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Ausgabe:

November/2011

Spalte:

1213-1215

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Dalferth, Ingolf U., and Hartmut von Sass [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Contemplative Spirit. D. Z. Phillips on Religion and the Limits of Philosophy.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. XVI, 303 S. gr.8° = Religion in Philosophy and Theology, 49. Kart. EUR 64,00. ISBN 978-3-16-150505-8.

Rezensent:

Oliver Wiertz

Der 2006 gestorbene walisische Philosoph D. Z. Phillips gehörte zu den bedeutendsten und kontroversesten englischsprachigen Religionsphilosophen der Gegenwart. Stark geprägt von der Philosophie Wittgensteins und dessen Schülers Rush Rhees, schwamm er beharrlich gegen den Hauptstrom der sog. analytischen Religionsphilosophie. Seit den späten 90er Jahren des 20. Jh.s propagierte er ausdrücklich eine kontemplative Form der (Religions-)Philosophie. Der zu besprechende Sammelband, der aus einer 2008 am Institut für Hermeneutik und Religionsphilosophie an der Universität Zürich veranstalteten Konferenz hervorgegangen ist, widmet sich D. Z. Phillips’ Konzeption einer kontemplativen Religionsphilosophie. Kontemplative Philosophie entsteht aus dem Staunen über die Welt und sucht deren Vielgestaltigkeit gerecht zu werden. Dies erfordert einen permanenten Kampf gegen unsere (philosophische) Verwirrung mit ihrer Tendenz, wichtige Unterschiede einzuebnen, z.B. zwischen religiösem Glauben und philosophischer Reflexion über Glauben, zwischen Philosophie und Apologetik, zwischen der religiösen und der nichtreligiösen Verwendung eines Ausdrucks. Ein wichtiges Mittel im Kampf gegen diese Verwirrung besteht in der Infragestellung unserer philosophischen Voraussetzungen und in der argumentativen Herausarbeitung alternativer Möglichkeiten (z. B. der Deutung eines Phänomens) – ohne selbst für eine bestimmte Position zu argumentieren, sondern aus einer kühl-distanzierten Perspektive sich Übersicht zu verschaffen (D. Z. Phillips, Philosophy’s Cool Place, 1999).
Nach Ingolf U. Dalferths Einleitung, in der er u.a. auf Unklarheiten in Phillips’ Verwendung des Begriffs der Möglichkeit hinweist, bearbeiten die zu drei Themenkreisen gruppierten Beiträge unterschiedliche Aspekte des Themas einer Kontemplativen Religionsphilosophie.
Der erste Teil (E. Herrmann, H. Strandberg, P. Horn, H. von Sass) erörtert Phillips’ Religionsphilosophiekonzeption. P. Horn und H. von Sass vertreten eine unterschiedliche Einschätzung der Kontinuität von Phillips’ Auffassung und Ausübung von (Religions-)Philosophie und Rush Rhees’ Bedeutung für Phillips. Während Horn den permanenten Einfluss von Rhees auf Phillips und die Kontinuität von Phillips’ Religionsphilosophie betont, sieht von Sass Phillips’ Verwendung des Begriffs der kontemplativen Philosophie als Zeichen eines durch eine Relektüre der Werke von Rhees ausgelösten religionsphilosophischen Neuansatzes.
Der zweite Teil (T. D. Carroll, K. v. Stosch, M. Rodgers) widmet sich der kritischen Bewertung der weitverbreiteten Einschätzung von Phillips’ kontemplativer Religionsphilosophie als fideistisch und antirealistisch. Keiner der drei Autoren stimmt dem Fideismus- und Antirealismusvorwurf einfachhin zu, auch wenn K. v. Stosch Phillips zumindest in bedenklicher Nähe zu einem religionsphilosophischen Relativismus sieht.
Im dritten, umfangreichsten, Teil gehen die Autoren Phillips’ kontemplativer Behandlung einzelner religionsphilosophischer Themen, wie des kognitiven Status religiöser Sprache oder der Kategorie des religiösen Geheimnisses, nach. Teilweise finden sich in den Texten Verbindungen zu Artikeln im ersten und zweiten Teil. Besonders instruktiv ist der differenzierte Beitrag von P. F. Bloemendaal zum Unterschied zwischen wahrem Glauben und Aberglaube und der Entwicklung dieser Unterscheidung in Phillips’ Werk. Der Begriff des Aberglaubens spielt eine wichtige Rolle in Phillips’ Kritik an »traditionellen« Auffassungen religiösen Glaubens und der Aufgabe der Religionsphilosophie: Die kognitivistisch-faktizistische Interpretation zumindest mancher religiöser Sätze (manche religiöse Sätze machen Aussagen über Tatsachen) führe zu einer Deformation religiösen Glaubens, zu Aberglaube. Bloemendaal steht Phillips’ Verwendung des pejorativen Begriffs des Aberglaubens prinzipiell kritisch gegenüber, da er Phillips’ Unterscheidungskriterien zwischen wahrem religiösen Glauben und Aberglaube für problematisch hält und ein pejorativer Gebrauch von ›Aberglaube‹ Phillips’ kontemplativer Auffassung von Philosophie widersprechen würde.
