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Ausgabe:

November/2011

Spalte:

1153-1155

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Salzer, Dorothea M.

Titel/Untertitel:

Die Magie der Anspielung. Form und Funktion der biblischen Anspielungen in den magischen Texten der Kairoer Geniza.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. XIII, 527 S. gr.8° = Texts and Studies in Ancient Judaism, 134. Lw. EUR 129,00. ISBN 978-3-16-150046-6.

Rezensent:

Tobias Funke

Die Judaistin Dorothea Salzer hat mit ihrer Dissertation »Die Magie der Anspielung« (Freie Universität Berlin, Peter Schäfer) einen nicht nur in der sprachwissenschaftlichen Analyse beeindruckenden Beitrag zur Erforschung der magischen Texte der Kairoer Geniza vorgelegt. Sie untersucht darin die Form und Funktion der biblischen Anspielung in den magischen Texten der Kairoer Geniza (des 11. bis 16. Jh.s) und legt dar, dass der »Gebrauch der biblischen Anspielungen keineswegs beliebig ist, sondern sowohl unter formalen als auch funktionalen Aspekten festen Kategorien folgt, die sich systematisch erfassen lassen« (345). S. fragt somit erstmals danach, in »welcher Form, auf welche Weise, mit welcher Absicht und mit welcher Wirkung« biblische Anspielungen in die magischen Texte integriert sind (9).
Die Studie gliedert sich gut nachvollziehbar: Einer ausführlichen Darlegung der Methodik (Kapitel 3–5) folgt die Durchführung anhand der magischen Texte der Kairoer Geniza (Kapitel 6–10). Im Anhang finden sich zwei Appendizes, zum einen ein Verzeichnis aller verifizierbaren Anspielungen auf den biblischen Text (355–475), zum anderen ein Verzeichnis aller Anspielungen, die in Übersetzung angegeben werden (476–479). Zusammen mit einem Literaturverzeichnis, Stellen-, sowie Personen- und Sachregister liegt somit eine sehr benutzerfreundliche Arbeit vor.
S. untersucht 122 Fragmente mit insgesamt 363 abtrennbaren magischen Texten aus der Kairoer Geniza, die sie ins 10. bis 16. Jh. datiert. 134 dieser Texte (~37 %) enthalten ihrer Analyse nach biblische Anspielungen (insgesamt 521 Anspielungen).
Laut S. umfasst der Sammelbegriff »magische Texte aus der Kairoer Geniza« verschiedene Gattungen: segulla (eine oftmals relativ knapp gehaltene Anweisung zu einem magischen Prozedere) und refu’a (eine Anweisung zu einem medizinischen Zweck), Amulett (ein längliches Fragment, oft mit Gebrauchsspuren, die darauf hinweisen, dass sie zusammengerollt in einem Behältnis zum Tragen aufbewahrt wurden) und Amulettformular, Beschwörungsgebet sowie Bann- und Fluchtext, Text zum Dämonenzwang und theoretische Abhandlung.
Für ihre Untersuchung nutzt S. intensiv die Methodik der Intertextualitätsforschung und erarbeitet ein eigens ausgefeiltes Instrumentarium. Nachdem sie sich eingehend mit der Problematik des Phänomens Intertextualität beschäftigt hat, entscheidet sie sich für ein engeres Verständnis von Intertextualität und somit gegen ein philosophisches, poststrukturalistisches. Um Verwechslungen vorzubeugen verwendet sie Allusion und Anspielung als Synonyme und zählt das Zitat als eine Unterart der Anspielung, welches sie wiederum »als wörtliche Wiedergabe eines Prätextsegmentes in einem neuen Kontext«, das identifizierbar ist, definiert (23). Des Wei­teren unterscheidet sie zwischen anzitiertem, verkürztem, abgekürztem Zitat und Pseudozitat (kleine Veränderungen, aber immer noch als Zitat identifizierbar), welche sie wiederum differenziert in konflationiertes (Verschmelzen von zwei oder mehreren Zitaten), permutiertes (Satzstellung geändert), substituierendes (ein Element ersetzt), synonymes (ein Begriff durch ein Synonym ersetzt), vermindertes (Tilgung eines Elements) und erweitertes Pseudozitat (etwas hinzugefügt). Außerdem hebt sie vom Zitat Folgendes ab: zum einen geprägte Wendungen, die sich demgegenüber nicht verorten lassen, da sie zu unspezifisch oder zu allgemein sind und zum anderen Referenzen, die eine gemeinsame Tiefenstruktur aufweisen, entweder periphrastische Referenzen (Erzählzusammenhang) oder onomatische Referenzen (nur Name ohne Erzählung). Des Weiteren macht sie auf verschiedene Arten der Markierung aufmerksam: explizite (durch Zeichen oder Formeln, graphemische Signale [»wie«] oder Zeichen oder Hervorhebung) und implizite (durch Codewechsel).
