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Ausgabe:

Oktober/2011

Spalte:

1120-1122

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Demel, Sabine

Titel/Untertitel:

Handbuch Kirchenrecht. Grundbegriffe für Studium und Praxis.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2010. 688 S. gr.8°. Geb. EUR 58,00. ISBN 978-3-451-30389-0.

Rezensent:

Thomas Schüller

Sabine Demel legt mit dem Handbuch Kirchenrecht ein Werk ganz eigener Prägung vor. Kirchenrecht aus der Perspektive der Laien, vor allem der Frauen, die in der katholischen Kirche keine Kleriker werden können, wird von D. profiliert auf der Grundlage der lehramtlichen Vorgaben des II. Vatikanum konsequent auf die praktisch virulenten Alltagsfragen in der Pastoral bezogen dargeboten, was im Ergebnis manches Thema nicht aufgreift und in seiner Akzentuierung das breite Feld kirchenrechtlicher Normen gegen den Strich liest. In welchem Lehrbuch des Kirchenrechts klassischer Couleur findet man Artikel zu »Kirche als Demokratie« (293–295) oder »Gleich­berechtigung in der Kirche« (276–285)? Gründe genug, dieses sprichwörtlich eigensinnige Buch in die Hand zu nehmen.
Grundlegend für D. ist die in den cc. 204 bis 208 CIC aufgegriffene kirchliche Lehre von der wahren Gleichheit aller Getauften, die aufgrund der Taufgnade befähigt sind, einen eigenständigen Beitrag am Sendungsauftrag der Kirche zu leisten, der sich in den Bereichen der Verkündigung, des Leitens und des Heiligens (Liturgie) entfaltet. Das dreigestufte Amt der Kirche (Bischöfe, Priester und Diakone) ist zum Dienst am Volk Gottes gerufen, zu dem es durch das Sakrament der Weihe ermächtigt wird. Von diesen beiden Grundpfeilern entfaltet D. die einzelnen Artikel, wenn sie zum Beispiel unter dem Stichwort »Laien und ihre Mitwirkungsrechte« (405–408) fordert, »die derzeitige kleruszentrierte Rechtsgestalt der kirchlichen Dienste und Ämter … auf eine laienorientierte Ausrichtung hin umzuformen« (405). Nachvollziehbar legt D. an anderer Stelle dar, dass die Wiederentdeckung und Stärkung der Diözesansynode (»Diözesansynode und alternative Formen synodaler Prozesse«, 125–128) und damit der Synodalität der Kirche insgesamt ein wichtiger Beitrag zur rechtlichen Umsetzung der Volk-Gottes-Theologie im kirchlichen Recht sein könnte. Besonders gelungen ist auch die Verhältnisbestimmung von gemeinsamem und amtlichem Priestertum (523–526), wenn D. feststellt: »Das amtliche Priestertum ist für das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen da und nicht umgekehrt; ja man kann sogar sagen: Gäbe es das gemeinsame Priestertum nicht, gäbe es auch das amtliche Priestertum nicht!« (524) In diesen Kontext passen auch gut die Reformvorschläge, die D. zur Beteiligung des Gottesvolkes an zentralen Entscheidungsprozessen vorträgt. So mahnt D. nachvollziehbar die stärkere Einbeziehung aller Gläubigen bei der Kandidatenauswahl für das Amt des Diözesanbischofs an wie auch die Einbeziehung ausgewählter Gläubiger bei der Wahl des Bischofs vor Ort. (82–83). Dieses Beispiel steht für eine weitere Besonderheit dieses Handbuches. D. begnügt sich nicht mit der Auslegung der gel­- tenden Normen, sondern formuliert dort, wo es ihr von theologischen Erkenntnissen her notwendig erscheint, Reformvorschläge für eine Überarbeitung der geltenden Rechtslage.
Positiv fällt auch die ökumenische Sensibilität auf, mit der D. an verschiedenen Stellen vor allem auf sakramentenrechtliche Fragestellungen eingeht. Im Artikel »Ökumene« (462–466) würdigt D. einerseits die Fortschritte im CIC/1983, der die Verpflichtung zur Ökumene enthält, andererseits sei aber das ökumenische Anliegen nicht wie ein roter Faden in das Gesetzbuch von 1983 eingegangen. Besonders bedauert D., dass die Gemeinden vor Ort nicht zur aktiven Ökumene verpflichtet werden (465), sondern nur die geweihten Amtsträger (Pfarrer und Diözesanbischof). Erfreulich sind ihre wei­terführenden Vorschläge zur ökumenischen Eucharistiegemeinschaft (209–215), insbesondere was die in Deutschland endlich einzufordernde partikularrechtliche Konkretisierung der »anderen schweren Notwendigkeit« in c. 844 § 4 CIC angeht.