A. Kraal teilt Bloemendaals Kritik am Vorwurf des Aberglaubens an kognitivistische Theorien, sucht aber in seinem Beitrag zur Kontroverse zwischen Phillips und Swinburne über den semantischen Status religiöser Sprache nach einer via media zwischen den Kontrahenten, indem er Phillips’ Darstellung religiöser Sprache als angemessen für naturalistisch ausgerichtete Versionen des Christentums anerkennt, aber nicht als universal gültige Interpretation des semantischen Status religiöser Sprache schlechthin (170). Religionsphilosophische Kognitivisten wie Swinburne können sich mit diesem »Kompromissvorschlag« sicher zufrieden geben, da sie nicht jede Form religiösen Sprechens kognitivistisch interpretieren. Phillips kann sich nach meiner Einschätzung allerdings nicht mit diesem Kompromiss abfinden, da in seinen Augen der kognitivistische Standpunkt auf einem grundsätzlichen Irrtum bzw. einer tiefgreifenden Verwirrung über Kontext und »Grammatik« religiöser Sprache beruht: Eine kognitivistische Theorie religiöser Sprache lässt notwendig Religion als Aberglaube erscheinen, aber Religion und Aberglaube sind miteinander strikt unvereinbar.
R. Ramal dagegen verteidigt in seinem Artikel zum Fehlschluss der logischen Umkehrung Phillips’ Unterscheidung zwischen wahrem Glauben und Aberglaube.
Die Autoren nehmen keine unkritische Haltung gegenüber Phillips ein und sind in diesem Sinn nicht als Mitglieder einer religionsphilosophischen Schule zu bezeichnen. Allerdings fallen nach der Lektüre einige philosophische Positionen auf, die eher im Umkreis von Phillips’ kontemplativer Philosophie anzutreffen sind als im Mainstream der zeitgenössischen analytischen Religionsphilosophie bzw. diesem widersprechen. Dazu zählen u. a. eine Reserve gegenüber einem realistisch-korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriff und einem ontologisch-metaphysischen Realismus, gegenüber dem epistemologischen Fundationalismus, dem religionsphilosophischen Theismus und der Legitimität des Versuchs, diesen angesichts der Übel in der Welt theoretisch zu rechtfertigen. Daher unterscheidet sich diese Textsammlung insgesamt deutlich von Texten innerhalb des Hauptstroms der analytischen Religionsphilosophie. Diese zum Teil prinzipiellen Unterschiede dürften auch in Zukunft das Gespräch zwischen einer (in Phillips’ Sinn) kontemplativen Religionsphilosophie und der analytischen Religionsphilosophie erschweren, was verhindert, dass beide »Richtungen« sich gegenseitig auf jeweils übersehene »Möglichkeiten« hinweisen können.
Insgesamt bietet der Band eine hervorragende Einführung in das Thema einer Kontemplativen Philosophie und in die Diskussion der Möglichkeiten und Probleme einer solchen Art der Religionsphilosophie.
Allerdings kann m. E. keiner der Beiträge den für Phillips’ kontemplative Philosophie konstitutiven Zusammenhang zwischen einem inhaltlichen Standpunkt in philosophischen Auseinandersetzungen und der Gefährdung der Offenheit für neue Möglichkeiten plausibel machen. Gegen Phillips lässt sich einwenden, dass auch seine kontemplative Philosophie einen Standpunkt darstellt, der andere Möglichkeiten sowohl in methodologischer Hinsicht (z. B. eine Religionsphilosophie à la Swinburne oder Plantinga oder eine Richtung, wie die neue analytische Theologie) wie auch in in­haltlicher Hinsicht (z. B. den epistemologischen Fundationalismus oder einen eindeutigen religionsphilosophischen Kognitivismus bzw. Realismus) ausschließt.
Auf die mögliche Verteidigung von Phillips’ Verständnis kontemplativer Philosophie, dass dessen Standpunkt gerade kein inhaltlicher sei, sondern eher eine Positionierung zweiter Ordnung darstelle, also ein Votum für eine be­stimme Form der Religionsphilosophie, aber nicht für bestimmte religionsphilosophische Thesen erster Ordnung (z. B. über be­stimmte Eigenschaften Gottes oder die Validität von Gottesbeweisen), könnte man entgegnen, dass diese Grenzlinie erstens zumindest teilweise nicht sauber gezogen werden kann (Ist Phillips’ Ablehnung des theistischen Gottesbegriffs eine These erster oder zweiter Ordnung?) und dass zweitens religionsphilosophische Positionen zweiter Ordnung nicht völlig unabhängig von Thesen erster Ordnung begründet werden können: Ob man einer kognitivistischen oder einer nichtkognitivistischen religionsphilosophischen Standpunkt den Vorzug gibt, hängt zumindest teilweise damit zusammen, welche inhaltlichen Positionen erster Ordnung man auf dem Gebiet der Semantik und bei der genaueren Bestimmung der Transzendenz Gottes vertritt.
Vertrautheit mit den gegenwärtigen Diskussionen innerhalb der analytischen Religionsphilosophie (und Erkenntnistheorie) erleichtern sicherlich das Verständnis mancher Beiträge.