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Ausgabe:

November/2011

Spalte:

1237-1239

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Dungs, Susanne, Gerber, Uwe, u. Eric Mührel [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Biotechnologie in Kontexten der Sozial- und Gesundheitsberufe. Professionelle Praxen – Disziplinäre Nachbarschaften – Gesellschaftliche Leitbilder.

Verlag:

Frankfurt a.M.–Berlin–Bern-Bruxelles–New York-Oxford-Wien: Lang 2009. 413 S. 8°. Kart. EUR 29,50. ISBN 978-3-631-57779-0.

Rezensent:

Johannes Eurich

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Horneber, Markus, Helbich, Peter, u. Klaus Raschzok[Hrsg.]: Dynamisch Leben gestalten. Perspektiven zukunftsorientierter Unternehmen in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft. Stuttgart: Kohlhammer 2010. 280 S. m. Abb. gr.8° = Dynamisch Leben gestalten, 1. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-17-021153-7.


Ökonomische Faktoren spielen in der Diakonie schon seit jeher eine Rolle. Die Gründung und der Erfolg diakonischer Einrichtungen im 19. Jh. wären ohne eine solide wirtschaftliche Grundlage nicht möglich gewesen. Heute stellt sich die Vermittlung ökonomischer Rationalität und werteorientierter Grundlagen als erneute Aufgabe: Denn seit Mitte der 1990er Jahre wurde unter dem Druck klammer Staatsfinanzen eine Neuausrichtung des Sozialbereichs eingeleitet, die durch die Einführung wettbewerblicher Elemente in immer mehr Handlungsfeldern des Sozial- und Gesundheitswesens eine konsequent voranschreitende Ökonomisierung der betroffenen diakonischen Einrichtungen bewirkt. Die betriebswirtschaftliche Rationalität erhält nun eine größere Bedeutung in der Führung der Organisation und scheint andere Rationalitäten zu dominieren. Auch diakonische Einrichtungen unterliegen dem Wandel von Wertegemeinschaften zu Dienstleistungsunternehmen und sehen sich dabei vor die Herausforderung gestellt, wie das spezifisch Diakonische bei der Gestaltung ihres Hilfsangebots erhalten werden kann.
Hierauf versucht das Buch Dynamisch Leben gestalten eine Antwort zu geben, indem »Perspektiven zukunftsorientierter Unternehmen in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft« – wie der Untertitel lautet – aufgezeigt werden. Der Titel ist dabei Programm: Vorausgesetzt wird das Verständnis diakonischer Einrichtungen als sozialwirtschaftliche Unternehmen, die ihrer Gemeinnützigkeit entsprechend ideelle Zwecke verfolgen. Dazu haben die Herausgeber eine breite Zahl von Beiträgen unterschiedlicher Autoren und Autorinnen versammelt, die ein System von Managementprinzipien und Handlungsgrundsätzen aufzeigen sollen, die entscheidend zum Erfolg eines Unternehmens beitragen. Im Zentrum dieses Modells steht mit Spiritualität ein geistlicher Begriff, der als Kern unternehmerischer Tätigkeit angesehen wird. Um dieses Zentrum herum werden in zwei Kreisen zentrale Bereiche moderner Organisationsentwicklung gruppiert: Zum inneren Kreis unternehmensinterner Elemente gehören neben der Reflexion unternehmerischen Erfolgs und der Dimension der Technik auch Innovationsmanagement und Impulse für die Zukunft. Im äußeren Kreis unternehmensexterner Elemente wird die Einbettung der Organisation in ihre Umwelt beschrieben: Die Themen reichen hier von Medien und Wissenschaft über Vernetzung, Freie Wohlfahrtspflege und Gesundheitswirtschaft bis zum Sozialen Europa. In der Anlage folgt dieses Modell damit nicht den klassischen Feldern des Sozialmanagements, sondern sieht das Unternehmen systemisch im Kontext seiner Umwelt. Damit wird eine Verengung auf rein managerielle Fragestellungen oder eine einfache Übertragung betriebswirtschaftlicher Ansätze etwa aus der Sachgüterproduktion vermieden, die dem Charakter diakonischer Unternehmen auch nicht angemessen wäre.