Das Anliegen, vor allem die praxisrelevanten kirchenrechtlichen Themen anzusprechen und dafür auf ordens- und prozessrechtliche Artikel zu verzichten, ist D. gelungen. So erfährt der Leser, warum Messdienerinnen kirchenrechtlich kein Problem mehr darstellen, wie nach der Entscheidung von Papst Benedikt XVI. im MP »Omnium in mentem« (2009) neu über die Verhältnisbestimmung der drei Weihestufen in dem einen Ordo nachgedacht werden muss und wie dann die Frage des Diakonats der Frau eine ganz neue Dynamik erfährt. In Einbeziehung der aktuellen kirchensteuerrechtlichen Entwicklungen in den deutschsprachigen Ländern, insbesondere der Schweiz (362–378), setzt D. das Kirchensteuersystem in Relation zu anderen Systemen der Kirchenfinanzierung und zeigt Stärken und Schwächen der verschiedenen Mo­delle auf. Auf dem Hintergrund der in den deutschen Bistümern zurzeit zu beobachtenden Zusammenlegungen von Pfarreien in großem Ausmaß ist man gespannt, was D. zur kirchenrechtlich 1983 im CIC erstmalig aufgenommenen Möglichkeit sagt, nicht­-geweihte Frauen und Männer mit der verantwortlichen Wahrnehmung von Seelsorge in pfarrerlosen Pfarreien zu betrauen. Erneut fällt ihr Urteil vernichtend aus, weil ihr zu wenig die eucharistietheologische Dimension des Kircheseins im c. 517 § 2 CIC be­achtet zu sein scheint und von daher für sie die Weihe von Frauen zu Priesterinnen und verheirateten Männern zu Priestern die überzeugendere Option ist, Pfarreien zu erhalten und vor Ort eine Seelsorge mit Gesicht zu ermöglichen. Man wird eine solche Position ohne kritischen Unterton als strukturkonservativ bezeichnen können, weil dabei nicht die pastoraltheologische Frage gestellt wird, ob das Festhalten am überkommenen Parochialsystem im deutschsprachigen Raum wirklich das noch passende Modell für eine Pastoral mit Zukunft ist. Erfreulich finde ich, dass das Thema kirchliche Vereine einen so breiten Raum (592–613) im Handbuch einnimmt, sind diese in Deutschland immer noch tragende Kräfte in der katholischen Kirche. Unter Heranziehung des in dieser Materie ausgewiesenen Experten Heribert Hallermann (Würzburg) gelingt es D., die verschiedenen Formen von kirchlichen und kanonischen Vereinen darzustellen und dabei die kirchenrechtliche Balance von »Freiheit und Bindung« (Winfried Schulz), die das kodikarische Vereinigungsrecht auszeichnet, zu wahren. Ein wenig überrascht mich, dass D. nicht das Thema »Donum vitae e. V.« aufgreift, also die Vereinigung von Christinnen und Christen, vor allem im katholischen Bereich, nach dem Ausstieg der deutschen Bischöfe aus der staatlichen Schwangerschaftskonfliktberatung diese Beratung in dieser Vereinsform fortzuführen, was zu vielfältigen kritischen Einlassungen der römischen Kurie und der Deutschen Bischofskonferenz geführt hat.
Diese wenigen Beispiele zeigen, dass D. ein interessantes, angenehm zu lesendes Handbuch vorgelegt hat, das seine interessierten Leser finden wird. Es ist so konzipiert, dass auch der theologische Laie in verständlicher Form relevante kirchenrechtliche Themen gut aufbereitet nachvollziehen kann. Das Layout ist ansprechend und über ein Stichwortverzeichnis (659–688) findet man unkompliziert die Themen. Eine Einschränkung muss jedoch gemacht werden: Für eine kirchenrechtliche Fachprüfung im Studium reicht die Lektüre dieses Handbuches nicht aus, weil durch die angesprochene Konzeption wesentliche rechtliche Informationen, be­son­ders aus den Bereichen Allgemeine Normen und Prozessrecht, fehlen. So ist der Untertitel des Handbuchs »Grundbegriffe für Studium und Praxis« mit Vorsicht zu genießen.