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Ausgabe:

November/2011

Spalte:

1158-1159

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kurowski, Philipp

Titel/Untertitel:

Der menschliche Gott aus Levi und Juda. Die »Testamente der zwölf Patriarchen« als Quelle judenchristlicher Theologie.

Verlag:

Tübingen-Basel: Francke 2010. V, 195 S. 8° = Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter, 52. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-3-7720-8384-6.

Rezensent:

Anna Maria Schwemer

Der Streit darum, ob die TestXII als christliche Schrift oder als eine jüdische, die christlich bearbeitet überliefert wurde, auszulegen sind, scheint nicht zu enden. Die von Klaus Berger betreute Dissertation von Philipp Kurowski will sich dem entziehen, sich »auf die Frage nach einer christlichen Theologie der TestXII konzentrieren und die exegetische Fleißarbeit anderer für sich in Anspruch nehmen« (5). Der Vf. geht davon aus, dass die »Interpolationstheorie« gescheitert sei, und bemüht sich um einen »Neuansatz« durch eine »Doppelt-Synchrone Exegese«, in der »Jüdisches christlich und Christliches jüdisch zu lesen« sei (20). Auf diese Weise soll der Horizont erweitert werden, um neu zu bestimmen, »was christlich und was jüdisch sein kann« (20).
Dabei soll keine »komplette Neuinterpretation der gesamten TestXII nach doppelt-synchroner Lesart« geliefert werden, sondern »beispielhaft … an umstrittenen Passagen« gezeigt werden, »in wie weit hier eine wirkliche Alternative« zu den herkömmlichen Lösungsversuchen »gefunden werden kann« (41). »Als Judenchrist« wird dabei »derjenige Autor« definiert, »der sein Christentum als Vollendung seines Judentums ansieht« (32).
Kapitel 2 »Gott als Mensch« untersucht die Inkarnationsstellen und vergleicht sie mit jüdischen Traditionen (47–69) vom »Tag JHWHs«, »Gottes Bund«, »Gottes Begleitung auf dem Weg« (anhand von Tobit), »Gottes Besuch« (Gen 18), Philo und Bar 3,38 LXX, wo es nicht um die gottgeschenkte Gabe des Wissens an Israel oder eine christliche Interpolation gehe, sondern um eine Aussage über Gottes Bundesschluss und die Begleitung seines Volkes beim Exodus. Ich halte diese Exegese für verfehlt, ebenso die weiteren Überlegungen zur LXX (63–69).
Die »Christliche Interpretation« (70–86) vergleicht »Inkarnation des Logos«, »Kenosis … Phil 2,5–11«, »Besuch Gottes im Benedictus«, »Ignatius … Melito«, »Modalistischer Monarchianismus« mit dem Ergebnis, dass in den Inkarnationsaussagen der TestXII »Zeugnisse der aus dem Lobpreis erwachsenen Christologie judenchristlicher Gemeinden des frühen ersten Jahrhunderts (nach)wirken« und »der soteriologische Aspekt … [sich] darauf konzentriert, dass Gott als Mensch erschien«, wobei »nicht auf irgendeine mirakulöse Ge­burt an­gespielt« wird. Zu diesem Schluss kommt es, weil T Jos 19,3 »aus Juda wurde eine Jungfrau geboren … aus ihr ging ein untadeliges Lamm hervor« erst auf S. 150–151 im Kontext von Opferlamm etc. behandelt wird.
Kapitel 3 »Die Levi-Juda Passagen« (87–118) will diese »strikt … theologisch« (Hervorhebung vom Vf.) auswerten und die Untersuchungen von M. de Jonge beiseitelassen (87). Die Worte, die betonen, dass das Heil aus Juda und Levi hervorgeht, und die christlich bearbeiteten Texte T Lev 18 und T Jud 24 werden verglichen mit jüdischen Traditionen wie »König aus Juda«, »Priester aus Levi«, »Priesterkönig« mit dem Ergebnis: »Tatsache ist, dass die TestXII durchaus im Kontext jüdisch-eschatologischer Zukunftserwartungen stehen«.
Die »Christliche Interpretation« (104–118) behandelt: »Christi Herkunft aus David und Geist«, »Levitische Anklänge im Lukas- Evangelium«, »Protevangelium Jakobi«, »Priesterkönig nach Ordnung Melchisedeks«, »Hippolyt: Stammverwandtschaft Jesu Christi mit Levi und Juda«. Das Fazit lautet: Die TestXII bieten eine »Chris­tologie ›von unten‹«.
Kapitel 4 »Unschuldspassagen« (119–138) verfährt analog mit dem Ergebnis, dass Israel seinen Platz in der Heilsgeschichte behält: »Hier zeigt sich eine judenchristliche Perspektive, die eine Nähe zu Paulus, aber auch zum Jakobusbrief hat«. Sie besteht in einer »jüdisch-hellenistische(n) Tugendethik«.
Kapitel 5 »Theologischer Querschnitt: Leiden und Tod Jesu in den TestXII« (139–158) erwähnt: »Patripassianismus«, »Tempelvorhang«, »Josephstypologie« – »der (versuchte) Mord an Joseph« ist »eine Steilvorlage für christliche Polemik, die bis zu den Genesispredigten Luthers weiterwirkt« (147) –, »Lamm-Metaphorik«, »Tod als Sieg über Beliar«, »Sterben für uns«. Auch hier erkennt K. »ein Stück judenchristlicher Theologie im reinen Wortsinne« (158).
Kapitel 6 bildet einen »Exkurs in die Ethik« (159–178) und Kapitel7 »Ertrag: Die TestXII als judenchristliche Schrift« (179–186) den Schluss.
Der judenchristliche Ursprung der TestXII – im 19. Jh. angenommen, noch von Daniélou vertreten – wird heute nicht mehr erwogen. K. dagegen definiert das Judenchristentum so, dass der Autor der TestXII sich als Judenchrist herausstellt.
Das Spiel mit einer »doppelt-synchronen Exegese« hat mich nicht überzeugt. Bei der Auslegung antiker Texte kommt es auf breite Quellenlektüre, sorgfältige eigene Exegese, die Diskussion der wichtigsten Sekundärliteratur an. Alles vermisse ich hier. Nicht neue Methoden helfen weiter. Gerade die diachrone Analyse und die Annahme christlicher Ergänzungen führen zu einem besseren Verständnis der TestXII. Vorbildlich zeigt das Jan Dochhorn in seiner Einleitung zu den TestXII, die hoffentlich bald in JSHRZ er­scheint.