Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2011

Spalte:

1166-1170

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Edelman, Diana V., and Ehud Ben Zvi [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Production of Prophecy. Constructing Prophecy and Prophets in Yehud.

Verlag:

London-Oakville: Equinox 2009. X, 235 S. gr.8° = Bible World. Kart. £ 19,99. ISBN 978-1-84553-500-1.

Rezensent:

Reinhard Müller

Die subtile Provokation, die der Titel enthält, dürfte beabsichtigt sein: Sämtliche Beiträge heben hervor, dass die Perserzeit für die Entstehung der prophetischen Literatur eine entscheidende Phase gewesen ist.
Ehud Ben Zvi plädiert für eine »integrative« Wahrnehmung dieser Literatur: Wie Pentateuch und Geschichtsbücher habe auch die Schriftprophetie ihre überlieferte Gestalt durch eine kleine Gruppe gebildeter Schreiber erhalten, die im perserzeitlichen Jehud wirkte. Ihr literarischer Diskurs sei nicht nur durch Vielstimmigkeit geprägt gewesen, sondern auch durch ein »Netz« gemeinsamer Ideen.
Diana Edelman fragt, wie die Prophetenbücher sich zur Divination der Königszeit verhalten. In Israel und Juda habe es verschiedene Orakelspezialis­ten gegeben; die divinatorischen Techniken seien oft mit dem Kultbild verknüpft gewesen. Bücher hingegen, in denen ein nābî’ den göttlichen Willen verkündet, seien erst nach 586 geschaffen worden; ihre monotheistische Botschaft sei a limine an das perserzeitliche Judentum gerichtet.
Philip Davies wendet sich dem Amosbuch zu: Zwar seien in ihm Worte enthalten, mit denen ein Prophet des 8. Jh.s das Ende Israels angekündigt habe; das Buch stamme aber frühestens aus der zweiten Hälfte des 5. Jh.s, als der Jerusalemer Tempel erstmals beansprucht habe, das allein legitime Heiligtum zu sein. Diese Perspektive spiegle sich vor allem an der erst jetzt entstandenen Polemik gegen Bet-El, Gilgal und Beerscheba sowie an der Heilsverheißung von 9,11–15.
Ehud Ben Zvi beleuchtet in seinem zweiten Beitrag das Konzept des Prophetenbuches und dessen historischen Hintergrund. Die »literati«, die die prophetische Literatur verfasst und gelesen hätten, hätten sich einerseits mit dem darin gezeichneten Israel identifiziert; andererseits hätten sie durch das »genre« des Prophetenbuches den tiefen Graben deutlich gemacht, der ihre Gegenwart von der konstruierten Vergangenheit und der utopischen Zukunft trennte. Dieses Konzept könne nur in der nachköniglichen Zeit entstanden sein, und zwar im Jehud der »frühen« Perserzeit; die spätperserzeitlichen Bücher Jona und Chr setzten das Konzept voraus.
Rainer Albertz untersucht anhand von DtJes, auf welchem Weg ein Buch Autorität erhielt. Die Erstausgabe sei geschaffen worden, um im sôd, der abendlichen Versammlung der Männer eines Ortes, verlesen zu werden, und zwar von einem Kreis von Propheten, der zunächst im Exil gewirkt habe, 522/521 aber nach Juda zurückgekehrt sei. Dass es diesen Propheten gelungen sei, mit der Rezitation ihres Buches die Judäer zu einem Neubeginn zu be­wegen, habe dessen Autorität begründet.
Erhard Gerstenberger verweist auf Parallelen zwischen Prophetenbüchern und zoroastrischen Überlieferungen: In beiden Fällen werde das Bild eines lebenslang berufenen Propheten als exklusiven Mittlers zwischen universalem Gott und Gemeinde gezeichnet; hier wie dort fände sich ein Denken in Antagonismen und die Vorstellung vom Ende der Geschichte. Die Entsprechungen ließen auf ein gemeinsames geistiges Klima in der Perserzeit schließen.
Nach Axel Knauf wurde ein selbstständiges Königebuch in der ersten Hälfte des 4. Jh.s geschaffen, um als Einleitung zu den Prophetenbüchern zu dienen: Es wolle zeigen, dass in der Königszeit die Tora von Propheten gelehrt wurde, solange das Buch der Tora vergessen war. 1Kön 1 f. ziele darauf, dass ein Königtum, das die Tora derart massiv verletzt, keinen Bestand haben könne; 2Kön 22 f. ziele dagegen auf das Ende der Prophetie, da die wiedergefundene Tora als einzige bleibende Größe in Szene gesetzt werde.
Diana Edelman erläutert in ihrem zweiten Beitrag, wie das Jonabuch die Adressaten dazu bringen wolle, einlinige Meinungen über Gott, Tora und Prophetie zu revidieren. Durch zahlreiche Bezüge zu den übrigen Kleinen Propheten lade das Buch ein, widersprüchlichen Aussagen über Gott in einer »integrativen« Haltung zu begegnen.
Nach Thomas Römer wurde das Buch Jer in der Perserzeit als »Supplement« zu einer dtr »Bibliothek« geschaffen, die das Dtn, die Vorderen Propheten, wohl auch Teile von Ex enthielt. Das zeige sich an den parallelen Endkapiteln 2Kön 24 f. und Jer 52, an Jer 1, wo Jeremia nach Dtn 18 als letzter Prophet gezeichnet werde, sowie an den Querbezügen von 1Kön 8 und Jer 7 und von 2Kön 22 f. und Jer 36.
Nach Rannfried Thelle spiegelt Jer den Umbruch der Weltordnung, der durch das Ende des judäischen Königtums ausgelöst wurde: Das Buch zeige, wie sich die »axis mundi« nach Babylon verschoben habe; es reflektiere Diskussionen über wahre und falsche Prophetie, die durch die Katastrophe ausgelöst wurden, und hebe die neue Bedeutung von Schreibern und Schriftprophetie hervor.
Dem Anliegen des anregenden Bandes lässt sich nur zustimmen: Die perserzeitlichen Anteile der Prophetenbücher dürften kaum zu überschätzen sein; ihnen muss ein Schwerpunkt der Prophetenforschung gelten. Das Buch zeigt freilich auch, wie die älteren Vorstufen aus dem Blick geraten können: Die Herausgeber bestreiten nicht, dass es sie gab; für die überlieferte Fassung der Bücher messen sie ihnen aber kein Gewicht zu. Ob sich diese Einseitigkeit methodisch und historisch rechtfertigen lässt, mag bezweifelt werden.