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Ausgabe:

Februar/1996

Spalte:

202 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schweitzer, Friedrich, Nipkow, Karl Ernst, Faust-Siehl, Gabriele, u. Bernd Krupka

Titel/Untertitel:

Religionsunterricht und Entwicklungspsychologie. Elementarisierung in der Praxis.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1995. 240 S. 8o = Kaiser Taschenbücher, 138. DM 38,­ ISBN 3-579-05138-5.

Rezensent:

Hans-Jürgen Fraas

Den Autoren geht es in dieser an der Praxis orientierten Untersuchung darum, "ob und wie die religiöse Entwicklung der Kinder und Jugendlichen im Unterricht wahrgenommen werden und wie sie im Prozeß von Unterricht Aufnahme finden kann" (9). Sie haben sich keiner bestimmten entwicklungspsychologischen Theorie verschrieben, bevorzugen vielmehr die mehrperspektivische Vorgehensweise in der Integration kognitionspsychologischer und psychoanalytischer Zugänge. Die Praxisferne der psychologischen Theorien soll überwunden werden. Sie plädieren "für einen Unterricht, in dem Überraschungen möglich sind".

Reflexiver Leitfaden ist das Modell der Elementarisierung; ein Dialog zwischen Entwicklungspsychologie und Elementarisierung ist angestrebt. Dem dialogischen Anliegen entspricht der Aufbau des Buches: Es wird induktiv argumentiert, von der Praxis her.

Wie können kindliche Sichtweisen wahrgenommen werden, und wie ist auf die Wahrnehmungen zu reagieren? Woran denken elf- bis zwölfjährige Kinder, wenn sie von Gott sprechen? Anhand von Unterrichts-Transskripten zeigt sich, daß der Lehrer die von den Schülern angebotenen Bilder nicht voll auslotet. An einer Sequenz über Gleichnisse werden die Theorien Piagets, Eriksons, Fowlers und Osers expliziert. Dabei werden Begriffe wie Struktur oder Tiefenstruktur plausibel interpretiert. Das Elementare zeigt sich als das Gewißmachende, das grundlegend Einfache, das subjektiv Authentische. Entwicklungs- und Unterrichtsprozeß beeinflussen sich wechselseitig (Kap.1).

Im 2. Kapitel werden Beispiele gelingender und mißlingender Elementarisierung vorgestellt ­ es ist interessant zu sehen, was alles mißlingen kann. Zum Beispiel kann die theologische Theorie dem Unterrichtenden den Blick auf die Verstehensweise der Schüler versperren. Auch Schwierigkeiten der Lehrenden mit ihrem eigenen Kinderglauben können ihr Verstehen erschweren.

Der Kinderglaube ist nicht linear zu erfassen, sondern stellt "ein beträchtliches Potential an gegenseitigen gedanklichen Anstößen" dar, "die allerdings durch Unterstützung von seiten eines behutsamen Gesprächsleiters an Klarheit gewinnen können" (67). An moralischen Fragen sind die Schüler in höherem Maß beteiligt als an reinen Glaubensfragen. Die Frage der Wahrhaftigkeit, der Übereinstimmung von Wort und Person spielt im Religionsunterricht eine besondere Rolle.

Das 3. Kapitel bietet Ansätze einer geschlechtsbezogenen Unterrichtsanalyse. Elementare Zugangsweise wie elementare Erfahrungen sind auf die geschlechtsspezifischen Verläufe von Sozialisation und Entwicklung zu beziehen. Die Gottesfrage (feministische Theologie) spielt hierbei eine besondere Rolle.

Kapitel 4 behandelt Elementarisierung und Entwicklungspsychologie im Kontext der Elementarisierungsdiskussion. Die Elementarisierung ist ein Prüfstein dafür, "wie ernst es die Religionspädagogik mit dem Bildungsgedanken meint" (145). In kurzem Abriß wird die Diskussion um eine elementare Theologie seit H. Kittel 1970 dargestellt.

Im zweiten Abschnitt dieses Kapitels wird dem Zusammenhang von Entwicklung und Lebensgeschichte nachgegangen (156) und werden entwicklungspsychologische Theorien kritisch gewürdigt (die Stufentheorien, Theorien des menschlichen Lebenszyklus, die psychoanalytische Entwicklungspsychologie, soziologische Theorien der religiösen Sozialisation).

Elementarisierung soll nun zum Modell der Planung von Unterricht werden, im Rahmen der didaktischen Analyse verortet (Kapitel 5). Schließlich gehen die Überlegungen ins Methodische über ("Elementarisierung und Lernwege", 179 ff).

Kapitel 6 bietet einen "didaktischen Wegweiser", der zur Benutzung entwicklungspsychologischer Literatur anleitet. Das abschließende 7. Kapitel stellt die religiöse Entwicklung im Religionsunterricht anhand eines Forschungsprojekts zwischen 1988 und 1993 dar, das die Basis dieser Arbeit bildet. Die Ergebnisse werden auf 206 ff. zusammengestellt (so z.B. dies, daß die Lehreräußerungen über Gott unabhängig vom Entwicklungsstand der Schüler sich jeweils auf ihrem eigenen Niveau bewegen und damit erst in Klasse 10 der Stufe der Klasse entsprechen).

Adressaten dieses Buches sind in erster Linie die Praktiker, wobei es dafür dann doch sehr viele theoretisch-abstrakte Abschnitte enthält. Andererseits bietet es auf diese Weise sowohl dem Praktiker eine Fülle interessanter und hilfreicher Einzel-Erkenntnisse wie dem theoretisch Arbeitenden weiterführende Fragestellungen und Impulse.