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Ausgabe:

Oktober/2011

Spalte:

1123-1124

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Wittreck, Fabian

Titel/Untertitel:

Interaktion religiöser Rechtsordnungen. Rezeptions- und Translationsprozesse dargestellt am Beispiel des Zinsverbots in den orientalischen Kirchenrechtssammlungen.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 2009. 317 S. gr.8° = Kanonistische Studien und Texte, 55. Kart. EUR 64,00. ISBN 978-3-428-13106-8.

Rezensent:

Eva Synek

Bis vor nicht allzu langer Zeit sah man im »Zinsverbot« in unseren Breiten zumeist wohl vor allem ein durch seine Bedeutung für die Entwicklung der rechtlichen und sozialen Stellung der europäischen Judenschaft und damit vernetzt, die Entwicklung antijüdischer Vorurteile und Stereotypen in einer spezifischen Weise belastetes Rechtsinstitut mit biblischen Wurzeln, das – wirtschaftlich überholt – zunächst von den weltlichen und infolge dann den kirchlichen Gesetzgebern zu Recht aufgegeben wurde. Demgegenüber leitete die Verdichtung von Wirtschaftsbeziehungen in den arabischen Raum und damit zu von islamischem Recht geprägten Staaten einen Perspektivenwechsel ein, der durch die wachsende Nachfrage sharia-konformer Bankprodukte durch europäische Muslime sowie die rezente Bankenkrise verstärkt wurde.
Kurz nach Erscheinen von Fabian Wittrecks Untersuchung zur Geschichte des Zinsverbots in den Kirchenrechtssammlungen der »orientalischen Kirchen« – gemeint sind die »nichtchalkedonensischen« Kirchen ostsyrischer, westsyrischer und armenischer Tradition sowie Kopten und Äthiopier – titelte die österreichische Tageszeitung »die Presse«: »Kein Glücksspiel, keine Spekulationen, keine Zinsen: Im Islamic Banking herrschen andere Regeln. Die Geldgeschäfte mit Muslimen gelten mit Zuwachsraten von fast 30 Prozent als lukrativer Zukunftsmarkt.« (3.1.2010) Jeannine Hierländer berichtete infolge von einer Expertengruppe, die im Auftrag des Islamischen Informations- und Dokumentationszentrums Normen für mit dem islamischen Recht kompatible Finanzdienstleistungen zu erarbeiten versucht.
Für diese so aktuelle Frage bietet die von W. vorgelegte Arbeit zwar keine Hilfestellungen, wohl aber eine Menge spannender, durch lange Textbelege illustrierter und mit einer Fülle von Literatur zu quellenkundlichen Fragen versehener Detailinformationen zur historischen Entwicklung (vor allem der christlichen, in einem gewissen Maß aber auch der jüdischen und islamischen) Rezeption/en des in den orientalischen Nationalkirchen wie im byzan­-tinischen Kontext vor allem auf Kleriker bezogenen Zins- resp. Wucherverbotes im Vorderen Orient einerseits und an diesem Thema exemplifizierten zwischenkirchlichen und interreligiösen Translationsprozessen andererseits. W. weist auf, wie bereits im Mittelalter »normative Texte über die Konfessions- und Religionsgrenzen hinweg gelesen und ungeachtet ihrer Herkunft in eigene Werke der ostchristlichen Autoren integriert« wurden (233). Das Schöpfen orientalischer Kanonisten nicht zuletzt aus islamischen Quellen ist immer wieder offenkundig oder doch zumindest wahrscheinlich. Die mittelalterlichen Kanonisten haben aber mit Ausnahme des Armeniers Mxit’ar Go š († 1213), der sich gegenüber anderen Autoren auch durch seine expliziten Bezüge auf das Mo­-saische Recht auszeichnet (vgl. 161 f.), ihre islamischen Quellen im Unterschied zu Quellen aus einem christlichen Milieu in der Regel nicht offengelegt. Interessant scheint an dem untersuchten christlich-islamischen Interaktionsprozess desweiteren, dass ein Einfluss auf die unmittelbare kirchliche Rechtspraxis kaum nachzuweisen ist. W. folgert, dass die nachweisliche Interaktion nach aktuellem Wissensstand »eine rein literarische« gewesen sei – sie habe »nicht auf dem Markt oder vor dem Gericht, sondern in den Schreibstuben der Rechtsgelehrten statt[gefunden]« (238) und vor allem dazu gedient, eine mit den Werken der islamischen Juristen konkurrenzfähige »christliche Rechtsliteratur zu produzieren« … Die großen Nomokanones von Barhebraeus, Ebedjesus und Ibn al-‘Assāl zielen damit weniger auf soziale Kohäsion der orienta­lischen Kirchen als ihren sozialen Status im Islamikat« (ebd.).
Das ändert nichts daran, dass der von W. am Beispiel der Rechtsentwicklung der orientalischen Kirchen geführte grundsätzliche Nachweis dafür, »daß die Koexistenz religiöser Rechtsordnungen sich … nicht auf den Konflikt reduzieren läßt« (239), in Hinblick auf aktuelle Debatten entkrampfend wirken könnte – nicht zuletzt hinsichtlich einer vorurteilsfreien Auseinandersetzung mit islamischen Vorgaben zum Wirtschaftsrecht. Schließlich lässt sich W.s Arbeit über die eigentliche Thematik hinaus durchaus auch als quellenkundliche und bibliographische Einführung zum orientalischen Kirchenrecht verwenden. Das verleiht dem Buch einen Mehrwert gegenüber einer komprimierten aufsatzmäßigen Darstellung der eigentlichen Materie, macht aber für den vorrangig themeninteressierten Leser die Lektüre etwas mühsam.
W. ist Verfassungsjurist, hat aber auch theologische Studien absolviert. Die vorgelegte Studie zeichnet sich durch ihren interdisziplinären Ansatz wie durch einen überaus akribischen Dokumentationsstil aus, stößt jedoch, wie von W. im Vorwort selbst offen eingeräumt, an philologische Grenzen. Diese betreffen nicht nur altorientalische Sprachen. Auch griechische Texte finden sich regelmäßig in Übersetzung, wobei ein und dieselbe Quelle auch einmal ohne ersichtlichen Grund abwechselnd in mehreren Sprachen wiedergegeben wird (so die Apostolischen Kanones: 50 f.). Das sind Schönheitsfehler, die den grundsätzlichen Wert der Arbeit unberührt lassen.