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Ausgabe:

November/2011

Spalte:

1229-1231

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Halbmayr, Alois, u. Gregor Maria Hoff [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Negative Theologie heute? Zum aktuellen Stellenwert einer umstrittenen Tradition. M. Beiträgen v. J. E. Hafner, A. Halbmayr, G. M. Hoff, H. Keul, W. Sandler, Th. Schärtl u. M. Striet.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2008. 303 S. 8° = Quaestiones disputatae, 226. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-451-02226-5.

Rezensent:

Andreas Hunziker

Passend zum Erscheinungsort innerhalb der Quaestiones disputatae ist dieser Sammelband so angelegt, dass jeder der sieben Beiträge von den sechs Verfassern der anderen Beiträge kritisch kommentiert wird. Es werden auf diese Weise gezielt Vertreter (auch eine Frau ist dabei) der nachrückenden katholisch-theologischen Generation, alle sind sechziger Jahrgänge, in ein intensives Ge­spräch miteinander gebracht. Dies dient der verhandelten Sache, gibt dem Band ein einheitliches Gepräge und involviert den Leser stärker als in solchen Sammelbänden üblich in die von den Autoren geführte Debatte. Man liest den jeweiligen Haupttext, ist nach der Lektüre aber nicht allein gelassen, sondern kann seine eigene Reaktion mit denjenigen der sechs anderen Verfasser vergleichen.
Magnus Striet eröffnet den Band mit dem Beitrag Grenzen des Nicht-Sprechens. Annäherungen an die negative Gottesrede. Er be­tont die Grenzen negativen Sprechens von Gott, indem er offenbarungs- und freiheitstheologische Überlegungen miteinander verbindet (wobei er selbst sein Denken als transzendentalphilosophisch, aber nicht idealistisch charakterisiert).
Die anderen Autoren des Bandes stimmen Striets offenbarungstheologischem Einsatzpunkt weitgehend zu, heben aber auf unterschiedliche Weise hervor, dass gerade auch zu einer sich an der Bibel orientierenden konkreten Rede von Gott Figuren negativer Theologie wesentlich dazugehören. Hildegund Keul kritisiert, Striets am Idealismus orientiertem Freiheitsdiskurs mangele es an Aufmerksamkeit für die Konkretheiten der Welt.
Der zweite Beitrag »Negationes non summe amamus«. Eine sprach­analytische Annäherung an das Konzept negativer Theologie stammt von Thomas Schärtl. Auch er will wie Striet die Unsagbarkeitsthese ›domestizieren‹. Und auch wenn er in ausgeprägt sprachanalytischer Manier verfährt, in der Weise, wie er scharfsinnige Unterscheidungen mit transzendentalen Reflexionen über die Bedingungen der Möglichkeit der Rede vom Transzendenten kombiniert, besteht auch in methodischer Hinsicht eine große Nähe zu Striets Denkstil.
Der Haupteinwand gegen Schärtl lautet, dass er zu wenig unterscheide zwischen jener negativen Theologie, die von Platon über Proklos und Plotin bis zu Meister Eckhart hinreicht und jener anderen Linie über Pseudo-Dionysius und Johannes Eriugena, die in der negativen Theologie keine Alternative, sondern ein Korrektiv zu einer affirmativen Rede sieht. Letzteres entspreche doch gerade der diskriminatorischen Rolle, welche er selbst der negativen Theologie zugestehe.
Wie es der Titel Gott als Kontingenznegation. Sprachlogische und systemtheoretische Bedingungen negativer Theologie bereits sagt, argumentiert Johann E. Hafner in seinem Beitrag sprachlogisch und systemtheoretisch. Die negative Theologie dürfe nicht dazu führen, dass die Theologie ihrer Hauptaufgabe, der Unterscheidung von Transzendenz und Immanenz, nicht mehr nachkommen kann. Nicht nur Hafners systemtheoretischer Vorschlag, wie mit dieser Unterscheidung umzugehen ist, ist anregend: Der Heilige steht gleichsam quer zur Differenz von Transzendenz und Immanenz (im Sinne einer bloßen Negation des Immanenten), er ist Transzendenz von Transzendenz und Immanenz. Weiterführend sind auch seine sprachlogischen Differenzierungen zwischen verschiedenen Formen des Negierens. – Auch wenn einige Aspekte von Hafners Überlegungen kritisiert werden, insgesamt trifft sein Beitrag bei den anderen Autoren auf viel Zustimmung.