Die Stärke des Buches liegt in der Vielfalt der behandelten Themen, die – ausgehend von der geistlichen Dimension – die wesentlichen Grundlagen eines (diakonischen) Sozialunternehmens ab­decken. Immer wieder werden durch Beispiele aus der Praxis – häufig unter Bezug auf das Diakoniewerk Neuendettelsau, mit dem die Herausgeber beruflich auf unterschiedliche Weise zu tun haben – Anwendungen illustriert, die eine Übertragung der Inhalte auf andere Unternehmen leicht machen. Eine Schwäche des Buches liegt darin, dass sich die einzelnen Beiträge nicht zu einem stringenten Gesamtsystem zusammenfassen lassen. Dazu kommen in den einzelnen Beiträgen zu unterschiedliche Perspektiven der jeweiligen Autoren und Autorinnen zum Tragen. Auch sind die einzelnen Themen nicht im Sinne einer vertieften wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den zu lösenden Sachfragen entwickelt – Innovationsmanagement wird z. B. auf gut zwölf Seiten abgehandelt. Ebenso würde man auch gerne mehr im Detail erfahren, wie die geistliche Dimension »Spiritualität« als »entscheidende Querdimension, die nicht verzweckt oder instrumentalisiert werden kann« (73), denn dann als Kern unternehmerischen Handelns, das ja planvoll und zweckgerichtet sein muss, von Führungspersonen umgesetzt werden kann. Diese vertiefte Auseinandersetzung entspricht jedoch nicht der Zielsetzung des Buches. Es leistet, die Grundlagen eines diakonischen sozialwirtschaftlichen Unternehmens anwendungsbezogen darzustellen und ist als einführendes Lehrbuch für Führungsverantwortliche oder solche, die es werden wollen, gut geeignet.
Die rasanten Entwicklungen der Biotechnologie im Blick auf ihre Schnittfelder mit und Auswirkungen auf die Soziale Arbeit auszuloten, unternimmt der Sammelband Biotechnologie in Kontexten der Sozial- und Gesundheitsberufe. In vier großen Teilen wird zunächst der Problemhorizont aufgespannt (Teil 1), um von den analysierten Problemstellungen ausgehend professionelle Praxen in den Blick zu nehmen (Teil 2). Unter der Leitfrage »Welche Transformationen ereignen sich in den professionellen Praxen durch den biowissenschaftlichen Fortschritt?« (18) werden vor allem Anwendungsmöglichkeiten der Gendiagnostik erörtert und in unterschiedlichen Perspektiven (Patienten, Professionelle, Angehörige usw.) auf soziale Problemlagen befragt. Der dritte Teil untersucht disziplinäre Nachbarschaften hinsichtlich neuer Formen der interdisziplinären Kooperation, die nicht nur das (disziplinäre) Wissenschaftsverständnis verändern, sondern auch zur Annäherung der einzelnen Disziplinen führen können. Schließlich werden in Teil 4 die gesellschaftlichen Leitbilder diskutiert, die durch den bio-wis­senschaftlichen Fortschritt tangiert werden und zu neuen Entwick­lungen etwa im Bereich der sozialen Menschenbilder führen.
Der Band ist breit angelegt und versammelt eine große Zahl namhafter Autorinnen und Autoren zu einem thematischen Schnittfeld, das – wie die Herausgeber in ihrer Einführung zu Recht hervorheben – zu einem großen Teil Neuland darstellt. Zwar sind manche Aspekte der im zweiten und auch im vierten Teil behandelten Themen etwa zur Gendiagnostik oder zum autonomen Subjekt in den einschlägigen Disziplinen bereits diskutiert, jedoch in der Regel eben nicht im Blick auf deren Einbettung in die Lebenswelten der Einzelnen und die sozialen Praxen der Gesellschaft. Bezugspunkt der einzelnen Beiträge ist die im ersten Teil dargestellte Spannung zwischen der sozialpolitisch zugemuteten Eigenaktivierung des Individuums und seiner gleichzeitigen biopolitisch forcierten Optimierung mittels neuer Biotechnologien. Letztere führten dazu, dass individuelles Können und Wollen als genetisch bzw. hirnphysiologisch determiniert angesehen werden. Insbesondere das genetische Wissen fungiere dabei als Schnitt­stelle zwischen Selbst- und Sozialtechnologie. Um einer fortschreitenden Zergliederung und Optimierung des Menschen entgegen­zu­wir­ken, müssten die determinierenden Zwänge sorgfältig analysiert und zu einem interdisziplinären Forschungs- und interprofessionellen Handlungsfeld ausgestaltet werden. Hier ist anzumerken, dass die Determination menschlichen Könnens und Wollens bisweilen etwas zu unkritisch als Ausgangspunkt übernommen wird. Trotzdem führt der Band in die vielschichtigen Problemstellungen, die aus der Biologisierung des Sozialen hervorgehen, differenziert ein. So liegt ein hochspannendes Buch vor, bei dem man gern über kleine editoriale Inkonsistenzen etwa bei der Literatur­ver­arbeitung hinwegsieht und dem man eine weite Verbreitung wünscht.