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Ausgabe:

Februar/1996

Spalte:

199–201

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Rupp, Horst F.

Titel/Untertitel:

Religion –­ Bildung –­ Schule. Studien zur Geschichte und Theorie einer komplexen Beziehung.

Verlag:

Weinheim: Deutscher Studien Verlag 1994. 400 S. 8o = Forum zur Pädagogik und Didaktik der Religion, 7. Pp. DM 68,­. ISBN 3-89271-475-4.

Rezensent:

Klaus Wegenast

Das vorliegende Buch ist die Habilitationsschrift, die der Würzburger Lehrstuhlinhaber für Religionspädagogik im Jahre 1993 dem Fachbereich Evangelische Theologie der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main vorgelegt hat. Rupp versucht hier, das differenzierte und komplexe Verhältnis zwischen Bildung und Religion und Religion und Schule über einen größeren Zeitraum verständlich zu machen und kritisch zu würdigen. Dabei möchte er nicht nur historisch einen Ausschnitt aus der Kultur- und Geistesgeschichte gleichsam reproduzieren und erhellen, sondern gleichzeitig auch systematische Reflexionen über Sinn und Bedeutung dessen, was da je neu als Bildung bezeichnet wird, anstellen. Damit gehört das Buch in den größeren Zusammenhang neuerer Bemühungen um den Bildungsbegriff in Pädagogik und Religionspädagogik nach einer langen Zeit der Abstinenz der genannten Disziplinen in Sachen Bildung.

In einem ersten Hauptteil (27-90) rekonstruiert der Vf. die Werdegeschichte des Bildungsbegriffs von seinen religiösen Wurzeln im Spätmittelalter (Mystik), auf die früher schon W. Pannenberg hingewiesen hat, und in der Reformation (Luther) über J. A. Comenius und J. J. Rousseau bis hin zur Rezeption des Begriffs in der Philosophie und der sich neu etablierenden Pädagogik des 18. und 19. Jh.s. Aus der Bildung als Begriff der Religion und der Mystik wird in diesem Zeitraum ein Begriff, welcher sogar eine Emanzipation von Religion und Kirche signalisierte. Hören wir den Vf.: "Die durch das neue, aufklärerisch beeinflußte Denken geprägte Bewegung (der zweiten Hälfte des 18. Jh.s) greift ihn auf und wendet ihn pädagogisch. Er gerät damit in gewisser Weise in einen mehr oder weniger offenen Gegensatz zur christlichen Religion und Theologie" (91).

Der zweite Hauptteil der Arbeit ist dem Versuch gewidmet, die Anstrengungen der Theologie im Übergang vom 18. zum 19. Jh., den jetzt pädagogisch verorteten Begriff erneut zu rezipieren, zu verstehen und im Zusammenhang darzustellen. Dabei liegt der Schwerpunkt der Untersuchung bei Fr. Schleiermacher und dessen Bemühen, "den neuentstandenen pädagogisch aufgeladenen Bildungsbegriff mit seinen älteren religiös-theologischen Wurzeln zusammenzudenken und zu versöhnen, also zum einen die religiöse Dimension des Bildungsbegriffs zu bewahren und andererseits seine pädagogische Dimension ebenfalls zu rezipieren." (21)

Im dritten Hauptteil verläßt Rupp die Begriffs- und Problemgeschichte und unternimmt es, eher sozial- und institutionengeschichtlich weiterzufragen, um so zu einem Bild von der Entstehung und der Geschichte der öffentlichen Schule in Deutschland zu finden. Dabei bleibt der Bildungsbegriff wichtig, mag er auch einen weiteren Ortswechsel vornehmen auf diesem Feld. Wechselte er im 18. Jh. von der Theologie zur Pädagogik, dann jetzt im 19. Jh. zur Politik. Er wird zum Symbol des Kampfes für Mündigkeit und Selbstverantwortung. Wie immer, der mehrfache Wechsel des Bezugs von Bildung hat den Begriff so schwammig werden lassen, daß er nicht mehr als Instrument für eine wirkkräftige Schule in der Gesellschaft dienlich erschien. Aber wie so oft, man denke an den Begriff der Erfahrung, so folgt auch hier dem offensichtlichen Vergessen eine neue Konjunktur. Bildung wird zum Leitbegriff von Schule und Erziehung in der Gesellschaft. Allerdings fehlen noch immer die theologischen und religiösen Konnotationen der Herkunftsgeschichte.

Das mahnt Rupp in seinem letzten Teil an ­ auch in Erinnerung an Schleiermacher. So gilt es für ihn als aktuelle Aufgabe, ein Bildungsverständnis zu entwickeln für die heutige Schule, das unter anderem auch der Religion einen legitimen Platz im öffentlichen Schulwesen einräumt. Dabei möchte Rupp unter Religion nicht so etwas wie einen "allgemeinen Religionsunterricht" subsumiert wissen, der für seine Begriffe entweder nur abstrakte Theorie zu liefern vermag oder aber so etwas wie einen Synkretismus von nicht Zusammengehörigem. Deswegen plädiert Rupp für eine Repräsentanz von Religion in der Schule, die einer modernen Schule und ihren Konstitutionsbedingungen besser zu entsprechen vermag, nämlich für ein Konzept des Religionsunterrichts, "das christliche Religion unter den Kontextbedingungen der Schule in freier Bindung an die verfaßten Kirchen vermittelt." (357)

Die zweifellos bestehenden Unterschiede zwischen christlicher Religion im Kontext von Schule und im Kontext christlicher Gemeinde möchte Rupp nicht als Gegensätze interpretieren, sondern als verschiedene Aggregatzustände derselben Religion. Einen möglichen Rückzug religiöser Bildung und Erziehung in den binnenkirchlichen Raum, wie er in den letzten Jahren von verschiedener Seite immer wieder gefordert oder doch in Erwägung gezogen wurde, lehnt Rupp mit dem Hinweis ab, daß ein solcher Rückzug "vermutlich nur fundamentalistische Positionen" stärken würde und dazuhin Kirche und Theologie ins Ghetto gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Isolation drängen könnte.

Der Vorzug des hier anzuzeigenden Buches ist seine klare und auch Nicht-Theologen verständliche Sprache, aber auch der große Bogen, den sein Vf. von der Mystik bis in die jüngste Gegenwart schlägt. Hier wird deutlich, was Geschichtlichkeit bedeutet.

Zuweilen hätte man hier und da eine noch eingehendere Diskussion der Problematik von Bildung gewünscht und auch eine Auseinandersetzung mit dem Problem des Verhältnisses zwischen Sprache und gesellschaftlichen Entwicklungen. Hier sind die Arbeiten von Peter Biehl (Die Gottebenbildlichkeit des Menschen und das Problem der Bildung, 1991), K. E. Nipkow (z.B. Bildung als Lebensbegleitung und Erneuerung, 1990, 25 ff.) und R. Preul (z.B. Bildung im Schatten von Theologie und Kirche, in: Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie 21, 1979) zum Teil weiterführend.

Dennoch, hier liegt eine Arbeit vor, die orientiert, kenntnisreich informiert und dem Leser die Möglichkeit gibt, sich auch selbst in die einschlägige Problematik einzudenken und zu eigenen Entscheidungen zu gelangen. Hoch anrechnen muß man dem Autor, daß er trotz seiner starken Option für das Theologische nicht vergißt, daß der moderne Bildungsbegriff ein emanzipatorischer Begriff ist, der nicht eskamotiert werden sollte, sondern dialektisch mit dem klassischen Bildungsdenken vermittelt.