Auf die ersten drei, fundamentaltheologisch ausgerichteten Beiträge folgt mit Die offen zu haltende Mitte. Negative Theologie in dramatischer Polyperspektivität ein Text von Willibald Sandler, der stärker materialdogmatisch argumentiert. Sandler bestimmt, im Horizont der Innsbrucker dramatischen Theologie, die Funktion der negativen Theologie in Hans Urs von Balthasars Theodramatik. Dabei entwickelt er ein Verständnis von negativer Theologie, die einerseits als Kritik an falschen Positivierungen von Gottesbildern und damit als Weg zur Überwindung von religiöser Gewalt fungiert, die andererseits ihren erkenntniskritischen Zug auch nicht überspannen darf, weil sonst auch das gewaltüberwindende Potential authentischer Gottesoffenbarung verloren zu gehen droht.
Der Vorschlag, nach der Funktion der negativen Theologie für das Thema der (religiösen) Gewalt zu fragen, findet bei den anderen Autoren Zustimmung. Kritisch wird allerdings gefragt (vor allen von G. M. Hoff), ob nicht von Balthasars dramatisches Systemdenken dazu führt, dass negative Theologie zwar den Raum für den je größeren Gott offen hält, dass ihr diese Funktion aber immer nur als Teil eines schon vorausgesetzten Theorierahmens zukommt. Auch wer Sandlers Interesse an einer offenbarungstheologisch verorteten negativen Theologie teilt, sollte der negativen Theologie eine wesentlichere Rolle zumessen bei der Beantwortung der Frage, was unter (Selbst-)Offenbarung überhaupt zu verstehen ist.
Gottesrede als Einspruch. Das ideologiekritische Potential negativer Theologie, so lautet der Titel des Beitrags von Alois Halbmayr, einem der beiden Herausgeber des Bandes, in dem er die Bedeutung der negativen Theologie für die Politische Theologie herausstellt. Damit verbindet sich nicht nur die Einsicht, dass es eine Politische Theologie braucht, welche die negativ-dekonstruktive Struktur der Gottesrede stärker auch auf sich selbst anwendet. Sondern es fällt auch auf, dass er deutlich affirmativer als die meisten anderen Autoren des Bandes auf pseudodionysische Denkformen zurück­greift. Entsprechend will er zeigen, dass die negative Theologie »nicht das Gegenteil einer affirmativen oder Offenbarungstheologie, sondern ihre grundlegende Grammatik« ist, »in der das Unaussprechbare so zur Sprache und das Undenkbare so in den Gedanken kommt, dass damit die Transzendenz Gottes konstitutiv gewahrt bleibt« (195).
Vor allem auf diese Behauptung einer internen Verbindung von Offenbarungstheologie und negativer Theologie reagiert ein Teil der anderen Autoren kritisch. Während Striet die Unvereinbarkeit eines neuplatonisch verstandenen Begriffs der absoluten Transzendenz Gottes mit dem christlichen Glauben an das freie Offenbargewordensein Gottes betont, ist Schärtl nicht nur die Allianz von klassisch negativer Theologie mit poststrukturalistischen Intuitionen suspekt, sondern er fragt auch an, ob ein solch ›ausgehöhlter‹ Gottesbegriff das Anliegen der Politischen Theologie, an das kritisch-emanzipatorische Handeln Gottes in Jesus Christus zu erinnern, nicht gerade konterkariert.
Der Beitrag Gravuren der Mystik in christlicher Gottesrede. Ein genea­logischer Beitrag zur Negativen Theologie stammt von Hildegund Keul. Sie folgt der Intuition, dass die Mystik ihren Ort in konkreten Situationen der Not hat, die sprachlos machen und die die Mystik darum als negative Theologie konstituieren. Auf sehr anregende Weise interpretiert sie von da her die Erzählungen vom Leeren Grab und von der Begegnung des Auferstandenen mit Maria Magdalena im Blick auf das Leitmotiv der sich entziehenden Präsenz Gottes. –
Die Antworten auf Keuls Beitrag fallen unterschiedlich aus. Während z. B. Schärtl offen gesteht, wie fremd ihm Keuls so andersartige Diskurswelt ist, macht Hoff auf dem Hintergrund großer Zustimmung den Vorschlag, die Mystik nicht als gelebte Rückseite negativer Theologie zu verstehen, sondern die negative Theologie als Bestimmungsmodus der Mystik auf einer anderen Ebene als die mystische Erfahrung zu verorten.