Nach der Durchsicht der biblischen Anspielungen in den ma­-gischen Texten der Kairoer Geniza stellt S. fest: »Die Tatsache, dass es sich bei den biblischen Anspielungen in den magischen Texten aus der Kairoer Geniza größtenteils um Zitate und Pseudozitate handelt, lässt von vornherein auf eine große Vertrautheit der Textproduzenten und -tradenten mit dem Wortlaut der Hebräischen Bibel schließen. Offen ist aber einstweilen, was die textliche Grundlage dieser Vertrautheit war, welcher Umfang an Textkenntnis festzustellen ist und ob die Textkenntnis mündlicher oder schriftlicher Art war.« (137 f.)
Nach der Lokalisierung der biblischen Anspielungen kommt S. zu deren Funktionsbestimmung: Formal können biblische Anspielungen als materia magica linguistica, zur Bildung magischer Na­men, als Ausdruck der Bitte, als captatio benevolentia, als appellative oder affirmative Rede, als literarisches Stilmittel, als apotropäisches Mittel oder als Epitheton dienen. Funktional als Auto­risierung z. B. des Magiers, Legitimation des magischen Aktes, Wirksamkeitsbegründung z. B. in Form eines Analogiezaubers parallel zu einem biblischen Ereignis sowie Klienten- und Adressatenausrichtung (in Liebeszaubern sowie Bann- und Fluchtexten).
Der in der Studie zentrale Begriff »Magie« wird leider nur am Rand diskutiert und dort nur sehr allgemein als Teil einer Religion definiert (4, Anm. 18). Angesichts der aktuellen Debatte um eine Definition dieses mehrdeutigen Begriffes wäre eine Problematisierung und Positionierung wichtig gewesen. Erst zum Schluss der Studie wird die Diskussion um das Wesen der »jüdischen Magie« wieder aufgenommen. Gerade durch den Ge­brauch der biblischen Anspielungen wird S. zufolge »die in der judaistischen Magieforschung bereits wiederholt geäußerte Feststellung, dass es in der jüdischen Magie letztendlich die göttliche Kraft ist, die durch den Magier angerufen und appliziert wird«, bekräftigt (352). Fruchtbar wäre es, die von S. ausgearbeiteten sprachwissenschaftlichen Funktionsbestimmungen der Anspielungen in eine Definition für »ma­gischer Text« einfließen zu lassen. Dies könnte dann auch einen gewinnbringenden Beitrag zur Debatte um den Begriff Ma­gie leisten.
Da S. oft nach den Trägerkreisen (z. B. 317.346) der Texte fragt, hätte es sich angeboten die sozialgeschichtliche Einordnung der magischen Texte weiter auszubauen. – S. bemängelt, dass bereits Goitein in seiner sozialgeschichtlichen Untersuchung der Kairoer Geniza die magischen Texte nicht berücksichtigt hat (4, Anm. 19). In diesem Zusammenhang unterstreicht S. mehrmals den Quellenwert der magischen Texte der Kairoer Geniza für das kulturelle Gedächtnis (58 f.167.271.346.351) des mittelalterlichen Judentums. Sie sieht in der »Untersuchung der biblischen Anspielung in den magischen Texten einen beträchtlichen Beitrag zur Rekonstruktion des kulturellen Gedächtnisses des mittelalterlichen Judentums« (59) und knüpft somit an die Arbeiten von J. Assmann an. Diese Anwendung der Assmannschen Thesen wird jedoch nicht weiter ausgebaut, was jedoch aufgrund des Schwerpunktes der Studie auf die sprachwissenschaftliche Analyse der »magischen Texte« auch nicht nötig ist. Hier kön nen künftige Studien anschließen und dem Hinweis von Peter Schäfer folgen, dass die magischen Texte der Kairoer Geniza »beispielhaft die wechselseitige Beeinflussung von griechischen, jüdischen, christlichen und islamischen Traditionen« veranschaulichen und damit einen »Einblick in die synkretistische Dynamik des reziproken Verhältnisses zwischen der jüdischen und ihrem nichtjüdischen Umfeld« gewähren (Peter Schäfer, Magische Texte aus der Kairoer Geniza I, Tübingen 1994, 3).
S.s Studie ist sehr klar aufgebaut und gut rezipierbar. Ihre große Stärke liegt in der ausgearbeiteten intertextuellen Methodik, die auch für andere Disziplinen, die mit der Rezeption von biblischen Zitaten und Anspielungen arbeiten, wahrgenommen werden sollte (zwischentestamentliche Literatur, Neues Testament, Patristik, rabbinische Literatur).