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Ausgabe:

November/2011

Spalte:

1198-1199

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Bumazhnov, Dmitrij

Titel/Untertitel:

Visio mystica im Spannungsfeld frühchristlicher Überlieferungen. Die Lehre der sogenannten Antoniusbriefe von der Gottes- und Engelschau und das Problem unterschiedlicher spiritueller Traditionen im frühen ägyptischen Mönchtum.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2009. XII, 308 S. gr.8° = Studien und Texte zu Antike und Christentum, 52. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-149729-2.

Rezensent:

Heinrich Holze

Es handelt sich bei der anzuzeigenden Untersuchung um eine im Sommer 2007 von der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen angenommene Habilitationsschrift, die auf Anregung von Luise Abramowski und Stephen Gerö entstanden ist. Dmitrij Bumazhnov setzt sich darin kritisch mit den bislang vorliegenden Erklärungen zum Ursprung und zur Gestalt des frühen ägyptischen Mönchtums auseinander und unternimmt den Versuch eines neuen Interpretationsansatzes. Den Ausgangspunkt bilden das Problem unterschiedlicher Traditionen im frühen ägyptischen Mönchtum und die Kontroverse um die Frage, welchen Einfluss die Theologie des Origenes gehabt habe.
Von zentraler Bedeutung sind die sieben sog. Antoniusbriefe und ihre Lehre von der Gott- und Engelschau. Der Lundenser Pa-tris­tiker Samuel Rubenson hatte 1990 in seiner Untersuchung der Antoniusbriefe deren Authentizität und damit die These vertreten, dass der große ägyptische Mönchsvater keineswegs illiterat und des Griechischen unkundig, sondern vielmehr in der gelehrten alexandrinischen Tradition bewandert und mit der Theologie des Origenes vertraut gewesen sei. B. stellt diese These, die in den letzten Jahren mit viel Zustimmung bedacht wurde, infrage, indem er die Konzeption der Antoniusbriefe in ihrem geschichtlichen und ideengeschichtlichen Kontext mit Blick auf die in ihnen entwickelte mystische Schau entfaltet und dazu insbesondere auf die Briefe des Hl. Ammonas, eines Schülers des Antonius, verweist. B. argumentiert, es habe im ägyptischen Mönchtum des ausgehenden 4. Jh.s zwei Mönchsgruppen gegeben, die sog. Anthropomorphiten sowie die Anhänger des Origenes, die sich in der Auffassung vom Gebet und den damit verbundenen mystischen Erfahrungen der Engel- und Gottesschau unterschieden und selbstständige, voneinander unabhängige Traditionen repräsentiert hätten. In beiden Traditionen, zum einen der biblischen, zum anderen der christlich-platonischen Tradition, sei die Frage der Möglichkeit einer unmittelbaren Augenschau Gottes unterschiedlich beantwortet worden. Der vorherrschende Konsens, der in den Briefen ein Werk des in der origenistischen Theologie gebildeten Hl. Antonius sieht, wird darum nicht vollständig, aber doch insoweit in Frage gestellt, als B. den Nachweis führt, dass die Antoniusbriefe in den genannten Fragen unterschiedliche Anliegen vertreten und darum wohl auch unterschiedliche Autoren haben, wobei Antonius nur als Autor des ersten nach ihm benannten Briefes infrage komme.
B. gliedert seine Untersuchung in vier Schritte, in denen er eine theologische Analyse der Antoniusbriefe vornimmt. Kapitel 1 behandelt das Verständnis von Schöpfung, Sündenfall und Erlösung in den Antoniusbriefen. Demnach vertreten die Briefe die Vorstellung einer doppelten Schöpfung des Menschen, in der die rationale Natur nach dem Urbild Gottes des Vaters erschaffen, dann aber nach einem als Sündenfall gedeuteten Kontakt mit dem Bösen in einem zweiten Schöpfungsakt mit einem materiellen Leib umkleidet und dadurch sich selbst entfremdet wird, woraus die Notwendigkeit der Erlösung erwächst, die als Befreiung der geistigen Substanz aus dem Leib verstanden wird. Daran anknüpfend untersucht Kapitel 2 die Lehre der Antoniusbriefe über die Gottesschau, wobei zwischen der rein mentalen Gottesschau, die mit der Erkenntnis Gottes durch den Glauben zusammenfällt, und der mystischen Schau Gottes, die große Ähnlichkeit mit der Theologie des Origenes aufweist, unterschieden wird. Kapitel 3 geht auf Äußerungen in den Antoniusbriefen ein, die die Unmöglichkeit betonen, Gott und die bösen Engel mit den Augen des Leibes zu sehen. Dies wird als Ausdruck der Polemik gegen die in den mo-nastischen Kreisen Ägyptens verbreitete visionäre Frömmigkeit gedeutet. Kapitel 4 bietet schließlich eine Analyse der Antoniusbriefe und ihrer Gedanken zur visio mystica im Kontext des frühen ägyptischen Mönchtums und im Zusammenhang mit christlich-platonischen Denktraditionen.
B. erwies sich bereits in seiner Dissertation »Der Mensch als Gottes Bild im christlichen Ägypten« (Tübingen 2006) als kundiger Interpret des frühchristlichen Ägypten. Darin untersuchte er zwei koptische Quellen des 4. bis 5. Jh.s, die Auslegungen zu Gen 1,26 bieten: die auf Melito von Sardes zurückgehende Homilie »De anima et corpore« und die Vita des Aphu von Pemdje (Oxyrhynchos). Beide Texte analysierte er in Hinblick auf den 1. Origenistischen Streit in Ägypten (spätes 4. Jh.), in dem zwei Mönchsparteien – die Nachfolger des alexandrinischen Theologen Origenes und die sog. An­thropomorphiten – gegeneinander standen und darum stritten, ob man Gott in der Nachfolge der alttestamentlichen Gottesvisionen als Menschen sehen könne. Die vorliegende Arbeit nimmt die in der Dissertation aufgeworfenen Fragen auf und prüft sie nun an den Antoniusbriefen. Dadurch weitet B. die Perspektive und es gelingt ihm, das Bild des frühen ägyptischen Mönchtums zu differenzieren. Nebenbei bietet er hinsichtlich der Autorschaft der Antoniusbriefe neue Gesichtspunkte, die den bisherigen Konsens der Echtheit der sieben Briefe infrage stellen. Die Arbeit ist in den renommierten »Studien und Texte(n) zu Antike und Christentum« erschienen. Ihr sind viele Leserinnen und Leser aus der Fachwelt zu wünschen.