›Vielfalt‹ miteinander zu verbinden, und zwar so, daß in struktureller Hinsicht ein hohes Maß an Einheit verwirklicht wird, in spiritueller Hinsicht dagegen ein hohes Maß an Vielfalt. Anders ausgedrückt beschreibt Einheit die äußere Gestalt dieses Modells. Vielfalt dagegen seine innere Qualität« (497). Beim Leser bleibt der Eindruck, dass diese Konzeption schon seit Längerem bekannt ist – jedoch weniger mit dem evangelischen Unionsmodell als vielmehr mit dem katholischen Unionsmodell viel gemeinsam hat. Daran ändern dann auch die Modifikationen und die wiederum detaillierten Vorschläge K.s zur Etablierung und Durchführung einer solchen Kircheneinheit letztlich wenig.
K. hat in ihrer Untersuchung über die Einheitsvorstellung ein Desiderat in der ökumenischen Theologie bearbeitet. Sie präsentiert dazu eine Fülle von Material, auf das weitere Untersuchungen zu diesem Thema aufbauen können. Zugleich ist das Buch ein Beispiel engagierter Theologie, denn K. lässt eigentlich nie einen Zweifel daran, woraufhin sich die evangelischen Kirchen und die katholische Kirche ökumenisch entwickeln sollten. So verwickelt das Buch gerade auch denjenigen Leser, der wie der Rezensent diese ökumenische Zielvorstellung nicht teilt, in einen höchst produktiven theologischen Diskurs.