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Ausgabe:

November/2011

Spalte:

1161-1162

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Stone, Michael E., Amihay, Aryeh, and Vered Hillel[Eds.]

Titel/Untertitel:

Noah and His Book(s).

Verlag:

Atlanta: Society of Biblical Literature 2010. XIII, 380 S. m. Abb. gr.8° = Early Judaism and Its Literature, 28. Kart. US$ 45,95. ISBN 978-1-58983-488-0.

Rezensent:

Ann-Christin Heine

Dieser Sammelband, bestehend aus 19 Beiträgen, ist aus Michael E. Stones »senior seminar« (2003–2005) hervorgegangen. Die Teilnehmer widmeten sich dem Studium der Traditionen über die Existenz eines Noah-Buches. Zwei Arbeitsaufgaben begleiteten das Seminar und die hier präsentierten Artikel: Zum einen wurden Hinweise darauf in Schriften des antiken Judentums beleuchtet und auf ihre Qualität und Aussagekraft hin untersucht (Part 1: Fragments and Documents Associated with a »Book of Noah«). Zum anderen beschäftigte man sich mit Noah-Traditionen und -Porträts aus der Zeit nach der Zerstörung des Tempels (Part 2: Noah Traditions). Das Ende des Bandes gestalten Vered Hillel und Michael E. Stone mit zwei Aufsätzen zum Namen Noahs und zum Berg Ararat (Part 3: Miscellaneous Noah Texts and Traditions).
Eingangs stellt Michael E. Stone in »The Book(s) Attributed to Noah« die prominenten Textstellen wie beispielsweise aus dem Genesis-Apokryphon (5,29), dem Aramäischen Levi-Dokument (10,10) und dem Jubiläenbuch (10,14) vor, die explizit von einem Noah-Buch sprechen. Da vor allem Devorah Dimant als Gegner der These von der Existenz eines Noah-Buches gilt, greift Stone ihre bekannten Argumente auf und versucht sie zu relativieren. Nach Dimant können Bezugnahmen auf ein Noah-Buch nicht als historischer Beweis gehandelt werden. Stone fragt, warum »citations that are explicitly said to be drawn from a Noahic document … be regarded ab initio as ›fictional postulations‹?« (18) Weiterhin kritisiert Dimant den vielseitigen Charakter der Fragmente des vermeintlichen Noah-Buches in Form und Detail. Stone weist zum einen darauf hin, dass nicht zwingend nur von einem Noah-Buch ausgegangen werden muss. Zum anderen könne man durch die Verschiedenheit des Materials nicht von vornherein eine gemeinsame Quelle ausschließen. Stone ist daher überzeugt, dass die angegebenen Zitationen »do designate an ancient literary work (or works) that has not survived in full but that is being cited« (19). Er wagt sogar eine mögliche Datierung einer Noah-Schrift in das 3. Jh. v. Chr. oder älter und stellt die Vermutung an, dass das Noah-Buch schlicht schon früh nicht mehr beachtet wurde und daher nur noch in der Zitation lebt.
Der direkt folgende Artikel »A Reconsideration of Charles’s Designated ›Noah Interpolations‹ in 1 Enoch: 54:1–55:1; 60; 65:1–69:25« von Vered Hillel wendet Robert Henry Charles’ eigene Kriterien für die Zuordnung einer Noah-Interpolation auf die betreffenden Textstellen in den Bilderreden des Äthiopischen Henochbuches an. Er kommt zu dem Ergebnis, dass äthHen 54,7–55,2 sowie 65–67 Noah-Einschübe sind, die aus einem Noah-Buch stammen könnten.
In dem fünfseitigen Artikel »Is 1 Enoch 6–11 a ›Noahic‹ Fragment? A Scholarly Discussion« zeigt Michael Tuval (Department of Jewish History, Hebrew University in Jerusalem) auf, dass zum derzeitigen Stand nicht entschieden werden kann, ob es ein Noah-Buch gegeben hat oder nicht. Denn auf der einen Seite muss ein Noah-Buch nicht alle denkbaren Noah-Fragmente enthalten haben, auf der anderen Seite würde aber ebenso nichts dagegen sprechen, dass äthHen 6–11 seinen Ursprung in jenem Noah-Buch findet.
