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Ausgabe:

November/2011

Spalte:

1175-1176

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Cook, John Granger

Titel/Untertitel:

Roman Attitudes Toward the Christians. From Claudius to Hadrian.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. XV, 363 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 261. Lw. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-150553-9.

Rezensent:

Stefan Krauter

John Granger Cook, bekannt durch sein Werk »The Interpretation of the Old Testament in Greco-Roman Paganism«, legt einen weiteren Band zu der Frage vor, wie Juden und Christen bei ihren paganen Zeitgenossen ankamen, ob sie überhaupt wahrgenommen wurden und wie. Dieses äußerst interessante Themenfeld – üblicherweise beschäftigt sich die Forschung ja vor allem mit Texten aus der Perspektive der Selbstwahrnehmung oder der wechselseitigen Wahrnehmung von Juden und Christen oder seltener mit der Wahrnehmung der »Heiden« durch diese – ist aufgrund der eher mageren Quellensituation schwierig zu bearbeiten.
Auch C. kann keine neuen Quellen bieten. Von den Zeugnissen über das sog. Claudiusedikt, über den berühmten Bericht des Tacitus über den Brand Roms, die Zeugnisse über Domitian und den Pliniusbrief bis zum Reskript des Hadrian sind es bekannte, viel­-diskutierte Texte, die die Grundlage seiner Ausführungen bilden – wobei freilich die Aufteilung in die Disziplinen Neues Testament und Patristik oft eine künstliche Trennung dessen bewirkt, was bei C. sinnvollerweise im Gesamtzusammenhang dargestellt und er­örtert wird.
C. ist sich des Risikos, das darin steckt, solche altbekannten Quellen nochmals zu traktieren, wohl bewusst. Er stellt darum gleich auf den ersten Seiten fest, dass diese Quellen oftmals zu bekannt sind: Man meint, ihre Bedeutung fraglos zu kennen, statt sich den vielfältigen Fragen, die sie aufwerfen, zu stellen – von philologischen Details (Textkritik, Übersetzung) bis zur historischen Einordnung. Diesen Schein des allzu Bekannten zu durchbrechen, sich allen Fragen akribisch noch einmal neu zu stellen, gelingt C. meisterhaft. Er verarbeitet eine Fülle von Forschungsliteratur aus verschiedenen Disziplinen und in verschiedenen Sprachen, darunter auch ältere Forschungsbeiträge von Pionieren der Philologie und Geschichtswissenschaft, die zu Unrecht vergessen sind. Das kann man angesichts vieler Publikationen, die sich auf die Rezeption der englischsprachigen Sekundärliteratur der letzten Jahre beschränken, gar nicht genug loben. Darüber hinaus zieht C. auch eine Vielzahl von weiteren Quellentexten heran, die einzelne Aspekte der hauptsächlich besprochenen Texte erschließen und einordnen helfen. Knapp 70 kleingedruckte Seiten Verzeichnisse und Indizes erschließen dies hilfreich für den Benutzer des Buches.
Insgesamt wird daraus in vielen Abschnitten so etwas wie ein außerordentlich ausführlicher Kommentar zu den antiken Quellen, das gilt insbesondere für den Bericht des Tacitus über den Brand Roms (39–82) und für den Pliniusbrief samt Trajans Antwortschreiben (138–239). Die Texte werden im Original abgedruckt, es wird eine englische Übersetzung geboten, dann folgen Phrase für Phrase sachliche Erläuterungen. Ausführliche Informationen über den Hintergrund der Autoren und die historische Situation treten hinzu.
Fragen der Interpretation werden dabei zunächst klar und gegenüber allen Forschungspositionen fair dargestellt. C.s eigenes Urteil ist – auch wenn man in der einen oder anderen Frage anderer Meinung sein mag – immer nachvollziehbar und plausibel.
Diese große Stärke des Buches ist allerdings auch seine Schwäche. Es bleibt über weite Strecken ein Kommentar zu philologischen und historischen Detailfragen der bekannten Quellentexte. Das, was der Titel erwarten lässt, nämlich eine soziologische, kultur- oder mentalitätsgeschichtliche Untersuchung, bietet es hingegen kaum. Es bleibt bis zum Schluss unklar, was eigentlich genau »attitudes« sein sollen. Werden Aktionen römischer Kaiser und Statthalter gegen christliche Gemeinden in ihren Abläufen rekonstruiert oder geht es um die Vorstellung, die diese Personen von Christen hatten, und um die Frage, woher diese kamen und welchen Zusammenhang sie mit ihren Werten und ihrem Selbstverständnis hatten? Die methodologische Grundentscheidung von C., sich auf »traditional historical approaches« (2) zu beschränken, erweist sich hier als unzureichend. Das von ihm nur kurz angedeutete Konzept des »othering« aus der post-kolonialen Forschung (2) kommt im Buch an keiner Stelle richtig zum Zug. Insbesondere bleibt unklar, ob zwischen den verschiedenen behandelten Ereignissen ein Zusammenhang besteht, ob es ein Grundmuster, sozusagen »die römische Einstellung zu den Christen«, oder eine Entwicklung oder ein Nebeneinander klar benennbarer verschiedener römischer Einstellungen zu Christen gibt.
Sich diesen Fragen zu stellen, wäre wohl die Aufgabe einer ab­schließenden Zusammenfassung gewesen. Diese fehlt jedoch auffälligerweise, obwohl es ein Kapitel mit der Überschrift »Conclusion« (281–293) gibt. Nach den Ausführungen über das Hadrianreskript bricht die Darstellung jedoch ziemlich abrupt ab. Es folgen sehr knappe Ausführungen über die Diskriminierung und Verfolgung von »Heiden« und Juden im spätrömischen Reich. In welchem Zusammenhang sie mit dem eigentlichen Thema des Buches stehen, bleibt vage. Ginge es nun um christliche Einstellungen zu Griechen und Römern – und Juden –, dann müsste man früher anfangen und deren Entwicklung vom Neuen Testament an aufzeigen. Das aber wäre wohl eher das Thema für ein eigenes Buch und nicht für ein kurzes Schlusskapitel.
Insgesamt bleibt der Eindruck ambivalent: Die Erwartungen, die der Titel weckt, erfüllt das Buch nicht. Es ist keine kultur- oder mentalitätsgeschichtliche Untersuchung über römische Einstellungen zu den Christen, deren Wurzeln und Auswirkungen. Eine Sammlung aller Quellen aus römischer Perspektive zu den frühen Christen mit Erläuterungen ist es hingegen, und zwar eine, deren Ausführlichkeit, Akribie und Verlässlichkeit kaum zu überbieten sein wird. Als solche kann man sie allen, die mit diesen Texten zu tun haben, nur zur gründlichen Benutzung empfehlen.