Der letzte Beitrag stammt vom anderen Herausgeber des Bandes, von Gregor Maria Hoff, und trägt den Titel Hermeneutischer Gottesentzug? Das kritische Moment negativer Theologie – im Mo­dell von Augustinus’ »De trinitate«. Auch er stellt sich noch einmal dem zentralen Problem negativer Theologie, wie sich die via negativa der Gottesrede zum Bekenntnis verhält, dass sich der Gott Jesu Christi in ihm als seinem Logos ausgesprochen hat. Da die Trinitätslehre den Ort darstellt, an dem die Selbsterschließung Gottes gleichsam auf den Begriff gebracht wird, zeigt Hoff anhand von Augustinus’ Sprachkritik in »De trinitate«, inwiefern »auch die positive Theologie noch als die Fortsetzung der negativen Theo­-logie mit anderen Mitteln« zu verstehen ist (275). Auch wenn das Unsagbare dadurch hermeneutisch nachvollziehbar wird, dass quasi transzendental ein Gottesbezug in der Struktur des menschlichen Bewusstseins angelegt ist, wird nur der Sohn zur erkenn­-baren Größe, während sich die negative Theologie auf Gottvater bezieht.
Striet erhebt Einspruch gegen Hoff, indem er nochmals anmahnt, dass das epis­temologische Axiom der Unaussprechlichkeit Gottes unausgewiesen bleibe; Schärtl fragt nach dem genaueren Ort der negativen Theologie in der Trinitätslehre; Hafner hält fest, dass das zweiwertige Christuszeichen nicht negativ-theologisch aufzufassen ist; Sandler zeigt mit Rückbezug auf Augustinus auf, wie von Hoffs hermeneutischem Zugang zur negativen Theologie weiter in Richtung einer dramatischen Polyperspektivität weitergegangen werden könnte; Halbmayr pflichtet Hoff bei und weist darauf hin, dass an dessen Überlegungen religionstheologisch angeknüpft werden könnte; grundsätzlich zustimmend ist auch Keuls Antwort gemeint, allerdings möchte sie den konkreten Ort der (negativen) Rede von Gott deutlicher herausgearbeitet haben.
Dem Band gelingt es, den offenen Diskussionsprozess der sechs Autoren und der Autorin so zu dokumentieren, dass ich als Leser nicht nur über die gegenwärtige (katholisch-theologische) Diskussionslage um den Problemkomplex der negativen Theologie orientiert werde, sondern durch die kontrovers geführte Diskussion zugleich zum eigenen Nachdenken angeregt werde. Vereinfacht gesagt geht es in dieser Diskussion um den Streit, wie mit der Spannung zwischen der negativ-theologischen Emphase auf der Unsagbarkeit Gottes einerseits und dem (nicht infrage gestellten) Bekenntnis zur unüberbietbaren Selbsterschließung Gottes in Jesus Christus andererseits umgegangen werden soll. Uns begegnen dabei zwei Antworttypen: Auf der einen Seite wird die Unsagbarkeitsthese offenbarungstheologisch weitgehend eingeschränkt, auf der anderen Seite steht die Annahme, dass die negative Theologie geradezu die Grammatik der Offenbarungstheologie darstellt. Über das Thema der negativen Theologie hinaus habe ich als Theo­loge mit protestantischem Hintergrund überdies den Eindruck, durch die Lektüre des Bandes einen Einblick in aktuelle Entwick­lungen innerhalb der katholischen Systematischen Theologie gewonnen zu haben. Dass mir dabei aufgefallen ist, wie wenig auf die protestantische Theologie Bezug genommen wird, ist eine Sache. Vor allem aber hätte ich mir an einigen Stellen eine direktere und ausführlichere Auseinandersetzung mit der gegenwärtig lebhaft geführten Diskussion um die negative Theologie innerhalb der Philosophie gewünscht, auf die in der Einleitung der Herausgeber relativ ausführlich Bezug genommen wird. Vielleicht hätte dies geholfen, in das ziemlich stabile Gegenüber der genannten zwei Antworttypen eine gewisse Bewegung zu bringen – nicht, um die (fundamental)theologische Diskussion durch die philosophische zu ersetzten, sondern um im Gespräch mit Letzterer sich darüber klarer zu werden, was mit den verschiedenen Grundoptionen jeweils theologisch auf dem Spiel steht.