»Traditions of the Birth of Noah« von Aryeh Amihay und Daniel A. Machiela erweist sich als hervorragender Überblick über die Traditionen, die sich um die Geburt Noahs ranken. Die wundersamen Geburtsgeschichten in äthHen 106–107 und 1QGenAp 2–5 werden in einzelnen thematischen Einheiten analysiert. Da die Geburtsgeschichte des Äthiopischen Henochbuches erst nachträglich der Schrift als Anhang beigefügt wurde, sehen die Autoren in ihr die Ausarbeitung einer früheren Arbeit. So stellen auch sie sich die Frage nach der Existenz eines Noah-Buches, welches ihrer Ansicht nach sehr wahrscheinlich als gemeinsame Quelle für die Geburtsgeschichte gedient haben könnte.
Esther Eshel stellt in ihrem Artikel »The Noah Cycle in the Genesis Apocryphon« die Noah betreffenden Kolumnen 5–17 vor. Die vorgeschaltete Geburtsgeschichte Noahs in den Kolumnen 2–5 trennt sie dabei klar vom »Noah cycle« ab und teilt sie dem von ihr bezeichneten »Enoch cycle« (Kolumnen 0–5) zu. Eshel stellt die wichtigsten Erkenntnisse wie folgt zusammen: Das Noah-Bild im Genesis-Apokryphon differiert gänzlich vom urgeschichtlichen Noah-Bild. Noah wird als rechtschaffener Patriarch gezeichnet, der mit himmlischen Wesen kommuniziert und eine Vielzahl von Traumvisionen hat, die ihm Vergangenes und Zukünftiges schauen lassen. Nimmt die biblische Noah-Geschichte mit der Trunkenheit Noahs einen eher negativen Ausgang, skizziert der Autor des Genesis-Apokryphons Noah hingegen durchweg als positive Gestalt. Besonders das aus Eshels Ausführungen kenntlich werdende besondere Gottesverhältnis Noahs lässt die Bedeutung der Figur für das Genesis-Apokryphon deutlich werden.
Der zweite Teil des Bandes wird von Benjamin G. Wright III mit »Noah and the Flood in the Septuaginta« eröffnet. Wright konstatiert, dass der griechische Übersetzer die Noah-Geschichte im hebräischen Urtext ziemlich wortgetreu wiedergibt. Eine Entwicklung der Figur in der Septuaginta kann damit nicht beobachtet werden.
In einem Beitrag über Noah in den Schriften des Josephus präsentiert Michael Tuval, wie der jüdische Schriftsteller die Figur des Noah gebraucht, um seine nicht jüdische Leserschaft davon zu überzeugen, dass »obedience to God brings happiness, but disobedience – punishment« (173). Darauf folgt ein Blick auf Philos Zeichnung der urgeschichtlichen Figur von Albert C. Geljon, der aufgrund seiner Dissertation Philonic Exegesis in Gregory of Nyssa’s De Vita Moysis für diese Thematik ausgewählt wurde. Philo hellenisiert die Figur Noahs und lässt ihn zum stoischen Weisen werden, so dass er für seine griechischen Adressaten akzeptabel wird.
Aryeh Amihay widmet sich Noah im rabbinischen Judentum und klärt, dass sich eine oft als polemisch empfundene Haltung gegenüber Noah nicht durchweg beobachten lässt. Vielmehr überwiegen die Midraschim, die Noahs Rechtschaffenheit betonen, gegenüber den Midraschim, die in der Gestalt Aufsässigkeit und Sünde sehen. Die Gründe für dieses unterschiedliche Bild von Noah im rab­binischen Judentum sind in der Inkonsistenz des biblischen Berichts selbst zu finden – hier wurden schon verschiedene Traditionen zusammengebunden.
Zum Schluss sei noch auf den Artikel »The Literary Presentation of Noah in the Qur’an« von Erica Martin hingewiesen. Martin legt die Eigenheiten der Noahgeschichte im Qur’an dar, die mitunter über das biblische Material hinausgehen. In Sure 11 bspw. streitet Noah mit den Menschen, die nichts Besonderes in seiner Person sehen und ihn sogar als Lügner bezeichnen. Über den Bau der Arche erfahren wir im Gegensatz zum biblischen Bericht kaum etwas, auch das Thema der Genealogie wird ganz ausgespart. Stattdessen dienen alle aufgenommenen oder erweiterten Elemente der Noahgeschichte der Bestätigung der Botschaft Muhammads.
Wie der Band eindrücklich bezeugt, sind die antik-jüdischen Noah-Traditionen sehr vielschichtig. Hier wird ein gelungener Überblick über die Figur Noahs in den verschiedensten Kontexten geboten, der auch immer wieder an interessanter Stelle vertieft wird und zum Weiterdenken einlädt.