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Ausgabe:

November/2011

Spalte:

1217-1219

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Gerber, Uwe, u. Rudolf Hoberg [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Sprache und Religion.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2009. 362 S. gr.8°. Geb. EUR 59,90. ISBN 978-3-534-21758-8.

Rezensent:

Philipp Stoellger

R. Hoberg eröffnet den Band mit einführenden Überlegungen zu »Sprache und Religion« aus sprachwissenschaftlicher Sicht (9–12) entlang von 1Kor 14,10: »Es gibt wer weiß wie viele Sprachen in der Welt, und nichts ist ohne Sprache«. Dekontextualisiert dient der Satz als Leitfaden einiger grundsätzlicher Sprachreflexionen: dass Theologie und Religion immer an bestimmte Sprachen »gebunden« seien (9). Darin gründet die hier vorgelegte Kooperation von Theologie und Sprachwissenschaft, wenngleich die beiden Grundbegriffe »schwierig zu bestimmen« seien (11, der Vf. schlägt eine Orientierung am »Religionsmonitor« 2008 vor).
Vor diesem – wenig geklärten – Hintergrund steht der Beitrag von U. Gerber »›Religion und Sprache‹ in theologischer Reflexion« (13–24). »Religion manifestiert sich in den Sprachfiguren des (Gründungs-)Mythos, des Ritus und des Gebotes« (13, nur in diesen oder in welchen noch?). Es folgt nicht weniger als ein Durchgang von Israel über die griechische Philosophie, das »werdende Christentum« und die »anschließende Theologie« (die »doketisch bleibt«, 9) zum »Wort Gottes« und der Frage, ob die Theologie den linguistic turn mitvollziehe. All at once auf neun Seiten Text, gleichwohl mit vielen guten Hinweisen und Fragen wie: »Wird das Wortgeschehen zwischen Gott und Mensch durchgängig passiv-asymmetrisch gesehen … oder wird ein asymmetrischer Initialzuspruch Gottes angenommen, auf den der Mensch dann in Freiheit symmetrisch antwortet?« (20 f.)
A. U. Müller erörtert »Sprache und Transzendenz« (25–40), in­dem er anhand von I. Bachmann fragt, ob »überhaupt ein Weg von der Sprache zur Erfahrung von Transzendenz« führt (25, ja: »Die Sprache kommt aus dem unsagbaren Ursprung der Zeit und rührt an diesen«, 33). Mit E. Levinas fragt er weiter, ob Religion als »sinn- und bedeutungsstiftendes Sprachereignis« zu verstehen sei, auf das alles Sprechen zurückverweise (25), was gleichfalls mit ja beantwortet wird, allerdings mithilfe einer normativen Differenz im Religionsbegriff (mit Casper, 38 f.).
E. Arens entfaltet unter dem Titel »Religiöse Sprache und Rede von Gott. Sprechhandlungstheoretische und kommmunikationstheologische Überlegungen« (41–60) eine pragmatistische Perspektive auf das Thema anhand der Sprechhandlungen »Beten«, »Verkündigen«, »Bezeugen« und »Bekennen« (48 ff.). Inklusiv gilt »Rede zu Gott« als Anrede Gottes, maßgeblich im Gebet (51 f.). »Rede von Gott« ist die entsprechende Formulierung für die Reflexionssprache der Theologie (52 ff.). Von beiden unterscheidet Arens »Rede vor Gott«, in der beide Reden loziert werden als »Verortung und Verständigung« (54 f.).
D. Krochmalnik gibt mit »Die Lehre vom vierfachen Schriftsinn in Judentum und Christentum« (61–82) einen Überblick zur jüdischen wie christlichen Hermeneutik des Mittelalters. W. G. Jeanrond führt das in seinem Beitrag »Textverstehen in der christlichen Tradition« (83–102) in christlicher Perspektive weiter mit seiner texttheoretisch orientierten Hermeneutik im Anschluss an Ga­-damer.
Nach diesen grundsätzlich angelegten Beiträgen folgen diverse Einzelstudien, deren Auswahl und Abfolge leider nicht näher dargelegt wird: H. Eilers, Deutsche Bibelübersetzung im Mittelalter (103–116); R. Stolze, Die Sprachform nachreformatorischer Bibelübersetzungen (117–164); A. Greule, Sprache und Liturgie (165–180); D. Plüss/A. Bieler, Der Klangraum des Wortes. Die performative Gestalt liturgischer Sprache (181–194); I. Nord, Die Konstruktion der Wirklichkeit. Zur Bedeutung virtueller Realitäten für die homiletische Dis­kussion (195–212); G. Janner, Religiöse Jugendsprache – eine Hypothese (213–236); G. Langenhorst, »… schön, geheimnisvoll, voller Zauber und Kraft …« (Ulla Hahn). Beerbung und Gestaltung religiöser Sprache in der Gegenwartsliteratur (237–258); Chr. Quarch, Mit bloßem Haupt unter Gottes Gewittern. Über die Sprache der Mystik und die Mystik der Sprache (317–338; leider ohne Bezug auf R. Margreiter, Erfahrung und Mystik. Grenzen der Symbolisierung, Berlin 1997); H. Kämper, Quasi-religiöse Sprache am Beispiel des Nationalsozialismus (339–358).
A. Mauz zeigt in seinem Beitrag »Offenbarungserzählung, heiligende Texte. Zur poetologischen Rekonstruktion eines Modus esoterisch-religiöser Sprache« (259–280) ausgezeichnet, welche Trenn- und Tiefenschärfe ein literaturwissenschaftlicher Zugang für religiöse Texte bieten kann. Er sucht, in Ansätzen die »Erzählgrammatik der Offenbarung« zu analysieren (263 ff.), wie er an (recht speziellen) Beispielen ausführt. Daraus ergibt sich eine Art Offenbarungsanspruchsanalysetechnik, die auch im Blick auf (andere) theologische Texte erhellend werden dürfte. S. Berg, »Musik – Sprache – Religion. Orientierung in zwielichtigen Zonen« (281–300), überschreitet den Fokus des Themenbandes mit musikwissenschaftlichem Blick, um sich in einem Feld zu orientieren, das meist unbeachtet bleibt. Dafür dient ihm der Begriff der Orientierung (mit W. Stegmaier) in der »zwielichtigen Zone« (mit B. Waldenfels) zwischen Sprache und Musik (292 ff.). F. Pilgram-Frühauf überschreitet schließlich nochmals den Rahmen des Bandes mit ihren hermeneutisch weiterführenden Überlegungen zum Schweigen, gleichsam einer Hermeneutik des Ungesagten, einer »Sigetik«: »›Religiöse Inhalte, die im Schweigen sich bergen‹. Über eine hermeneutische Herausforderung« (301–316; vgl. dies.: »Sagen kann man es nicht«. Spannungsfelder des Schweigens im autobiographischen, literarischen und theologischen Werk von William Wolfensberger [1889 – 1918], Zürich 2008).
Der Band versteht sich als »Grundlagenbuch für theologisch und linguistisch Interessierte« und ist »besonders für den Hochschul- und Schulbereich konzipiert« (7). Nicht alle Beiträge werden dafür einschlägig sein und manche Aspekte des Themas wird der Lesende wie Lehrende vermissen. Gleichwohl finden sich hier wichtige Grundpositionen kurz und knapp dargestellt und einige sehr erhellende Einzelstudien, die über den Rahmen des Üblichen innovativ hinausführen.