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Ausgabe:

November/2011

Spalte:

1205-1206

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Lee, Nam Kyu

Titel/Untertitel:

Die Prädestinationslehre der Heidelberger Theologen 1583–1622. Georg Sohn (1551–1589), Herman Rennecherus (1550–?), Jacob Kimedoncius (1554–1596), Daniel Tossanus (1541–1602).

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009. 211 S. gr.8° = Reformed Historical Theology, 10. Geb. EUR 84,95. ISBN 978-3-525-56870-5.

Rezensent:

Christoph Strohm

Die Untersuchung von Nam Kyu Lee nimmt mit der Prädestinationslehre ein Thema in den Blick, dem im Zusammenhang der reformierten Konfessionalisierung eine besondere Bedeutung zu­kommt. Denn hier zeigen sich sowohl Übereinstimmung und Abgrenzung im Vergleich zu Melanchthon als auch die Reichweite des Einflusses Calvins. Eng an der Sekundärliteratur orientiert wird ein Überblick über die Grundlinien der konfessionellen Orientierung der Kurpfalz, wichtige theologische Entwicklungen und Auseinandersetzungen sowie die Situation und Akteure in der Theologischen Fakultät gegeben.
Zu Recht geht der Vf. dabei mehrfach auf die Vorgaben Me­lanchthons und Calvins ein. Im Anschluss werden die Schriften der hauptsächlichen Autoren, die in Heidelberg über die Prädestination geschrieben haben, eingehend untersucht. Es handelt sich dabei um Georg Sohn, Herman Rennecherus, Jacob Kimedoncius und Daniel Tossanus. Der detaillierten Textanalyse der relevanten Schriften der behandelten Autoren werden jeweils grundlegende biographische Informationen vorangestellt. Ein abschließender Teil erörtert den Beitrag kurpfälzischer Theologen zur Dordrechter Synode. Eine Zusammenfassung der vielfältigen Beobachtungen und Ergebnisse wird darüber hinaus nur in Ansätzen gegeben (193–195: »Evaluation«). Man hätte hier noch Konsequenzen im Blick auf die Frage nach den Mechanismen reformierter Konfessionalisierung und vor allem auf die Frage eines vergleichsweise eigenständigen Heidelberger Reformiertentums (früher: »Deutschreformierte«) entfalten können. Die Ergebnisse der detaillierten Text­-analyse wären in den historischen Kontext einzuzeichnen. Ist die spezifische Gestalt des reformierten Protestantismus in der Kurpfalz seit den 1560er Jahren aus der Situation eines exemplarischen Miteinanders von melanchthonisch-landeskirchlichen Traditionen und den der Verfolgung in Westeuropa entronnenen Flüchtlingsgemeinden zu erklären?
Wesentlicher Ertrag der Untersuchung ist es, die Pluralität der Prädestinationslehren der Heidelberger Theologen herausgearbeitet zu haben. Es finden sich sowohl infralapsarische als auch supralapsarische Modelle. Rennecherus, Kimedoncius und Sohn argumentieren eher infralapsarisch, Daniel Tossanus supralapsarisch. Auch die Begründung für die Ablehnung der Remonstranten in den Beschlüssen der Dordrechter Synode 1618/19 ist unterschiedlich. So beruft sich David Pareus bei seiner Kritik an den Remonstranten auf den Trost im Leben und im Sterben, wie er am Beginn des Heidelberger Katechismus als Leitmotiv formuliert wird. Durch die Lehre der Remonstranten werde der Trost im Leben und im Sterben schwach oder nichtig. Neben Gottes Ruhm sei der Trost der Grund, weshalb die Prädestinationslehre gepredigt werden müsse. Auffällig ist die Tendenz, die Unterschiede der Prädestinationslehre Luthers, Melanchthons und Calvins einzuebnen. In den Auseinandersetzungen mit den Lutheranern betonten die Heidelberger Theologen, dass die Prädestinationslehre keine innerprotes-tantische Differenzlehre sei. Luther habe dieselbe Ansicht wie sie vertreten und auch zur Prädestinationslehre Melanchthons sahen sie keinen Unterschied. Man wollte sich auch nicht als Calvinisten bzw. Calvin-Anhänger bezeichnen lassen, da man bestrebt sei, sich auf die Bibel zu berufen, nicht auf menschliche Namen (vgl. 194). Die strenge Orientierung an der Bibel führt zu einer gewissen Zurückhaltung in der Entfaltung spezifischer Aspekte der Prädes­tinationslehre. So wird die Rede von der doppelten Prädestination nur äußerst zurückhaltend aufgenommen.
Der Vf. hat das Thema gut nachvollziehbar abgehandelt. Die sprachliche Darstellung ist für einen Nicht-Muttersprachler ausgezeichnet, hätte aber an manchen Stellen Verbesserungen verdient (z.B. 194: »Unterscheidung zwischen dem verschlossenen und dem offenbarten Willen Gottes«; richtig: »verborgenen«). Gleichwohl ist dem Vf. eine deutlich über den bisherigen Forschungsstand führende Darlegung der Heidelberger Prädestinationslehre um die Wende vom 16. zum 17. Jh. gelungen. Die Nuancen im Werk der verschiedenen Autoren, insbesondere im Vergleich zu Melanchthon und Calvin, werden herausgearbeitet. Offen bleibt, was diese Ergebnisse für die Charakterisierung der »reformierten Konfessionalisierung« bedeuten.