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Ausgabe:

November/2011

Spalte:

1188-1190

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hill, Jonathan

Titel/Untertitel:

Dictionary of Theologians to 1308.

Verlag:

Cambridge: Clarke 2010. 588 S. 4°. Kart. £ 60,00. ISBN 978-0-227-67970-8.

Rezensent:

Markus Vinzent

Dieses Nachschlagewerke ist ein wagemutiges Unternehmen, vielleicht am ehesten vergleichbar mit Friedrich Wilhelm Bautz’ ursprünglichem Versuch eines Ein-Autoren-Lexikons mit dem Anspruch auf wissenschaftliche Tiefe, Detailgenauigkeit und Umfänglichkeit. In dem im Jahr 1975 herausgegebenen ersten Band des Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikons (BBKL) no­tierte Friedrich Wilhelm Bautz: »An der Bearbeitung und Herausgabe … sind keine Mitarbeiter beteiligt« (V), doch 1990, 15 Jahre später, schrieb sein Sohn Traugott Bautz: »Nach dem Tod des früheren alleinigen Herausgebers und Bearbeiters Friedrich Wilhelm Bautz im Jahre 1979 mußte die Fortführung des Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikons über mehrere Jahre hin ruhen, bis … neue Mitarbeiter gefunden werden konnten.« (V) Wie so oft liegen Stärken ganz nahe bei Schwächen. Bautz hatte seine Pionierarbeit gerade um vier Jahre überlebt und sein Sohn hatte erkannt, dass ein solches Projekt auf breite Beine gestellt werden muss, da niemand allein die entsprechenden Fachkenntnisse, Zeit und Kraft aufbringen kann, um das Gesamtfeld der Kirchenhistorie in dieser Kenntnisbreite zu bearbeiten. Seither hat er eine Vielzahl von Kolleginnen und Kollegen gewinnen können, die das BBKL zu einem kleinen theologischen Vorgänger von Wikipedia mutieren ließen, das sich wegen seiner bibliographischen Aktualität und Weite auch neben dem großen Internetnetzwerk behauptet und wohl auch in Zukunft bestehen wird. Auch wenn das BBKL wegen seiner Deutschorientierung keinen entsprechenden Wirkungskreis im englischsprachigen Bereich hat, stellt sich doch die Frage, ob in der Zeit des Internets sich noch ein Printprodukt durchsetzen kann, das sich zwischen Wikipedia und BBKL positioniert.
Jonathan Hill versucht das und legt mit seinem Dictionary of Theologians einen Überblick vor, der von den Apostolischen Vätern (die kanonischen Autoren und Schriften sind ausgeschlossen) bis ins Jahr 1308 reicht. Er endet mit Duns Scotus, »the last great thinker of thirdteenth-century scholastic theology« (221). Ob der Vf. Dietrich von Freiberg und Meister Eckhart dem 14. Jh. zuordnen will? Es ist ein schwerer Band von 588 Seiten, der gewissermassen einen Bautz für den englischsprachigen Bereich darstellen soll: unterschiedlich lange Artikel, entsprechend der Gewichtung und Bedeutsamkeit mit reicher Primär- und Sekundärliteratur. Bei Thomas von Aquin finden sich etwa mehr als sechs Seiten Literaturhinweise, bei Augustinus fast acht Seiten! Bei der Auswahl wird jedoch nicht deutlich, warum diese und nicht andere Titel ausgewählt wurden, speziell was nicht-englischsprachige Einträge betrifft. Warum etwa sind bei Apollinarius von Laodicea die Fragmente von E. Mühlenberg aus den Psalmenkatenen ediert angegeben, jedoch nicht die von K. Staab aus den Pauluskatenen edierten Fragmente?
Der Gesamtband kann natürlich nicht allein aus eigener Fachkenntnis heraus erwachsen sein. Seit seinem Magister der Theologie am Oriel College, Oxford, hat sich der Vf. vielfältig in den Bereichen Funk und Publikation hervorgetan und dem breiten Publikum entsprechende Bücher vorgelegt wie Faith in the Age of Reason (2004), What has Christianity Ever Done for Us? (2005) und, fast ein gewisser Vorreiter zu dem jetzt vorgelegten Werk, The His­tory of Christian Thought (2003) »for the completely unin­i­tiated« (7).
Bereits der erste Artikel zu ›Aba I (catholicos)‹ († 552), zu dem es übrigens noch keinen Eintrag im BBKL gibt, liest sich als zum Teil literarische Kurzfassung von der als Sekundärliteratur angegebenen konzisen Geschichte von W. Baum und D. Winkler, ›The Church of the East‹ (2003), wobei man sich wundert, dass aus dieser Vorlage gerade der Teil ausgelassen wurde, der auf die theologischen Inhalte des ehemaligen Zoroastrischen Sekretärs des Persischen Gouverneurs von Beth Garmai zu sprechen kommt, und das, obwohl in der Einleitung herausgestellt wurde, dass der Vf. bei den einzelnen Personen auf deren »contribution to the development of Christian theology« abheben wollte (7). Bei Baum/Winkler (34) liest man denn, dass Aba »die Heilsökonomie, beginnend mit der Schöpfung, durch Leben, Tod und Auferstehung Jesu, der Sendung des Heiligen Geists und bis zum Ende der Welt beschrieben hat«, dabei jedoch jede technisch-christologische Formulierung bewusst vermieden hatte. Im zweiten Eintrag, dem Artikel zu ›Abbo of Fleury‹ (c. 950–1004), hätte der Vf. besser die jüngste von ihm angeführte Sekundärliteratur zu Rate gezogen, um die Biographie von Abbo zu skizzieren. Nach E. Dachowski wurde Abbo nicht, wie der Vf. angibt, durch seine Eltern »presented … as an oblate to the abbey of St. Benedict at Fleury« (10), sondern »although Abbo’s parents may have intended a monastic, or at least ecclesiastical, career for him, they may also have wished merely to give him an opportunity to succeed in northern Europe’s increas­ingly literate culture« (E. Dachowski, First among abbots: The career of Abbo of Fleury, Washington DC 2008, 35). Gerade die kritische Auseinandersetzung mit theologischen Inhalten wie auch die Korrektheit der historischen Sachverhalte sind Maßstab für ein Überblickswerk wie das des Vf.s, das, wenn es sie erfüllen würde, auch neben den Wikipedias der Welt noch bestehen könnte.
Ohne auf weitere einzelne Stellen einzugehen (Athanasius soll etwa »vier Bücher gegen die Arianer« geschrieben haben, was den Wissensstand des 19. Jh.s widerspiegelt; Macarius’ Werk ist auch be­kannt als Monogenes; vol. 2 des Corpus Dionysiacum ist von G. Heil und A. Martin Ritter ediert), die unterstreichen würden, dass ein Werk, das in solche Tiefe gehen will, letztlich nur von einem Konsortium von Wissenschaftlern erstellt werden kann, sollen jedoch auch die positiven Aspekte nicht übersehen werden. Wer sich schnell einen ersten Überblick über die jüngere Literatur zu einem der aufgeführten Kirchenväter (und den wenigen Theologinnen), zu Leben und Werk, verschaffen will, wird gerne auf das Werk zu­rückgreifen. Es sind sowohl bekanntere wie auch eine Reihe von eher unbekannteren Namen aufgeführt, sowohl westliche wie östliche und orientalische, speziell aber auch, wie man es sicher erwarten würde, englische mittelalterliche. Glücklich ist die Gliederung der längeren Artikel in Leben – Denken – Nachwirken. Der Vf. ist bemüht, zwischen Häresiologie, Mythologie und nüchterner his­torischer Beschreibung zu differenzieren, auch wenn bei manchen Personeneinträgen (wie etwa Ignatius von Antiochien) die wissenschaftliche Diskussion nicht einmal erwähnt wird. Er scheut sich nicht, weitreichende Qualitätsurteile zu fällen, die sicherlich öfter zu diskutieren wären; und etwas störend sind die fast stereotypen Einleitungen zu den einzelnen Lemmata, die fast regelmäßig auf Superlative mit wenig Schattierungen hinauslaufen.
»Justin Martyr was the first true church father, the first constructive theologian to appear after the New Testament period … but his lack of clarity meant that he bequeathed more problems than solutions to his successors«, 379. Mindestens den ersten Teil dieser Ansicht wird man einschränken müssen – zumindest im Blick auf die Theologen, von denen uns vollständige Werke erhalten sind. Denn was ist mit Valentinus, Marcion, Basilides usw.? Zudem hängt dieses Urteil gewiss vom angelegten neuzeitlichen Maßstab ab. Könnte man sonst nicht auch etwa bei Hermas, 1Clem, Polykarp usw. Ansätze einer konstruktiven Theologie (wenn der Rezensent diesen Begriff richtig versteht) finden? Wie auch immer, auf jeden Fall ist der Band in einem schwungvollen Stil geschrieben, der einlädt weiterzulesen.